Elektronische Patientenakte kommt: Widerspruch nur eingeschränkt möglich

EU-Ausschüsse stimmen dem Gesetzentwurf mehrheitlich zu. Patienten können Veto nur bei der Verwendung sogenannter Sekundärdaten einlegen. Das Parlament stimmt im Dezember ab.
Elektronische Patientenakten werden etwa für Arztbefunde und Röntgenbilder genutzt.
Die Einführung der Elektronischen Patientenakte steht im Dezember auf der Tagesordnung des EU-Parlaments.Foto: Jens Kalaene/dpa
Von 30. November 2023

Die elektronische Patientenakte für alle gesetzlich Versicherten hat die nächste Hürde genommen. Bei einer Abstimmung im Europaparlament am Dienstag, 28. November 2023, haben die Mitglieder zweier Fachausschüsse mehrheitlich einen Entwurf verabschiedet.

Das Papier stand auf der Tagesordnung des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) und des Ausschusses für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI). Die Abgeordneten nahmen den Entwurf mit 95 Ja-Stimmen an, heißt es auf der Internetseite der EU. 18 Abgeordnete stimmten dagegen, zehn enthielten sich.

Jetziges Vorgehen widerspricht Aussagen von Lauterbach

Dabei ist die Einführung der elektronischen Patientenakte für alle zunächst verpflichtend. Es werden jedoch Unterschiede zwischen sogenannten Primär- und Sekundärdaten gemacht. Grundsätzlich nicht ablehnen können die Bürger die Weitergabe von Patientenübersichten, elektronischen Verschreibungen, medizinischen Bildern und Laborergebnissen. Auf ihre Daten haben sie selbst sowie „Angehörige der Gesundheitsberufe“ Zugriff, wie es in einer Mitteilung der EU heißt.

Eine Einspruchsmöglichkeit haben Patienten lediglich bei der Verwertung sogenannter Sekundärdaten. Dazu gehören Daten über Krankheitserreger, Gesundheitsansprüche und Kostenerstattungen. Der Weitergabe dieser Angaben müssen Patienten zuvor zustimmen.

Diese Vorgehensweise widerspricht den Äußerungen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Der hatte Anfang März 2023 noch gesagt: „Jeder, der nicht ausdrücklich widerspricht, ist automatisch dabei“. Heißt: Wer eine elektronische Patientenakte ablehnt, muss das seiner Kasse mitteilen. Dass dies aber nur eingeschränkt möglich ist, sagte der SPD-Politiker damals nicht. Von Unterschieden wie Primär- und Sekundärdaten war keine Rede.

Nationale Dienste für Zugang zu Daten

In der Mitteilung der EU heißt es weiter, dass jedes Land auf Grundlage der Plattform MyHealth@EU nationale Dienste für den Zugang zu Gesundheitsdaten einrichten muss. Das Gesetz würde auch Regeln für die Qualität und Sicherheit der Daten von Anbietern elektronischer Patientendatensätze (EHR) in der EU festlegen. Für die Überwachung wären nationale Marktaufsichtsbehörden zuständig.

Verboten sein soll etwa Werbung, Entscheidungen über den Ausschluss von Personen von Leistungen oder Versicherungsarten oder die Weitergabe an Dritte ohne Genehmigung. Anträge auf Zugang zu sekundären Daten würden nach diesen Vorschriften von nationalen Stellen bearbeitet, die sicherstellen sollen, dass die Daten nur in anonymisierter oder erforderlichenfalls pseudonymisierter Form bereitgestellt werden.

Gesundheitsversorgung soll verbessert werden

„Die Schaffung eines Europäischen Gesundheitsdatenraums (EHDS), der den Bürgern die Kontrolle über ihre persönlichen Gesundheitsdaten ermöglicht und den sicheren Austausch für Forschungs- und uneigennützige (d.h. nicht gewinnorientierte) Zwecke erleichtert, ist mit der Annahme eines Entwurfs für einen Standpunkt des Parlaments durch die Ausschüsse für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit sowie für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres einen Schritt weiter gekommen“, kommentiert die EU selbst die Abstimmung vom vergangenen Dienstag.

Eine Aufklärung der Versicherten ist ebenfalls erforderlich. „Der EHDS wird die Bürgerinnen und Bürger stärken, indem er die Gesundheitsversorgung auf nationaler und grenzüberschreitender Ebene verbessert und den verantwortungsvollen Austausch von Gesundheitsdaten erleichtert und so Forschung und Innovation in der EU fördert“, ist Tomislav Sokol, Berichterstatter im EU-Parlament, überzeugt.

Piratenpartei: Ende des Arztgeheimnisses

Massive Kritik an dem Entwurf und am Abstimmungsergebnis formulierte der Europaabgeordnete Dr. Patrick Breyer. „Das ist nichts anderes als das Ende des Arztgeheimnisses“, erklärte das Mitglied der Piratenpartei und Mitverhandlungsführer der Fraktion Grüne/Europäische Freie Allianz im Innenausschuss des EU-Parlaments.

„Die von der EU geplante Zwangs-elektronische Patientenakte mit europaweiter Zugriffsmöglichkeit zieht unverantwortliche Risiken des Diebstahls, Hacks oder Verlustes persönlichster Behandlungsdaten nach sich und droht Patienten jeder Kontrolle über die Sammlung ihrer Krankheiten und Störungen zu berauben“, sagt er.

Anja Hirschel, Spitzenkandidatin der Piratenpartei für die Europawahl 2024, kommentiert: „Eine zentrale Datenspeicherung weckt Begehrlichkeiten in verschiedenste Richtungen.“ Dabei spreche sie nicht nur von Hackerangriffen, sondern von der sogenannten Sekundärnutzung. Diese bezeichne Zugriffe, die zu Forschungszwecken vollumfänglich gewährt werden sollten.

„Die Patientendaten sollen dann an Dritte weitergegeben werden“, erläutert sie. Aus Datenschutzsicht sei bereits das zentrale Ansammeln problematisch, bei Weitergabe wenigstens ein Opt-in Verfahren (aktive Einwilligung) richtig. „Dies würde eine gewisse Entscheidungshoheit jedes Menschen über die persönlichen Daten ermöglichen.“ Sei aber kein Widerspruch möglich, „so bedeutet dies letztlich die Abschaffung der Vertraulichkeit jeglicher medizinischer Information“.

Der nun verabschiedete Entwurf steht im Dezember im Plenum des Europäischen Parlaments zur Abstimmung. Das Gesetz soll 2025 in Kraft treten.

 



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