UK: Liz Truss entscheidet Rennen um Vorsitz der Konservativen für sich

In Großbritannien haben die Mitglieder der Konservativen Partei Außenministerin Liz Truss zur neuen Vorsitzenden gewählt. Damit ist sie auch die designierte Nachfolgerin von Boris Johnson im Amt des Premierministers. Dieser war über eine Reihe von Skandalen gestolpert.
Liz Truss wird neue Regierungschefin - und steht von Tag eins vor schweren Aufgaben.
Liz Truss wird neue Regierungschefin - und steht ab Tag eins vor schweren Aufgaben.Foto: Kirsty Wigglesworth/AP/dpa
Von 5. September 2022

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Die Überraschung ist am Ende ausgeblieben. Mit einem Stimmenanteil von 57 Prozent (mehr als 81.000 Stimmen) hat sich die amtierende Außenministerin des Vereinigten Königreichs, Liz Truss, in der entscheidenden Runde der Mitgliederabstimmung um den Posten des Vorsitzenden der britischen Konservativen gegen den früheren Finanzminister Rishi Sunak durchgesetzt. Der ehemalige Finanzminister kam auf 43 Prozent (rund 60.000 Stimmen). Truss zieht damit auch in den Regierungssitz Downing Street ein.

Sie kündigte umgehend einen „kühnen Plan“ für Steuersenkungen und Wachstum an. Sie ist nach Margaret Thatcher und Theresa May die dritte Regierungschefin Großbritanniens. Königin Elizabeth II. wird Truss an diesem Dienstag auf ihrem Schloss Balmoral in Schottland zur Premierministerin ernennen.

Die Abstimmung unter den 200.000 Mitgliedern der konservativen Tories über ihren nächsten Parteichef war am Freitag zu Ende gegangen. Nun wurde das Ergebnis verkündet. Truss hatte zuletzt in allen Umfragen klar vorn gelegen.

Skepsis unter Tory-Wählern von 2019

Die britischen Medien und politische Beobachter hatten in den vergangenen Wochen immer einhelliger einen Sieg für Truss vorausgesagt. Dennoch war es für die 1975 geborene Wahlkreisabgeordnete von South West Norfolk, die bis 1996 den Liberaldemokraten angehört hatte, kein Start-Ziel-Sieg.

In der letzten Runde vor Beginn der Mitgliederbefragung, in der die Parlamentarier der Tories die Vorauswahl trafen, lag sie mit 32 zu 38 Prozent hinter Sunak. Nur knapp landete Truss vor Handelsministerin Penny Mordaunt, die am Ende über das „woke“ Image stolperte. Das hatte sie sich als frühere Gleichstellungsministerin mit Äußerungen zur Transsexualität in Kreisen der Partei eingehandelt.

Selbst unter den Tory-Wählern von 2019 wiesen Umfragen Skepsis gegenüber der Kandidatin aus. Eine erst jüngst publizierte Umfrage des „Guardian“ wies aus, dass nur 21 Prozent von diesen Truss das erforderliche Format für den Posten der Premierministerin zusprachen. Das ist ein Minus von neun Punkten gegenüber der Vorumfrage vom 3. August. Von Sunak sagten immerhin 29 Prozent der konservativen Wählerschaft von 2019, dieser sei für das Amt des Regierungschefs geeignet. Und für dieses ist der siegreiche Kandidat der Mitgliederbefragung auch designiert.

Wahl als Abrechnung mit „Johnson-Verrätern“

Am Ende entschieden sich die 160.000 Mitglieder für Truss, und die Analysten rätseln nun, wie es ihr gelungen ist, unter diesen zur Frontrunnerin zu werden. Die Gründe dafür sind komplex und haben viel mit internen Befindlichkeiten in der Partei zu tun.

Einige Konservative hoffen, Truss könne sich zumindest zu einer zeitlich angepassten Form einer Margaret Thatcher entwickeln. Diese Hoffnung hatte sich bereits im Kontext mit der gescheiterten Premierministerin Theresa May als trügerisch erwiesen.

Andere verzeihen ihren eigenen Parteikollegen die Palastrevolte gegen den scheidenden Regierungschef Boris Johnson nicht. Die geballte Wut darüber bekam nun Rishi Sunak ab, den die Truss-Kampagne erfolgreich als vermeintlichen Rädelsführer der Illoyalen zu brandmarken verstand. Immerhin hatte dieser aus Protest gegen den Umgang Johnsons mit Skandalen rund um Minister-Partys während vergangener Corona-Lockdowns sein Amt niedergelegt.

Zudem gelang es der Truss-Kampagne, die Abstimmung zum Duell zwischen einer vermeintlich hemdsärmeligen und bodenständigen Tochter kleiner Leute und einem glatten, reichen Herrenhausbesitzer zu erheben. Schon aufgrund seines Reichtums wäre dieser weit von der Lebenswelt einfacher Arbeiter entfernt. Truss führte stolz ins Feld, Ohrringe für 4,50 Pfund Sterling (5,22 Euro) zu tragen. Ihr Gegenkandidat bevorzuge hingegen Prada-Schuhe zum hundertfachen Preis.

