Bayern: Grüne wollen Gedenkkultur für Kriegsgräber reformieren

Traditionelle Abläufe von Gedenkfeiern, die „in die 60er Jahre zurückreichen“, Gedenken an gefallene Bundeswehrsoldaten auf Kriegsgräberstätten mit SS-Soldaten – das passt nach Ansicht von Bayerns Grünen nicht zusammen. In ihren Augen wäre es Zeit für Veränderungen.
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Foto: Jürgen Winkelbach, 2008
Von 4. September 2023

Die bayerischen Grünen fordern eine Reform in der Gedenkkultur an die Kriegsgefallenen, die auf den Kriegsgräberstätten in Bayern ihre letzte Ruhe fanden.

In einer schriftlichen Anfrage an die Landesregierung kritisieren sie zum einen den traditionellen Ablauf der jährlich stattfindenden Gedenkrituale, deren Wurzel laut ihrer Aussage „in die 60er Jahre zurückreicht“.

Zum anderen halten sie es für „problematisch“, dass in Hofkirchen neben SS-Soldaten auch ein Gedenkstein für gefallene Bundeswehrsoldaten steht.

Zivilisten, Militärs, Zwangsarbeiter, Widerstandskämpfer

Dabei beziehen sich die bayerischen Grünen auf eine wissenschaftliche Studie, derzufolge in der Kriegsgräberstätte Hofkirchen einem in Afghanistan gefallenen Bundeswehrsoldaten aus Niederbayern gedacht wird – und wo auch 369 „SS-Männer“ begraben liegen würden.

Darunter seien ein Stabsfeldwebel des SS-Wachbataillons des KZ Sachsenhausen, ein SS-Sturmscharführer und ein SS-Unterscharführer aus dem KZ Flossenbürg sowie vier Unterscharführer von SS-Totenkopfstandarten, zwei Rottenführer einer Totenkopfstandarte beziehungsweise eines Konzentrationslagers. Hinzu käme ein Obergefreiter der „besonders berüchtigten“ SS-Brigade Dirlewanger.

Die Landesregierung erklärt daraufhin, dass auf nahezu allen „Kriegsgräberstätten“ in Deutschland neben deutschen und nicht-deutschen Soldaten beider Weltkriege auch zahlreiche zivile Opfer des Krieges liegen würden. Hinzu kämen dann noch ausländische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, hingerichtete Deserteure und Widerstandskämpfer sowie weitere Opfer der NS-Gewaltherrschaft.

„Keine Unterscheidung zwischen Wehrmachts- oder SS-Soldat“

Gegenüber Epoch Times erklärte der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V., dass zwischen Wehrmachtssoldat oder SS-Soldat nicht unterschieden wird: „Dies würde den rechtlichen Grundlagen der Arbeit der Kriegsgräberfürsorge zuwiderlaufen.“

Und weiter: In Bayern würden über 166.000 Tote ruhen, die unter das Gräbergesetz (früher Kriegsgräbergesetz) fielen. Ihre Gräber würden sich auf über 800 Orte in rund 540 Gemeinden verteilen. 97.000 von ihnen seien in Konzentrationslagern ermordet worden. Etwa 64.000 seien als deutsche oder ausländische Soldaten der beiden Weltkriege beziehungsweise als Kriegsgefangene ums Leben gekommen oder seien zivile Opfer des Krieges oder Opfer der NS-Diktatur, die außerhalb der Konzentrationslager zu Tode gekommen seien (zum Beispiel Zwangsarbeiter). Weitere 5.000 Bestattete seien in Folge von Flucht und Vertreibung verstorben.

Nach den Schätzungen und Hochrechnungen des Volksbundes, basierend auf dem Standardwerk „Deutsche militärische Verluste im Zweiten Weltkrieg“ von Rüdiger Overmans, gehörten circa sechs Prozent der Toten, die auf deutschen Kriegsgräberstätten im In- und Ausland bestattet sind, SS-Organisationen an. Die Verluste der Waffen-SS betrugen laut Overmans bis zu 350.000 Mann.

„Grabfürsorge Akt von Barmherzigkeit und Nächstenliebe“

Kriegsgräberfürsorge würde sich stets in einem Spannungsfeld zwischen nationalstaatlicher Aufgabe (Gräbergesetz), humanitärem Völkerrecht und ethischer Verpflichtung bewegen, erklärt der Volksbund.

Aus ethischer Sicht ist für den Volksbund das Begraben von Toten im Christentum ein Werk der Barmherzigkeit und Nächstenliebe. Es fände sich im Buch der Geschichte Tobits (Tobit 1,17) wieder: „Mein Brot gab ich den Hungernden und Kleider den Nackten; und wann immer ich sah, dass jemand aus meinem Volk starb und hinter die Mauer von Ninive geworfen wurde, begrub ich ihn.“

Laut Gräbergesetz dienen Kriegsgräberstätten dazu, „der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft in besonderer Weise zu gedenken und für zukünftige Generationen die Erinnerung daran wach zu halten, welche schrecklichen Folgen Krieg und Gewaltherrschaft haben“.

