Einen großen Sprung machen: Die EU-Erweiterung bis 2030 ist „machbar“

Nach einem Jahrzehnt ohne nennenswerte Fortschritte steht die EU-Erweiterung wieder auf der Tagesordnung. 2013 kam das letzte Mal ein Staat hinzu: Kroatien.
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Olivér Várhelyi, EU-Kommissar für Erweiterung.Foto: MTI / Ungarisches Fernmeldebüro
Von 8. September 2023

Die Frage der EU-Erweiterung hat in den letzten Tagen mehr Aufmerksamkeit als sonst erhalten. Der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, äußerte sich ebenso zu den Schritten, die bis 2030 unternommen werden müssen, wie der zuständige Kommissar Olivér Várhelyi.

Politische Analysten weisen jedoch darauf hin, dass die Beitritte auch eine Reihe organisatorische Fragen mit sich bringen. Darunter fallen die Wirtschaft der EU, die Verteilung der Hilfen und der Schwerpunkt des Entscheidungsmechanismus. Sogar die Umsetzbarkeit einiger Abläufe wie der Einsatz von Vetos ist ein heikles Thema.

Derzeit gibt es neun offizielle EU-Beitrittskandidaten: die Türkei (seit 1999), Nordmazedonien (2005), Montenegro (2010), Serbien (2012) und Albanien (2014). Die Ukraine, Moldawien, Bosnien und der Kosovo haben ihren Antrag auf Mitgliedschaft jeweils im Jahr 2022 gestellt.

Sowohl das Erweiterungspaket der EU-Entscheidungsträger als auch die Kandidatenvorschläge für die Erweiterung werden eine Woche vor dem EU-Gipfel im Oktober in Brüssel vorgestellt. Dies wird auch der Zeitpunkt sein, an dem entschieden wird, ob die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und möglicherweise mit Moldawien aufgenommen werden.

EU-Kurs: Es ist an der Zeit, voranzukommen

Als nächster Meilenstein für die EU-Erweiterung gilt das Jahr 2030. Zumindest sind sich darin der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, und der EU-Kommissar für Erweiterung, Olivér Várhelyi, einig.

Michel formulierte seine Ansicht etwas anders als Várhelyi. Er sagte Ende August auf dem Internationalen Strategieforum in Bled (Slowenien), die EU müsse bis 2030 „bereit“ für die Erweiterung sein.

Der in Ungarn geborene Várhelyi meint, dass die EU-Erweiterung bis 2030 „machbar“ sei. Dieses Ziel könne nur erreicht werden, „wenn die Kandidatenländer und die Europäische Union selbst ihre Anstrengungen verdoppeln“.

„Sowohl die EU als auch die Partnerländer des westlichen Balkans oder die anderen drei Kandidatenländer, die Ukraine, Moldawien und Georgien, müssen Leistungen erbringen“, so der EU-Kommissar in einem Interview mit dem Brüsseler Nachrichtenportal „Euractiv.com“, Anfang September.

Nach Ansicht des Brüsseler Kommissars sind für die Umsetzung der neuen Pläne große Veränderungen erforderlich.

Für die EU ginge es bei der Erweiterung in erster Linie darum, die Investitionen in den westlichen Balkanländern zu erhöhen. Dies könnte auch die wirtschaftlichen Auswirkungen des Russland-Ukraine-Konfliks mildern. Das ist auch das Ziel des Wachstumsplans, den die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen im Mai ansprach.

Was der Wachstumsplan beinhaltet, ist überaus komplex. Unter anderem würde der Reformplan rechtsstaatliche und demokratische Verbesserungen beinhalten. Diese seien notwendig für die politische Annäherung der neuen Beitrittsländer.

Zudem werden darin auch Reformen im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Entwicklungen und zur Integration angesprochen. Denn das wirtschaftliche und ökonomische Ungleichgewicht zwischen den möglichen Beitrittsländern und den derzeitigen Mitgliedstaaten ist beachtlich.

„Diese Reformen zielen daher in erster Linie darauf ab, das Investitionsklima zu verbessern und die notwendige finanzielle Unterstützung zur Überwindung des Entwicklungsrückstands bereitzustellen“, betonte Várhelyi. Außerdem würde die Maßnahme eine „Aufstockung der EU-Heranführungshilfen beinhalten und einen frühzeitigen Zugang zu einer Reihe von Instrumenten der EU gewährleisten“.

Nicht jeder würde eine Erweiterung begrüßen

Die Erweiterung könnte vielfältige Veränderungen für die Mitgliedstaaten und andere Probleme mit sich bringen. So warnte der französische Präsident Emmanuel Macron am Montag, dass es mit 30 Mitgliedern sehr schwierig sein werde, einstimmige Entscheidungen zu treffen.

Auch das Veto-Prinzip wird als problematisch angesehen. So auch Steven Blockmans, Direktor der Denkfabrik CEPS, der mit „euronews“ über seine Bedenken sprach. „Die Erweiterung der Europäischen Union birgt die Gefahr, dass mehr Mitgliedstaaten ein Veto einlegen, was den Prozess der Konsensbildung verlangsamen wird. Wenn der Entscheidungsprozess nicht reformiert und die qualifizierte Mehrheit nicht eingeführt wird, könnte die Erweiterung die Situation nur verschlimmern“, erklärte er.

Der Brüsseler Korrespondent von „Radio Free Europe“, Zoltán Gyévai, analysierte am 7. September die Herausforderungen in seiner Sendung „Erweiterung oder Vertiefung?“. In der Diskussion wies Gyévai darauf hin, dass auch die Mittelvergabe in der EU erheblich verändert werden könnte.

Der Beitritt von Ländern mit einer größeren Bevölkerung – insbesondere von solchen, die wirtschaftlich unterentwickelt sind – könnte dazu führen, dass weniger Mittel für die ehemaligen Mitgliedstaaten zur Verfügung stehen. Das Gleiche gelte für die Anzahl und Verteilung der Stimmen bei der Entscheidungsfindung. Insbesondere träfe dies im Falle eines großen Landes wie der Ukraine zu – eine Bevölkerung von vierzig Millionen Einwohnern könnte das Machtgleichgewicht erheblich verschieben.

Selbstverständlich stelle sich auch die Frage, wo so viele neue Abgeordnete physisch platziert werden können. Die Zahl der Europaabgeordneten in den bestehenden Mitgliedstaaten müsste verringert – oder das Parlament sollte deutlich vergrößert werden, so der Experte.

Eine weitere Frage sei, inwieweit die neuen Mitgliedsstaaten die wirtschaftlichen Handelsströme beeinflussen könnten. Am Beispiel der Ukraine, die ein großer Getreideexporteur ist, könnte dies allein schon zu einer Störung der gesamten EU-Agrarbeziehungen führen. Die Liste der Schwierigkeiten ließe sich beliebig fortsetzen.



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