Dagegen fand Sunak kein Rezept. Selbst sein Versuch, mit dem Verweis auf Truss‘ liberal-demokratische Vergangenheit und ursprüngliche Anti-Brexit-Position zu punkten, war nicht von Erfolg gekrönt. Auf die mögliche Option, sich als treu sorgenden Familienvater darzustellen im Vergleich zu Truss, die Mitte der 2000er-Jahre eine außereheliche Affäre mit einem Abgeordneten gepflegt hatte, verzichtete der Kandidat.

Liz Truss profitiert von ihrer Anpassungsfähigkeit

Dass Truss von der „Remainer“-Fraktion innerhalb weniger Jahre zum Liebling der Brexit-Befürworter der ersten Stunde werden konnte, illustriert zudem ihre „Anpassungsfähigkeit“, die ihr politische Beobachter attestieren. Ein Jahr nach dem Brexit erklärte sie, sie würde ebenfalls einen Austritt befürworten, sollte es zu einer neuerlichen Abstimmung kommen.

Diese bewies sie in den vergangenen Wochen auch thematisch – sie machte die explodierenden Energiepreise zum Thema. In der „Sun“ sagte sie, sie werde „unmittelbare Unterstützung bereitstellen, damit die Menschen sich nicht mit unbezahlbaren Energierechnungen konfrontiert sehen.“ Gleichzeitig versprach sie Steuersenkungen auf breiter Ebene, um die Investitionstätigkeit nicht abreißen zu lassen. Sunak bezeichnete dieses Vorhaben als „Märchen“.
Truss will zudem die Bank of England stärker an die Kandare nehmen – was in der City of London Besorgnis auslöst, an der konservativen Basis aber umso bereitwilliger aufgenommen wird.

Gegenüber der EU betont Großbritanniens künftige Premierministerin, sie sei an einer „positiven Beziehung“ interessiert. Im Fall einer Nichteinigung um offene Streitfragen wäre sie jedoch auch bereit, das Nordirland-Protokoll und damit auch den Austrittsvertrag auszusetzen. Gleichzeitig machte sie deutlich, dass sie einen möglichen Austritt Schottlands aus dem Vereinigten Königreich nicht akzeptieren werde. Dessen Regierungspartei SNP strebt diesen hingegen an.

Großbritanniens Konservative in der Defensive

Neben dem rechten Flügel der Tories gelang es Truss auch, außenpolitische Falken mit zu sich ins Boot zu holen. Seit Beginn der Eskalation der Ukraine-Krise durch die im Februar begonnene russische Militäroffensive hat sich Truss als bedingungslose Unterstützerin der Regierung in Kiew gezeigt und neben Waffenlieferungen auch auf eine immer konfrontativere Rhetorik gegenüber dem Kreml gesetzt. In einer TV-Debatte äußerte sie sogar, im äußersten Fall einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Russland und der NATO Atomwaffen einzusetzen.

Gleichzeitig scheint Truss jedoch auch bereit zu sein, gegenüber nicht westlichen Staaten Kompromisse im eigenen Interesse zu schließen. So betonte sie, die Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien intensivieren zu wollen. Damit will sie die Versorgungssicherheit bezüglich der Energie gewährleisten. Außerdem steht Großbritannien auch dank ihrer Vorarbeit als Ministerin vor dem Abschluss eines umfassenden Freihandelsabkommens mit Indien. Bei diesem Vorhaben ist die EU seit mittlerweile zehn Jahren keinen Schritt mehr weitergekommen.

Wie viel Truss als Premierministerin tatsächlich umsetzen kann, bleibt unklar. Ihre erste Aufgabe wird es sein, die zuletzt zerstrittene Fraktion der Tories zu einen und ihre vormaligen Skeptiker zu überzeugen.

Anschließend hat sie knapp zwei Jahre Zeit, den Konservativen vorzeigbare politische Erfolge zu verschaffen. Spätestens im Januar 2025 steht die nächste Unterhauswahl an. Derzeit würde die oppositionelle Labour Party unter Keir Starmer diese mit knapp 42 Prozent der Stimmen und 333 prognostizierten Sitzen deutlich gewinnen. Dieser folgte als gemäßigte Alternative Jeremy Corbyn nach, der als linksradikal galt.

Dadurch erleichterte er Beobachtern zufolge den Konservativen den Wahlsieg in entscheidender Weise. Die Tories kämen mittlerweile nur noch auf etwas über 31 Prozent und 222 Sitze. Die schottischen Nationalisten könnten mit 51 Mandaten rechnen, die Liberaldemokraten mit 19, die DUP mit acht. Alle sonstigen Parteien kommen auf 17 Sitze.

(Mit Material von afp und dpa)



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