Ukrainekrieg: Frieden durch Verhandlungen möglich?

Drei Professoren und ein Militärexperte auf Friedensmission: Brandt, Funke, Kujat und Teltschik haben ihre Expertisen in Politik, Militär und Geschichte gebündelt und eine Analyse der Situation mit dem nachfolgenden, profundem „Schlachtplan für den Frieden“ in der Ukraine veröffentlicht: „Den Krieg mit einem Verhandlungsfrieden beenden.“
Ein ukrainischer Schützenpanzer feuert auf russische Stellungen in der Region Donezk.
„Den Krieg mit einem Verhandlungsfrieden beenden.“Foto: LIBKOS/AP/dpa
Von 17. September 2023

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Anleitung zum Friedlichsein: Das Pamphlet beginnt mit einem Satz, der eigentlich gar nicht dort stehen sollte, weil er eine Selbstverständlichkeit sein müsste: „Legitime Selbstverteidigung und das Streben nach einem gerechten und dauerhaften Frieden sind kein Widerspruch.“ Von seinen vier Autoren wird das Schriftstück als „Verhandlungsvorschlag“ bezeichnet.

Wegweiser aus der Gefahr

Für diesen haben sich vier – offenbar friedensbewegte – Experten ihrer Gebiete zusammengetan, um nach Analyse der Ist-Situation mit einem Handlungsleitfaden aufzuwarten, wie es möglich wäre, in drei Phasen den Krieg in der Ukraine mit einem „Verhandlungsfrieden“ beenden zu können.

Der Vorschlag der vier Autoren ist in der Schweizer Zeitung  „Zeitgeschehen im Fokus“ erschienen. Das Portal hat sich selbst auf die Fahnen geschrieben, für „mehr soziale Verbundenheit, Frieden und direkte Demokratie“ wirken zu wollen. Für den Appell haben sich drei Professoren und ein Militärexperte – allesamt namhaft in ihren Fachgebieten – zusammengetan:

Professor Dr. Peter Brandt, Sohn von Willy Brandt, Historiker und Geschichtsprofessor im Ruhestand (FernUni Hagen), Erstunterzeichner von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzers „Manifest für Frieden“. Dann Professor Dr. Hajo Funke, berenteter Politikwissenschaftler und Extremismusforscher an der FU Berlin. Professor Dr. h. c. Horst Teltschik, ehemaliger Chef der Münchner Sicherheitskonferenz und zuvor unter Helmut Kohl Leiter der Abteilung „Auswärtige und innerdeutsche Beziehungen, Entwicklungspolitik, Äußere Sicherheit“ im Bundeskanzleramt, seinerzeit in Bonn.

Hinzu kommt Harald Kujat, General a. D. der Luftwaffe, von 2000 bis 2002 der Generalinspekteur der Bundeswehr und im Anschluss Vorsitzender des NATO-Militärausschusses, der schon seit Beginn des Ukraine-Krieges gewarnt hatte, dass die Eskalationsgefahr groß sei und sich – nicht zuletzt getragen durch Fachwissen, Erfahrung und Insiderwissen – immun gezeigt hatte gegenüber den „politisch gewollten Leitplanken des Mainstreams“.

Verhandlungsvorschlag: Analyse, Appell und Aktionsplan

Das Dokument startet mit einer analytischen Bestandsaufnahme, belegt mit umfassenden Quellen der aktuellen Situation: „Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs am 24. Februar 2022 führt die Ukraine einen legitimen Verteidigungskrieg, in dem es um ihr Überleben als Staat, ihre nationale Unabhängigkeit und Sicherheit geht. […] Die Legitimität der bewaffneten Selbstverteidigung auf der Grundlage des Art. 51 der UNO-Charta entbindet die Regierung in Kiew und die sie unterstützenden Staaten allerdings nicht von der Verpflichtung – nicht zuletzt gegenüber dem eigenen Volk –, Vernunft walten zu lassen, sich der Steigerung von Gewalt und Zerstörung nicht hinzugeben und die Erlangung eines gerechten und dauerhaften Friedens politisch zu befördern.“

