Renaissance der Kernenergie in Europa: Italien will Kernkraft zurückholen

In zwei Referenden hatten sich Stimmberechtigte in Italien gegen die Kernenergie ausgesprochen. Rechtlich sind sie nicht bindend. Vizepremier Salvini geht davon aus, dass sich die Umstände geändert haben.
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Will Italien zurück zur Kernkraft führen: Vizepremier Matteo Salvini.Foto: Tiziana Fabi/AFP via Getty Images
Von 4. September 2023

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Unter dem Eindruck der Energiekrise stößt die Kernkraft in immer mehr europäischen Ländern auf Zuspruch – und Italien könnte das nächste Land sein, das zu dieser Technologie zurückkehrt. Wie „Euractiv“ berichtet, hat Vizepremier und Verkehrsminister Matteo Salvini einen solchen Schritt am Sonntag, 3. September, angekündigt. An jenem Tag sprach er vor dem Ambrosetti-Forum in Cernobbio.

Salvini nannte unter anderem den Willen zur klimafreundlichen Energieproduktion als wesentliche Motivation hinter dem Vorhaben. Ein weiterer gewichtiger Grund dürften jedoch die Inflation und die nach wie vor erheblichen Energiepreise sein, die Bürger und Unternehmen belasten.

Zwei Referenden in Italien gingen gegen die Kernkraft aus

Bereits vor dem Beginn des Krieges in der Ukraine am 24. Februar 2022 hatte der Industrieverband Confindustria einen Anstieg der Strompreise um 450 Prozent beklagt. Dies sei innerhalb nur eines Jahres geschehen. Die Energiekosten für die Industrie seien schon damals von acht auf 37 Milliarden Euro gestiegen. Der Städtebund des Landes rechnete mit einem weiteren 550-Millionen-Euro-Loch für die kommunalen Kassen.

Auch diese Entwicklung macht Italiens Regierung zuversichtlich, diesmal auch in der Bevölkerung die erforderliche Rückendeckung für ihren Kernkraft-Kurs zu erhalten. Bis dato hatte es in dieser Sache zwei Referenden gegeben, die ein klares „Nein“ zu dieser Technologie erbrachten.

Bezüglich des Referendums von 1987 dürfte dabei der Tschernobyl-Schock noch eine Rolle gespielt haben. Damals stimmten zwischen 60 und 70 Prozent der Wähler bei 65 Prozent Wahlbeteiligung für drei gegen die mit Kernkraft gerichteten Vorlagen. Anschließend schloss die Regierung mehrere AKWs.

Erdbebengefahr als Elefant im Raum

Im Jahr 2011 stimmten 94 Prozent der Teilnehmer bei 55 Prozent Wahlbeteiligung gegen einen Wiedereinstieg. Der damalige Premierminister Silvio Berlusconi hatte nach der Havarie in Fukushima dieses Vorhaben jedoch bereits von sich aus auf Eis gelegt. Beide Referenden waren rechtlich jedoch nicht bindend.

Neben einem Protestvotum gegen den damaligen Regierungschef dürften 2011 auch Bedenken eine Rolle gespielt haben, die auch jetzt in der Kernkraftpolitik des Landes von Belang sind. So lag ein Erdbeben in den Abruzzen erst zwei Jahre zurück, bei dem mehr als 300 Menschen ums Leben gekommen waren.

Generell lässt die geografische Lage Italiens das Thema der Kernenergie als heikel erscheinen. Das Land liegt an der Konvergenzzone von Afrikanischer und Eurasischer Platte. Die Afrikanische Platte bewegt sich in Relation zur Eurasischen Platte nach Norden. Die Geschwindigkeit beträgt dabei vier bis fünf Millimeter pro Jahr – genug, um erhebliche Teile des Landes für Erdbeben anfällig zu machen.

Italien ist in hohem Maße abhängig von Energieimporten

Für Salvini und den Rest der rechtsgerichteten Regierungskoalition steht jedoch fest, dass an der Renaissance der Kernenergie kein Weg vorbeiführen wird. Der Lega-Chef will den Italienern erklären, „warum wir im Namen der technologischen Neutralität nicht zu irgendeiner Energiequelle Nein sagen können“.

