Zwischen den Trümmern brodelt die Gerüchteküche

Kathmandu (dpa) - Jeden Abend drängen sich Hunderttausende Menschen in Nepal auf Plätzen und in Parks, um zu kochen, zu beten - und Gerüchte auszutauschen. Sie wollen nicht in ihren Häusern bleiben, da sie fürchten, dass bei einem gigantischen…
Epoch Times29. April 2015
Jeden Abend drängen sich Hunderttausende Menschen in Nepal auf Plätzen und in Parks, um zu kochen, zu beten – und Gerüchte auszutauschen. Sie wollen nicht in ihren Häusern bleiben, da sie fürchten, dass bei einem gigantischen Nachbeben die geschwächten Wände endgültig zusammenstürzen könnten.

„Ich habe gehört, das nächste wird die Stärke 15 auf der Richter-Skala haben“, sagt ein Student. Dabei wurde auf der Erde bisher kein Beben stärker als 9,5 gemessen. Doch sein Freund kann sogar den genauen Zeitpunkt für das große Nachbeben angeben, auf die Minute genau. Andere behaupten, die US-Raumfahrtbehörde Nasa habe eine Vorhersage abgegeben.

Seit dem gewaltigen Erdbeben der Stärke 7,8 am Samstag brodelt die Gerüchteküche in dem Himalaya-Land – und verbreitet Angst in den Zeltstädten und schnell zusammengezimmerten Notunterkünften. Phool Kumari Rai etwa glaubt den Weissagern. „Ich will einfach kein Risiko eingehen. Vielleicht ist es ja nicht wahr, aber mein Herz sagt: Was ist, wenn doch?“ Deswegen verbringt die 50-Jährige die ganze Nacht in einem Zelt in Naxal in Kathmandu, während ihre Kinder und Enkelkinder im Haus schlafen.

Andere Gerüchte befassen sich mit der Ursache der Naturkatastrophe. Das Erdbeben geschah, weil der Mond sich umdrehte, lautete eines davon. Es verbreitete sich so rasant, dass die Lokalregierung von Patna in Indien – das auch von dem Erdbeben betroffen ist – eine offizielle Erklärung herausgab, in der es heißt: „Berichte, dass der Mond sich auf den Kopf gestellt hat, sind völlig falsch. Der Mond ist, wo er sein sollte.“

Der Chef des Katastrophenmanagements in Nepal erklärt, die Geschichten behinderten die Arbeit der Hilfsteams. Denn nun schliefen auch viele derjenigen Menschen im Freien, die eigentlich stabile Häuser haben, sagt Ram Kumar Dahal. Sogar seine Beamten fragten nach Zeltplanen. „Ich musste sie ausschimpfen“, sagt er.

In vielen Teilen Südasiens gehört das Weitererzählen von Hörensagen-Geschichten zum Alltag. Das gilt auch für Nepal, wo laut Unicef nur 57 Prozent der Menschen lesen und schreiben können. Außerdem leben dort viele Menschen in abgelegenen Regionen oder haben in einem Land, das zu den 20 ärmsten der Welt gehört, weder Zugang zu Internet noch Bibliotheken.

Der Polizist Naresh K.C. erzählt, die Leute fragten ihn überall danach, wann denn das nächste große Erdbeben komme. „Als seien wir dafür Experten“, stöhnt er. Manchmal sind auch die lokalen Medien mit schuld. „Ein noch größeres Erdbeben kommt auf uns zu, sagen Experten“, lautete die Schlagzeile eines Online-Nachrichtenportals. Drei Journalisten landeten dafür hinter Gitter.

(dpa)


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