Appell an Vernunft und Erinnerung an das Friedensgebot

Die Autoren erinnern die Bundesregierung an das Friedensgebot des Grundgesetzes und weisen auf Verpflichtung zur friedlichen Beilegung des Konfliktes durch zwei unterschriebene UN-Resolutionen hin, die eine „friedliche Beilegung des Konfliktes zwischen der Russischen Föderation und der Ukraine durch politischen Dialog, Verhandlungen, Vermittlung und andere friedliche Mittel“ fordert. Es folgt der zusätzliche Hinweis: „Diese Verpflichtung gilt auch für die ukrainische Regierung, die weiterhin Verhandlungen mit Russland ablehnt.“

Je länger der Krieg, desto größer Verluste und Zerstörung in der Ukraine

In dem dann folgenden Teil wird von den Experten festgestellt: „Die Ukraine hat dem russischen Angriffskrieg bisher durch die umfassende Unterstützung des Westens widerstanden.“ Darauf folgt die Warnung vor mutmaßlich überbordenden Forderungen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj nach Waffenlieferungen aus dem Westen:

„Die Entscheidung darüber, welche Aufwendungen geleistet werden müssen, damit der Krieg gegen jede Vernunft und trotz der Unerreichbarkeit der politischen Ziele weitergeführt wird, darf jedoch auf Dauer nicht allein der ukrainischen Regierung überlassen werden.“ Denn das habe bislang zur großen Zahl gefallener Soldaten und getöteter ukrainischer Zivilisten und die Zerstörung der Infrastruktur geführt. Weiter heißt es warnend, je länger der Krieg dauere, desto größer werden die ukrainischen Verluste und die Zerstörung des Landes.

Warnung von Worst-Case-Szenario

Auch vor den möglichen Folgen der ausufernden Forderungen nach Waffen aus dem Westen bei ausbleibenden „durchgreifenden Erfolgen“ für die Ukraine wird gewarnt. Scheitert die Offensive, so sei damit zu rechnen, dass die Ukraine fordern wird, „westliche Soldaten sollen westlichen Waffen folgen.“ Aber auch westliche Waffenlieferungen könnten die enormen personellen Verluste der ukrainischen Streitkräfte nicht ausgleichen, während Russland noch Ressourcen habe.

Unter dem Paragrafen – „Diesen Krieg kann niemand gewinnen“ – wird der Grund dafür dargelegt: Denn von keiner der Kriegsparteien „werden die politischen Ziele erreicht, deretwegen sie diesen Krieg führen.“ Ob der immer wieder aufs Neue von Laien geforderten Lieferung von „Wunderwaffen“  wird vor der Gefahr eines Nuklearkrieges gewarnt, vor einem möglichen militärischen Konflikt zwischen der NATO und Russland.

Die große Frage: Kann man mit Putin verhandeln?

Es gebe keinen Beleg dafür, dass das politische Ziel der „militärischen Spezialoperation“ die Eroberung der gesamten Ukraine ist und Russland danach einen Angriff auf NATO-Staaten plant. Aus militärischer Sicht könne man zwar nicht völlig ausschließen, dass die russischen Streitkräfte beabsichtigen, Gebiete westlich des Dnjepr zu erobern. Putin widerspreche energisch und fest stehe auch: „Putin war zu Verhandlungen mit der Ukraine bereit und ist es sicherlich noch – dies immer unter der Voraussetzung, dass Verhandlungen auch von der Gegenseite gewollt werden.“ Es folgt eine mit Quellenangaben versehene Auflistung, wie Putin sich mehrfach dahin gehend geäußert hat, inklusive Quellen und Belegen.

Unter anderem steht in der Erklärung zur Annexion der vier Regionen vom 30. September 2022: „Wir rufen das Kiewer Regime dazu auf, unverzüglich das Feuer einzustellen, alle Kampfhandlungen, diesen Krieg, den es bereits 2014 vom Zaun gebrochen hat, zu beenden und an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Wir sind dazu bereit, das haben wir bereits mehrfach erklärt.“

Kriegerischer Konjunktiv: verhindern – beenden

Auch die vergebenen Friedenschancen werden analysiert: Der Krieg hätte verhindert werden können, wenn der Westen einen neutralen Status der Ukraine akzeptiert – wozu Selenskyj anfangs durchaus bereit war –, auf eine NATO-Mitgliedschaft verzichtet und das Minsk-II-Abkommen für Minderheitenrechte der russischsprachigen Bevölkerung durchgesetzt hätte.

Auch hätte der Krieg bereits Anfang April 2022 beendet werden können, wenn der Westen den Abschluss der Istanbul-Verhandlungen zugelassen hätte.

