Türkische Wirtschaft vor schwierigem Reformkurs – Mehrwertsteuer und Spritpreise steigen

Ein erfahrener Minister und eine neue Zentralbankchefin sollen die Wirtschaft in der Türkei reformieren. Die Herausforderungen sind groß – und es stehen unpopuläre Maßnahmen an.
Die Währung der Türkei steht seit Jahren unter Druck.
Die Inflation bleibt in der Türkei eine Herausforderung.Foto: Sadat/XinHua/dpa
Von 17. Juli 2023

Die Wirtschaft in der Türkei steht vor einem weitreichenden und teilweise schmerzhaften Reformprozess. Der wiedergewählte Präsident Recep Tayyip Erdoğan will offenbar die erste Phase seiner letzten Amtszeit nutzen, um deren strukturelle Probleme in den Griff zu bekommen.

Dazu hat er mit Mehmet Şimşek einen Finanzminister ins Kabinett zurückgeholt, der bereits in früheren Kabinetten als Schlüsselfigur gegolten hatte. Zudem hat mit Hafize Gaye Erkan eine Finanzfachfrau mit langjähriger Wall-Street-Erfahrung die Leitung der Notenbank übernommen.

Deutlicher Anstieg des Leitzinses in der Türkei

Die ersten Auswirkungen des Reformprogramms machen sich bereits jetzt bemerkbar. So hat die Notenbank den Leitzins vor einigen Wochen von 8,5 auf 15 Prozent angehoben. Dies stellt eine drastische Kehrtwende gegenüber der von Präsident Erdoğan stets mit Nachdruck betriebenen Niedrigzinspolitik dar.

Hintergrund ist die nach wie vor mit 38 Prozent veranschlagte Inflation, die in einigen Bereichen noch höher ist und möglicherweise auch noch einen versteckten Bereich aufweist. Die Regierung will diese zeitnah in einen einstelligen Bereich zurückführen. Dies hat jüngst auch Vizepräsident Cevdet Yılmaz gegenüber „Hürriyet Daily News“ betont.

Derzeit berät das Parlament über einen Nachtragshaushalt

Allerdings werden nun auch die Treibstoffe in der Türkei deutlich teurer. Dies könnte den Bemühungen zur Eindämmung der Inflation einen Dämpfer verpassen. Die zuvor umgerechnet etwa um die 8,5 Eurocent liegenden Steuern auf einen Liter Benzin kletterten jüngst auf umgerechnet 25,5 Cent. Dies berichtete „Bloomberg“.

Beim Diesel steigt sie auf umgerechnet 24 Cent – dort waren sie zuvor etwas niedriger als beim Benzin. Der Literpreis an den Tankstellen wird Experten zufolge dadurch um 20 Prozent auf sechs türkische Lira steigen, was etwa 20 Cent entspricht. Dies wäre eine Preissteigerung um etwa ein Fünftel.

Derzeit beraten die Abgeordneten der Großen Nationalversammlung über einen Nachtragshaushalt. Vizepräsident Yılmaz lobte die Wirtschaft in der Türkei für ein hohes Maß an Resilienz in einem schwierigen Umfeld. Die verheerenden Erdbeben zu Beginn des Jahres und der Ukraine-Krieg haben das Land ökonomisch schwer unter Druck gesetzt – und den Haushalt belastet.

Erdbeben und Ukraine-Krieg haben Wirtschaft belastet

Allein die erdbebenbedingten Ausgaben haben den türkischen Haushalt mit zusätzlichen 762 Milliarden Türkische Lira (etwa 25,78 Milliarden Euro) belastet. Immerhin seien der Arbeitsmarkt und das Wachstum robust, machte der Vizepräsident deutlich.

Die Exporte seien den Frühindikatoren zufolge im ersten Halbjahr auf umgerechnet 123,4 Milliarden US-Dollar gestiegen. Auch die Einnahmen aus dem Reiseverkehr deuteten mit 43,9 Milliarden Dollar auf ein Rekordhoch für dieses Jahr hin.

