Vier Buchstaben und ein „Leak“: Ist TTIP noch zu retten?

Mit der Veröffentlichung von 240 Seiten vertraulicher Verhandlungspapiere, die den Umweltschützern von Greenpeace von einem Informanten zugespielt wurden, ist zumindest ansatzweise Schluss mit der Geheimniskrämerei.
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"TTIP-Leseraum" von Greenpeace vorm Brandenburger Tor.Foto: Getty Images
Epoch Times3. Mai 2016
Vor zehn Tagen versuchte der mächtigste Mann der Welt, die „German Angst“ vor TTIP etwas zu lindern. „Man muss die Tatsachen ansehen und nicht die hypothetischen Möglichkeiten“, lautete Barack Obamas Botschaft an die Deutschen bei seinem Besuch auf der Hannover Messe.

Nach den von Greenpeace enthüllten TTIP-Geheimdokumenten bekommt der Satz eine ganz neue Dimension.

Was ist TTIP?

Die Abkürzung TTIP steht für „Transatlantic Trade and Investment Partnership“, auf Deutsch: Transatlantisches Handels- und Investitionsabkommen. Ziel ist es, Zölle, verschiedene Vorschriften oder Hürden für Investitionen abzubauen, damit der Handel zwischen den beiden Wirtschafts-Supermächten EU und USA mit 800 Millionen Verbrauchern stärker floriert. Bereits fertig ausgehandelt ist das EU-Kanada-Abkommen Ceta, das als Blaupause für TTIP gilt.

Bei den Verhandlungen über das Freihandelsabkommen TTIP wird auch über das Vorsorge- und das Risikoprinzip gestritten.

– Das bislang in Europa geltende VORSORGEPRINZIP gilt als ein Grundpfeiler der EU-Umweltpolitik. Es erlaubt Produkte nur, wenn sie für Mensch und Umwelt nachweislich unschädlich sind. Produkte können darum auch vorsorglich vom Markt genommen werden, wenn die verfügbaren wissenschaftlichen Daten noch keine umfassende Risikobewertung zulassen. Das ermöglicht in der EU eine schnelle Reaktion auf mögliche Gesundheits- und Umweltgefahren.

– Dem in den USA angewandten RISIKOPRINZIP zufolge muss die Regulierungsbehörde zweifelsfrei nachweisen, dass von einem Stoff eine Gefahr ausgeht, damit er vom Markt genommen werden kann. Bis das der Fall ist, bleibt er zugelassen. Demnach sind in den USA etliche Produkte auf dem Markt, die in der EU nicht gehandelt werden dürfen. Das gilt für Hormonfleisch sowie genmanipulierte Pflanzen und Lebensmittel ebenso wie für viele Chemikalien in Kosmetika.

Sind die „TTIP Leaks“ eine Sensation?

Mit der Veröffentlichung von 240 Seiten vertraulicher Verhandlungspapiere, die den Umweltschützern von Greenpeace von einem Informanten zugespielt wurden, ist zumindest ansatzweise Schluss mit der Geheimniskrämerei. Erstmals kann jeder Bürger selbst nachlesen, was die USA konkret von den Europäern verlangen. Greenpeace baute am Montag einen gläsernen Container vor dem Brandenburger Tor auf, wo jedermann einen Blick auf die Papiere werfen konnte. Allein das ist schon ein echter Fortschritt.

Was steht in den Unterlagen selbst?

Es ist ein riesiger Berg an Textvorschlägen, der offenlegt, was Amerikaner und Europäer jeweils an Maximalforderungen durchsetzen wollen. Es wimmelt von eckigen Klammern – das heißt, es gibt noch keine Einigung. Inhaltlich sind die „Enthüllungen“ für Fachleute keine wirkliche Überraschung. Bekannt ist, dass US-Bundesstaaten europäische Firmen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge möglichst draußenhalten wollen. Auch stinkt es den Amerikanern, dass die Europäer zum Schutz der Verbraucher bereits vorsorglich bestimmte Produkte und Chemikalien verbieten – in den USA passiert das erst, wenn es wissenschaftliche Nachweise für eine Schädlichkeit gibt.

Landen Hormonfleisch und Genfood bald in deutschen Supermärkten?

Bundesregierung und EU schließen das aus – egal, wie groß der Druck aus Washington ist. „Es wird kein Hormonfleisch in Deutschland geben“, erklärt das Wirtschaftsministerium in Berlin. Auch werde an den strengen EU-Regeln zur Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel nicht gerüttelt. Greenpeace räumt ein, dass in den gesamten Unterlagen das Wort Gentechnik kein einziges Mal auftaucht. Seit langem umstritten ist der Schutz regionaler Spezialitäten. Das EU-Recht schmeckt den Amerikanern gar nicht. Bei ihnen darf ein Schaumwein aus Kalifornien als „Kalifornischer Champagner“ vertrieben werden. In der EU ist das nur für Schaumweine erlaubt, die aus dem französischen Weinanbaugebiet Champagne kommen.

Bekommen Konzerne bei TTIP Sonderrechte?

Bestimmte Regeln, dass sich ausländische Unternehmen gegen staatliche Willkür wie Enteignungen wehren können, gibt es seit Jahrzehnten in Handelsabkommen. Auf deutschen Druck will Brüssel bei TTIP durchsetzen, dass private Schiedsgerichte durch ein internationales Handelsgericht mit Berufsrichtern und einer Berufungsinstanz ersetzt werden. Washington hält davon bislang nichts.

Wie fallen die Reaktionen auf die TTIP-Papiere aus?

Umwelt- und Verbraucherschützer sehen ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt. „Die „TTIP-Leaks“ zeigen eindeutig, dass es in den Verhandlungen darum geht, auf Kosten hoher Verbraucherschutzstandards die Interessen der Agrar- und der Chemieindustrie durchzusetzen“, meint BUND-Chef Hubert Weiger. Die Wirtschaft hält dagegen. „Mit der Veröffentlichung von Verhandlungszwischenständen werden bewusst Ängste geschürt, um das gesamte Vorhaben zu diskreditieren“, kritisiert der Chef des Autolobbyverbands VDA, Matthias Wissmann.

Präsident Obama und Kanzlerin Merkel wollen TTIP bis zum Jahresende fertig haben – kann das jetzt noch gelingen?

Die Zweifel sind groß, ob der Mega-Vertrag zumindest in Eckpunkten steht, bevor Obama Anfang 2017 das Weiße Haus verlässt. Am Freitag ging in New York die 13. Verhandlungsrunde zu Ende. Es gab kaum Bewegung, wesentliche Knackpunkte wurden vertagt. „Die Amerikaner verhandeln beinhart“, sagt ein Beamter, der mit am Tisch sitzt. Auch die Europäer haben nichts zu verschenken. Unklar ist, ob es bei der für Juli in Brüssel angesetzten 14. Runde schon zum Finale kommt, wo in wichtigen Bereichen endgültige Kompromisse festgezurrt werden. In der SPD haben viele bereits jetzt die Nase voll – der linke Flügel und die Jusos fordern ihren Parteichef und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel auf, die Verhandlungen platzen zu lassen.

(dpa)


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