Laut Genfer Abkommen über den Schutz der Opfer bewaffneter Konflikte sollen Gefallene mit allen Ehren und wenn möglich gemäß den Riten der Religion, der sie angehören, bestattet werden. Zudem sollen ihre Gräber geachtet und wenn möglich nach der Staatsangehörigkeit geordnet, angemessen unterhalten und so gekennzeichnet werden, dass sie jederzeit wieder auffindbar sind.

„Kriegsgräberstätten geben unverfälschtes Spiegelbild der Gesellschaft“

Heute sei die Mahnung zum Frieden und die Erinnerung an die Schrecken des Krieges maßgeblich für das Gedenken an Kriegsgräberstätten, so der Volksbund. „Zur Erinnerung gehört dabei auch das Wissen darum, dass auf prinzipiell allen Kriegsgräberstätten (explizit ausgenommen sind nur die sog. KZ-Friedhöfe) auch Menschen ruhen, die unterschiedlich in Umfang und Intensität an Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt waren.“

Die Kriegsgräberstätten würden somit ein „realistisches und unverfälschtes“ Spiegelbild der damaligen Gesellschaft darstellen, heißt es weiter. Eine Trennung von Wehrmachts- und SS-Soldaten habe auch keinen Sinn.

Denn ebenso gewiss wie der Umstand, dass es auch unter den Angehörigen der SS nicht ausschließlich Täter gab, ist auch, dass auch unter den Angehörigen und Kriegstoten der Wehrmacht Täter und Schuldige zu finden seien, wendet der bayerische Volksbund ein. „Eine rein institutionelle Trennung wäre daher eine bewusst falsche historische Simplifizierung des Problems.“ Stattdessen müsste die Frage nach Schuld und Verantwortung für jeden Einzelfall in den Blick genommen werden.

Grüne kritisieren traditionellen Ablauf der „Gedenkrituale“

Zum anderen kritisierten die Grünen den traditionellen Ablauf der jährlich stattfindenden Gedenkrituale in Hofkirchen: „Mit einem Militärmarsch wird begrüßt, worauf ein von Trommelschlägen begleiteter Schweigemarsch zum Friedhof unter Bundeswehr-Kommando folgt. Nach dem Einmarsch der Soldaten, der Ehrengäste, des Fahnenblocks und der Vereine in den Friedhof folgt die Ansprache des Landrats, die Kranzniederlegung sowie das Spielen des Deutschlandliedes und der Bayernhymne. Der Rückmarsch wird von Marschmusik begleitet.“

Der Volksbund kommentiert, dass man dort, wo man verantwortlich sei, beispielsweise bei der zentralen Gedenkveranstaltung im Deutschen Bundestag oder bei der bayerischen Landesfeier zum Volkstrauertag, das Gedenken „modern und zeitgemäß gestaltet“. Dazu nutze man unter anderem Beiträge junger Menschen.

Im Rahmen eines Jugendseminars fragte man nach Vorschlägen und Änderungswünschen für die Gestaltung des Volkstrauertages. Die Antworten und Anregungen habe man dann veröffentlicht und verteilt. „Uns ist eine zeitgemäße Gestaltung ebenso wichtig wie eine transparente Kommunikation“, erklärt der Volksbund.

Die Staatsregierung möchte selbst keine Vorgaben für Gedenkveranstaltungen machen, antwortet sie auf die Grünen-Anfrage. Man nehme eventuell nur dann Einfluss, wenn ein Kabinettsmitglied als Vertreter der Staatsregierung an einer Gedenkveranstaltung teilnimmt. „Form und Inhalt des Gedenkens stehen ansonsten allein in der Verantwortung des jeweiligen Veranstalters.“

In einer früheren Regierungsantwort erklärte der Freistaat, dass er in Veranstaltungen anlässlich des Gedenkens an die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft keine „Feierlichkeiten zu Ehren gefallener Soldaten“ sehe.

Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Im Nürnberger Prozess 1946 erklärte das Internationale Militärtribunal unter Vorsitz des sowjetischen Richters Iola T. Nikitschenkodie die Waffen-SS wie auch die allgemeine SS und die Totenkopfverbände wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verbrecherischen Organisationen.

Neben ihr wurden auch das Korps der politischen Leiter der NSDAP, die SA, die Reichsregierung, der Generalstab, die Gestapo und der Sicherheitsdienst zu verbrecherischen Organisationen erklärt.



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