Dem Minister für Umwelt und Energiesicherheit, Gilberto Pichetto Fratin, erscheint es auch als wichtig, zu betonen, dass es dabei um neue Formen der Kernkraft gehe. Dafür sollen Akteure in einem Forum zusammenfinden, die mit Kernkraft, Sicherheit, Strahlenschutz und radioaktiven Abfällen vertraut sind.

Fratin unterstreicht, dass es Italiens Regierung beispielsweise um die Forschung im Bereich der Kernfusion gehe. Dazu komme die „Kernspaltung der vierten Generation“ und damit auch die Bewertung kleiner Reaktoren – sogenannter SMR. Diese, so der Minister, könnten „in zehn Jahren eine Chance für das Land sein“. In beiden Bereichen ist das Sicherheitsrisiko, das von der Technologie ausgeht, extrem gering.

Italien produziert nur 25 Prozent seiner benötigten Energie selbst. Bezüglich der übrigen 75 Prozent ist man auf Importe angewiesen. Die Ökostromproduktion reicht bei Weitem nicht zur Bedarfsdeckung der Industrienation aus. Der Ukraine-Krieg hat die Gefahren der Energieabhängigkeit des Landes noch einmal sichtbar gemacht.

Schärfste Gegner der Kernkraft werden in der EU einsamer

Ob Italien den Weg der Rückkehr zur Kernenergie gehen wird, ist noch offen. Für gleichsam Gegner der Atomkraft – zu denen Deutschland, Österreich, Luxemburg und derzeit auch Spanien und Portugal zählen – würde es in der EU einsamer. Dabei war es in Österreich nur eine hauchdünne Zufallsmehrheit, die sich 1978 in einer Volksbefragung gegen die Inbetriebnahme des AKW Zwentendorf ausgesprochen hatte. Gleichzeitig ist das Land – wie auch Spanien – nach wie vor auf russisches Gas angewiesen.

Auch Portugal lehnt die Kernenergie derzeit noch strikt ab. Dort setzt man auf den Ausbau von Wasserkraft. Auf der anderen Seite hatte Belgien unter dem Eindruck des Ukraine-Krieges seinen für 2025 geplanten Ausstieg vorerst für zehn Jahre aufgeschoben. In den meisten osteuropäischen Staaten sieht man die Kernkraft als bedeutsames Element des Energieportfolios.

Frankreich hat unterdessen im Februar mit zehn weiteren EU-Staaten eine Erklärung mit dem Ziel „verstärkter Kooperation“ bei der künftigen Nutzung von Kernenergie unterzeichnet. Zu dieser Allianz gehören mittlerweile auch Rumänien, Bulgarien, Slowenien, die Tschechische Republik, die Slowakei, Polen, Ungarn, Kroatien, die Niederlande und Finnland. Mit Schweden könnte bald ein weiteres Mitglied dazustoßen – wie auch Italien.

SMR als Zukunftshoffnung von Frankreich bis China

Auf der Internetseite des Red-Bull-Konzerns findet sich ein Artikel, in dem es um die Investitionen mehrerer Länder in die Kernenergie geht. Dabei zeichne sich ab, dass der Trend hin zu neuen und verbesserten Technologien in diesem Bereich gehe. Finnland, die Slowakei, Ungarn und Großbritannien bauen bestehende Anlagen aus oder eröffnen sie neu.

Polen plant für 2033 den Ersteinstieg und will bis 2043 sechs Blöcke mit einer Gesamtkapazität von sechs bis neun Gigawatt errichten. Neue Technologien wie die sogenannten SMRs wollen unter anderem Länder wie Frankreich, Tschechien, aber auch China ausbauen.

Sogar Microsoft-Gründer Bill Gates zeigt sich von Thorium-Reaktoren im Kleinformat angetan und will mit seiner Firma TerraPower bis 2050 hunderte kleine KKWs mit Natrium-Kühlung produzieren. Bereits 2028 will er die erste Anlage in Wyoming in Betrieb nehmen. Dort entsteht derzeit für umgerechnet 180 Millionen Euro der erste Reaktor dieser Art.

Möglicherweise denkt auch Red Bull daran, in diese Technologie zu investieren. Auf der Website führt ein Link zu einem Beitrag eines steirischen Physikers, der ebenfalls an der Konzeption zukunftsfähiger SMR arbeitet.



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