„Frieden ist möglich – ein Weg aus der Gefahr“

Dann wird eine konkrete Vorgehensweise nach dem Motto „Frieden ist möglich – ein Weg aus der Gefahr“ aufgezeigt, auch wenn die aufgelisteten Positionen der Kriegsparteien unvereinbar erscheinen. Beispiel: Ukraine – NATO-Mitgliedschaft nach Beendigung des Krieges. Russland – konsolidierte Neutralität der Ukraine, keine NATO-Mitgliedschaft.

Hier kommt der Vorschlag nach Analyse der Ist-Situation: „Beide Kriegsparteien haben nach dem Rückzug der Ukraine aus den Vereinbarungen von Istanbul Vorbedingungen für die Aufnahme von weiteren Verhandlungen gestellt. Der ukrainische Präsident hat sogar Verhandlungen per Dekret verboten. Auch für die Verhandlungsergebnisse wurden von beiden Seiten Forderungen erhoben, die so nicht realisierbar sind.

Deshalb müsste erreicht werden, dass zunächst alle Bedingungen für die Aufnahme von Verhandlungen fallen gelassen werden. Das chinesische Positionspapier bietet dafür einen vernünftigen Ansatz. Es fordert, die Verhandlungen von Istanbul auf dem damals erreichten Stand wieder aufzunehmen.“

Ferner wird die besondere Rolle der USA für das Zustandekommen von Friedensverhandlungen herausgestellt: Diese müssten den ukrainischen Präsidenten zu Verhandlungen drängen und sie müssten zusammen mit der NATO „zu Rüstungskontrollverhandlungen einschließlich vertrauensbildender militärischer Maßnahmen bereit sein“.

Drei Phasen: Anleitung heraus aus dem Kriegsgeschehen

Phase I – Waffenstillstand

1. Der UNO-Sicherheitsrat beschließt gemäß Artikel 24 Absatz 1 der UNO-Charta einen Zeit- und Ablaufplan für einen Waffenstillstand und für Verhandlungen zur Beendigung des Ukraine-Krieges und die Wiederherstellung des Friedens. Danach kommt der Waffenstillstand. Der Sicherheitsrat beauftragt einen Hohen Kommissar für Frieden und Sicherheit in der Ukraine und beschließt den Einsatz einer UNO-Friedenstruppe zur Einhaltung und Durchsetzung des Waffenstillstands und der vereinbarten Maßnahmen.
2. Die Konfliktparteien stellen an dem vom UNO-Sicherheitsrat bestimmten Zeitpunkt alle Kampfhandlungen ein.
3. Ab diesem Zeitpunkt werden keine Waffen und Munition mehr an die Ukraine geliefert. Auch Russland stellt die Zuführung von Waffen und Munition ein.
4. Alle irregulären ausländischen Kräfte, Militärberater und Angehörigen von Nachrichtendiensten beider Kriegsparteien werden vom ukrainischen Territorium abgezogen.

Phase II – Friedensverhandlungen

1. Die Friedensverhandlungen unter dem Vorsitz des UNO-Generalsekretärs und/oder des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Frieden und Sicherheit in der Ukraine am Sitz der Vereinten Nationen in Genf.

2. Beide Konfliktparteien bekräftigen ihre Absicht, den Krieg zu beenden und eine dauerhafte, friedliche Regelung aller strittigen Fragen bei Anknüpfung an Ergebnisse der Istanbul-Verhandlungen anzustreben.
3. Elemente einer Verhandlungslösung:
a) Die Konfliktparteien
Selbstverpflichtung beider Parteien zu Transparenz, Gewaltlosigkeit und dazu keine kriegsvorbereitenden Maßnahmen zu treffen. Akzeptanz der UNO-Friedenstruppe auf ukrainischem Territorium. Beide Parteien verpflichten sich, alle Streitfragen unter Zuhilfenahme der UN zu klären. Das Recht der Ukraine auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung gemäß Artikel 51 der UNO-Charta ist davon unberührt.
b) Russland zieht seine Streitkräfte auf dem ukrainischen Territorium auf den Stand vom 23. Februar 2022 zurück. Zudem zieht Russland seine Streitkräfte auf seinem Territorium aus einer Zone von 50 Kilometern Breite bis zur ukrainischen Grenze zurück, die seit dem 24. Februar 2022 in diese Zone verlegt wurden.
c) Die Ukraine zieht ihre Streitkräfte aus einer Zone von 50 Kilometern Breite bis zur russischen Grenze einschließlich der Regionen Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson zurück. Die Ukraine erklärt den permanenten Status als neutraler Staat und tritt keinem militärischen Bündnis – einschließlich der Nordatlantischen Allianz – bei. Die Souveränität, territoriale Integrität und staatliche Unabhängigkeit der Ukraine werden durch entsprechende Zusagen von Garantiemächten gewährleistet. Die Garantiezusagen gelten nicht für die Krim und Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson innerhalb der ehemaligen Verwaltungsgrenzen. Die Ukraine verzichtet auf die Entwicklung, den Besitz und die Stationierung von Nuklearwaffen auf ihrem Territorium. Sie wird keine permanente oder befristete Stationierung von Streitkräften einer fremden Macht oder deren militärischer Infrastruktur auf ihrem Territorium zulassen und auch keine Übungen und Manöver von ausländischen Streitkräften. Vereinbarte Höchstgrenzen für die ukrainischen Streitkräfte innerhalb von zwei Jahren werden umgesetzt.