Allerdings sei mit einem nach wie vor wachsenden Leistungsbilanzdefizit zu rechnen, macht Yılmaz deutlich. Ursprünglich war die Regierung in Ankara von einem Leistungsbilanzdefizit von 2,5 Prozent des BIP ausgegangen. Dieser Wert werde voraussichtlich am Ende höher ausfallen.

Verantwortlich dafür seien die laufenden Goldimporte und die Energieimporte, die sich auf 101,5 Milliarden US-Dollar summierten. Ohne diese beiden Faktoren hätte die Türkei einen Leistungsbilanzüberschuss von 41,5 Milliarden US-Dollar, so der Vizepräsident.

Kredite aus den Golfstaaten sollen Stabilisierung unterstützen

Noch in dieser Woche will Finanzminister Şimşek am Rande des G20-Finanzministergipfels in Indien mit US-Finanzministerin Janet Yellen zusammentreffen. Dies berichtet „Hürriyet Daily News“. Auch die neue Gouverneurin der Zentralbank, Hafize Gaye Erkan, wird dem Treffen beiwohnen.

Unter anderem wird es dabei um Schritte zur Stärkung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Türkei und den USA gehen. Der Vorsitzende des Türkiye-U.S. Business Council (TAİK), Mehmet Ali Yalçındağ, kündigt zudem für September eine Roadshow-Veranstaltung für potenzielle Investoren in New York an. Einen Tag später werde auch Präsident Erdoğan persönlich mit den Chefs von 25 Unternehmen aus der Fortune-100-Liste zusammenkommen.

Zuvor würden Erdoğan und Şimşek eine Reise durch die Golfstaaten, darunter Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Katar, unternehmen. Von dort sind weitere Kreditzusagen zu erwarten, die der Notenbank helfen sollen, die Lira zu stabilisieren.

Entwicklung in der Türkei mit potenziellen Konsequenzen auch für Deutschland

Zu den größten Baustellen im Zuge der türkischen Wirtschaftsreformen wird die nach wie vor hohe Auslandsverschuldung gehören. Auch in Relation zum BIP ist die Verschuldung wieder im Steigen begriffen. Das ist ein Alarmsignal, auch wenn das Land in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch deutlich höhere Werte zu verzeichnen hatte. Die hohe Verschuldung macht die Wirtschaft anfällig für externe Schocks und Währungsschwankungen.

Auch bezüglich der Inflation hat die Türkei bereits härtere Zeiten hinter sich. Allerdings stellt die jüngst zu verzeichnende Teuerungswelle mit Werten bis zu 80 Prozent eine enorme Herausforderung für Unternehmen und Verbraucher dar. Die Kalkulation der Kosten wird schwieriger, die Kaufkraft der Verbraucher geringer.

Die Entwicklung der türkischen Wirtschaft ist auch für Deutschland von Bedeutung. Instabilität in der türkischen Wirtschaft könnte die Handelsbeziehungen belasten und deutsche Unternehmen in der Türkei belasten. Eine stockende Wirtschaft und geringe Kaufkraft in der Türkei könnten auch die Nachfrage nach deutschen Exporten beeinträchtigen.

Ökonom befürchtet mögliche Flüchtlingswelle im Fall einer Wirtschaftskrise

Zudem können wirtschaftliche Verwerfungen bei dem bedeutenden Handelspartner Volatilität auf den Finanzmärkten begünstigen. Dies hätte Folgewirkungen für Banken und Investoren, die sich in der Türkei engagierten.

In der „Wirtschaftswoche“ weist Ökonom Erdal Yalcin auch auf die große syrische Gemeinde in der Türkei hin. Fast vier Millionen Geflüchtete aus dem Syrien-Krieg halten sich nach wie vor in dem Nachbarland auf. Im türkischen Wahlkampf wurden sie zum Ziel des Unmuts der Opposition.

Eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage in der Türkei könnte die Spannungen im Land weiter anheizen. Am Ende drohe sogar eine neue große Flüchtlingswelle in Richtung EU.



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