Spanien: Sperre von Telegram wieder aufgehoben – warten auf den Geheimdienstbericht

Nur wenige Tage nach seiner Anordnung zur Sperre des Messengerdienstes Telegram in Spanien hat Richter Santiago Pedraz diese am Montag wieder außer Kraft gesetzt. Er will einen Bericht der Geheimdienstcommunity abwarten. Der Dienst war trotz der Verfügung erreichbar.
Titelbild
Messenger-Dienst Telegram auf dem Smartphone. Symbolbild.Foto: ALEXANDER NEMENOV/AFP via Getty Images
Von 28. März 2024

Am Freitag, 22. März, hatte Richter Santiago Pedraz in Madrid eine temporäre Sperre der Messenger-App Telegram für Spanien angeordnet. Ab Montag sollte diese wirksam werden. Bereits an jenem Tag teilte der Nationale Staatsgerichtshof mit, dass Pedraz die Anordnung bis auf Weiteres wieder außer Kraft gesetzt habe.

Der Richter wolle, so hieß es in der Mitteilung, erst einen Bericht abwarten. Diesen habe er beim Generalkommissar für Nachrichtendienste in Auftrag gegeben, schreibt „DW Deutsch“. Über den Inhalt der Anforderung nennt das Medium keine Details. Beim Newsportal „Netzpolitik“ ist hingegen die Rede von einem Auftrag an die Polizei. Diese solle die Auswirkungen einer vorübergehenden Sperrung der Plattform auf die Nutzer beschreiben.

Telegram als illegale Tauschbörse?

Anlass für das Vorgehen gegen die Nummer 4 unter den Kurznachrichtendiensten im Land waren Beschwerden der vier größten Medienkonzerne in Spanien. Mediaset, Atresmedia, Movistar and EGEDA werfen den Verantwortlichen von Telegram vor, Urheberrechtsverletzungen auf der Plattform zu tolerieren. Offenbar wollte man gegen die – auf der Plattform verbreitete – unautorisierte Weitergabe urheberrechtlich geschützter Inhalte der Medienkonzerne vorgehen.

Einige Mobilfunkanbieter hatten den Zugang zu dem Dienst bereits am Samstag unterdrückt. Für eine Vielzahl der etwa 8,5 Millionen Nutzer in Spanien war Telegram allerdings nach wie vor erreichbar. Durch geschützte Netzwerkverbindungen (VPN) gelingt es Nutzern weltweit, in einigen Ländern bestehende Restriktionen zu umgehen.

Weltweit wird die Zahl der Verwender auf mehr als 700 Millionen geschätzt. Registriert ist das Unternehmen auf den Britischen Jungferninseln. Der Richter hatte sein Vorgehen gegen den Messenger mit dessen Weigerung begründet, bei der Offenlegung der Identität von Konteninhabern zu kooperieren. Von den Konten aus hätten diese mehrfach urheberrechtlich geschützte Inhalte verbreitet.

Verbraucherverbände kritisieren Unverhältnismäßigkeit

Die Anordnung vom Freitag hatte vehemente Proteste zur Folge. Verbraucherschützer und Protagonisten eines freien Internets hatten sie als unverhältnismäßig bezeichnet. Die Gruppe „Iustitia Europe“ hat sogar eine Anzeige gegen Pedraz eingebracht und diesem „Rechtsübertretung“ vorgeworfen. Dies berichtete das Portal „The Objective“.

Sie warf dem Richter eine „ernsthafte, schwerwiegende und beispiellose Einschränkung der Grundrechte“ vor und erklärte zudem, es seien die Jungferninseln und nicht Telegram gewesen, die sich der Kooperation verweigert hätten.

Andere Plattformen betonten die Unverhältnismäßigkeit einer Nutzungseinschränkung für Millionen von Nutzern, um Urheberrechte zu schützen, die einzelne Nutzer missachteten. Der Computertechnik-Berufsverband wies darauf hin, dass es bereits Ermittlungen wegen schwerwiegenderer Straftaten mit Telegram-Bezug gegeben habe. Doch selbst Anlässe wie Terrorismus, Drogenhandel oder Kinderpornografie hätten keine so weitreichenden Folgen gehabt.

Richter macht Rückzieher – und räumt Vorteile strengen Datenschutzes ein

Die Proteste scheinen bei Pedraz selbst ein gewisses Umdenken ausgelöst zu haben. In seiner neuen Verfügung räumte er ein, dass Telegram trotz einer Vielzahl krimineller Umtriebe auch vielen Nutzern „Vorteile im Bereich des Datenschutzes“ biete. Außerdem seien auch die Interessen von Unternehmen zu berücksichtigen, die den Messenger für ihre geschäftlichen Transaktionen und deren Abwicklung nutzten.

Telegram ist seit 2013 auf dem Markt. Entwickler waren die Brüder Nikolai und Pawel Durow, die bereits das in der Russischen Föderation populäre soziale Netzwerk vk.com gegründet hatten. Die Plattform bietet einen erheblich höheren Standard an Datensicherheit im Vergleich zu Diensten wie WhatsApp oder Facebook Messenger. Fernando Suárez vom Computertechnik-Verband meinte gegenüber „El País“, anders als WhatsApp biete Telegram keine Hintertüren für Geheimdienste wie die NSA.

Mit der russischen Regierung hatte Pawel Durow sich überworfen, nachdem er deren Aufforderungen nicht nachgekommen war, Aktivitäten der Nawalny-Bewegung zu unterbinden. Diese hatte den Messenger genutzt, um eigene Aktionen zu koordinieren. Durow verkaufte seine Anteile und verließ das Land.

In mehreren Ländern gelten Restriktionen gegen Telegram

Telegram zeigt sich jedoch auch gegenüber anderen Regierungen sehr zurückhaltend, wenn es um die Kooperation mit Strafverfolgungsbehörden geht. Aus diesem Grund hatte auch schon Deutschlands Bundesinnenministerin Nancy Faeser mit Konsequenzen für die Plattform gedroht.

In einigen Ländern wie China, Kuba, Thailand, Iran oder Pakistan ist der Zugang permanent gesperrt. Im Irak oder in Brasilien hatte es bereits temporäre Maßnahmen gegen den Dienst gegeben. Die Effektivität der Maßnahmen hält sich häufig in Grenzen. Zur Kooperation mit staatlichen Behörden zeigte sich der Dienst bislang jedoch meist erst dann bereit, wenn eine Sperrung in den App-Stores von Google oder Apple zu befürchten war.

Bedingt durch die hohen Datenschutzstandards und die sehr unsystematische Praxis der Zusammenarbeit mit den Behörden betrachten auch kriminelle, extremistische und terroristische Elemente den Dienst als ruhiges Hinterland. Auch das Massaker nahe Moskau am vergangenen Freitag soll auf Telegram seinen Ausgang genommen haben. In Deutschland warnen Politiker und Sicherheitsbehörden vor Echokammern auf Telegram, in denen eine wechselseitige Radikalisierung stattfinde.

Dass es offenbar dennoch Möglichkeiten für Polizei und Nachrichtendienste gibt, auf Telegram geschmiedeten Komplotten auf die Spur zu kommen, zeigen Fälle wie jene vom November 2023 im Rheinisch-Bergischen-Kreis in Nordrhein-Westfalen. Dort kam es zur Festnahme zweier jugendlicher IS-Anhänger. Die beiden hatten ihre Pläne über Telegram erörtert.



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