„d) Die Probleme im Zusammenhang mit der Krim und Sewastopol werden innerhalb von 15 Jahren bilateral auf diplomatischem Wege verhandelt und unter Verzicht auf militärische Gewalt gelöst.
e) Der künftige Status der Regionen Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson wird in den Verhandlungen einvernehmlich vereinbart. Russland wird den Flüchtlingen die Rückkehr ermöglichen. Sollten die Verhandlungspartner in dieser Frage keine Einigung erzielen, wird der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Frieden und Sicherheit in der Ukraine innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten des Friedensvertrages ein Referendum durchführen, in dem die Bevölkerung über den künftigen Status entscheidet. Russland und die Ukraine verpflichten sich, das Ergebnis des Referendums anzuerkennen und bis zum Ende des Jahres, in dem das Referendum stattgefunden hat, in ihren nationalen Gesetzgebungen umzusetzen. Für die Bevölkerung einer oder mehrerer Regionen, die sich für den Verbleib im ukrainischen Staatsverband entscheidet, wird die ukrainische Regierung bis zum Ende des Jahres, in dem das Referendum stattgefunden hat, Minderheitenrechte nach europäischem Standard in die Verfassung aufnehmen und umsetzen (entsprechend dem Minsk II-Abkommen).
f) Garantiestaaten, die Mitglieder der Europäischen Union sind, werden die Mitgliedschaft der Ukraine durch die Unterstützung rechtsstaatlicher und demokratischer Reformen fördern.
g) Der Wiederaufbau der ukrainischen Wirtschaft und Infrastruktur wird durch eine internationale Geberkonferenz gefördert.
h) Beide Vertragsparteien werden an einer Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa im KSZE-Format mit dem Ziel einer europäischen Sicherheits- und Friedensordnung teilnehmen und diese konstruktiv unterstützen.
i) Der Vertrag tritt in Kraft, sobald beide Vertragsparteien und fünf Garantiestaaten den Vertrag unterzeichnet und, so weit erforderlich, die Parlamente dieser Staaten dies gebilligt haben, sowie die Ukraine ihren Status als neutraler, unabhängiger und bündnisfreier Staat (ohne das Ziel einer NATO-Mitgliedschaft) durch die Änderung der Verfassung kodifiziert hat.
k) Etwaige Verzögerungen rechtfertigen weder den Bruch des Waffenstillstands noch den Rücktritt von den bis dahin erreichten Vereinbarungen.

Phase III – Eine europäische Sicherheits- und Friedensordnung

Langfristig kann nur eine europäische Sicherheits- und Friedensordnung die Sicherheit und Freiheit der Ukraine gewährleisten, in der die Ukraine und Russland ihren Platz haben. Eine europäische Sicherheitsarchitektur, in der die geostrategische Lage der Ukraine keine Schlüsselrolle mehr für die geopolitische Rivalität der Vereinigten Staaten und Russlands spielt. Der Weg dorthin führt über eine Konferenz im KSZE-Format, die an die großen Fortschritte der „Charta von Paris“ anknüpft und diese unter Berücksichtigung der gegenwärtigen sicherheitspolitischen und strategischen Rahmenbedingungen weiterentwickelt.

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Der Verhandlungsvorschlag mit zahlreichen Quellenangaben ist HIER in vollem Umfang zu lesen.



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