Frankreich: „Mr. Brexit“ im Wahlkampfmodus – Kommt der „Frexit“?

Der ehemalige EU-Kommissar und Brexit-Chefunterhändler Michel Barnier will Präsident in Frankreich werden und geht jetzt schon auf Kollisionskurs mit der EU. Unter anderem will er den Einfluss der EU in Migrationsfragen einschränken.
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Michel Barnier war EU-Kommissar und Brexit-Chefunterhändler. 2022 will er für die Präsidentschaftswahl in Frankreich kandidieren.Foto: JOEL SAGET/AFP via Getty Images
Von 27. September 2021

Frankreichs Top-Diplomat Michel Barnier goss reichlich Öl ins Feuer, als er vor wenigen Wochen sagte: Frankreichs „rechtliche Souveränität“ werde von der EU „bedroht“. Wie „Politico“ nun berichtet, forderte der frühere EU-Kommissar und Chefunterhändler der EU bei den Brexit-Verhandlungen eine Beschränkung des Einflusses europäischer Gerichte in Migrationsfragen. 

Frankreich soll seine „rechtliche Souveränität zurückgewinnen, um nicht länger den Urteilen des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte unterworfen zu sein“, zeigte sich Barnier kämpferisch.

Deutsche Dominanz in der EU ausgleichen

Keine unwesentliche Forderung, denn Barnier will nächstes Jahr französischer Präsident werden. Mit dieser provokativen Ansage geht er offenbar schon jetzt in den Wahlkampf über.

Barnier betonte jedoch nicht nur die Wichtigkeit der Souveränität seines Landes, sondern auch den Wiederaufbau „des französischen Einflusses“. Dafür müsse die Dominanz „des deutschen Einflusses ausgeglichen“ werden, meinte er.

Barnier ruderte in der Migrationsfrage wenig später zurück und meinte, er habe lediglich ein „konstitutionelles Schutzschild“ vorgeschlagen, das sich ausschließlich auf Einwanderungsfragen beziehen solle. Die Einschätzung, das EU-Recht halte Frankreich davon ab, seine Migrationspolitik zu gestalten, nahm er jedoch nicht zurück. 

Konkret will er ein Einwanderungsmoratorium von drei bis fünf Jahren. Damit dies nicht vom EU-Recht verhindert werden kann, brauche es eine Verfassungsänderung. Auch solle das Schengener Abkommen reformiert werden, mit dem die Kontrollen an den Binnengrenzen der EU abgeschafft wurden, so Barniers Forderungen.

„Die Welt um uns herum ist gefährlich, instabil, zerbrechlich. Unserem Land geht es schlecht. Es braucht einen Wechsel, um zu versöhnen, zusammenzuführen und wirklich zu handeln“, sagte Barnier „Le Figaro“. 

Frankreich verliere auf europäischer Ebene seit Jahren an Einfluss, im Gegensatz zu Deutschland. Dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron warf er indirekt vor, zu viel allein zu entscheiden, und plädierte für weniger Zentralismus.

„Der größte Heuchler, der je geboren wurde“

Barnier gilt als prinzipientreu und hat bisher den Eindruck erweckt, an die Prinzipien, für die er kämpft, auch zu glauben. Als Brexit-Unterhändler vertrat er die Meinung, wer die Europäische Union aus eigenen Stücken verlassen will, muss Nachteile spüren. Kurzum: er ist ein Pro-EU-Mann. Deswegen waren seine Kollegen in Brüssel, aber auch Politiker in Großbritannien und Frankreich, über seine Kehrtwende überrascht. Als Chefverhandler für den Austritt Großbritanniens verteidigte er die Werte der EU mit Härte und Entschlossenheit.

Nach seinen jüngsten Äußerungen kritisieren ihn nun einige britische Politiker. In einem Interview mit dem „Telegraph“ bezeichnete Nigel Farage, Brexit-Befürworter und ehemaliger britischer Abgeordneter im Europäischen Parlament, Barnier als „den größten Heuchler, der je geboren wurde“.

Derselben Meinung ist auch Michael Fabricant: „Derselbe Michel Barnier, der während der Brexit-Verhandlungen versucht hat, das Vereinigte Königreich zu verunglimpfen, weil es die Kontrolle über die Gerichte und Grenzen gefordert hat. Jetzt will er dasselbe für Frankreich“, so der konservative Abgeordnete aus Großbritannien.

Das Wort „Frexit“, Frankreichs Austritt aus der EU – angelehnt an das Trendwort „Brexit“ –, fiel öfter in Verbindung mit Barniers Namen. Dazu hat Barnier aber noch keine Stellung bezogen und sogar vor Nachahmern des Brexits gewarnt. „Ich sage, passt auf, wenn ihr meint, dass sich nichts ändern muss, dass alles gut läuft in Brüssel, dass es das übliche Geschäft ist, dann riskiert ihr woanders andere Brexits, und ich möchte dieses Risiko nicht eingehen“, so Barnier.

Einladung von AfD-Chef Meuthen

Jörg Meuthen, Vorsitzender der AfD im Europäischen Parlament, sagte zu Barniers Äußerungen: „Wahrscheinlich hat der übermäßige Kontakt mit den Briten aus einem ehemals überzeugten Europäer einen vernünftigen Menschen gemacht, der die Mitgliedsstaaten respektiert“. Meuthen schlug sogar vor, Barnier solle sich der neuen Fraktion „Identität und Demokratie“ im EU-Parlament anschließen, da seine Äußerungen „seit langem auch von der Fraktion gepredigt“ wurden.

Die Themen Migration und Grenzkontrolle werden in Frankreich auch ohne die jüngsten Aussagen Barniers heiß diskutiert. Macrons Regierung geriet vor Kurzem in einen Streit mit dem Vereinigten Königreich wegen Migranten, die den Ärmelkanal überqueren. 

Die britische Innenministerin Priti Patel kündigte Pläne an, Migranten aus Frankreich zurückzuschicken, wenn sie in britische Gewässer gelangen. Die Pläne würden Beamte der Grenzpolizei dazu ermächtigen, Boote umzudrehen – wenn das Innenministerium die Genehmigung dazu erteilt.



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