Bürgerrechtler kritisieren mögliche Sanktionen gegen Telegram

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Messenger-Dienst Telegram auf dem Smartphone. Symbolbild.Foto: ALEXANDER NEMENOV/AFP via Getty Images
Von 4. Februar 2022

Die von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) vorgeschlagenen Sanktionen gegen den Messenger-Dienst Telegram stoßen bei Medienvertretern und Bürgerrechtlern auf Kritik. Demian von Osten, Moskau-Korrespondent der ARD, verwies darauf, dass sein Team ohne Telegram mit Oppositionellen in Belarus wegen der Kontrolle durch den Geheimdienst überhaupt nicht kommunizieren könne.

Die iranisch-deutsche ARD Korrespondentin Natalie Amiri schrieb auf Twitter: „In Demokratien sind Messengerdienste wie #Telegram eine Schwächung fürs System, in totalitären Regimen oft der einzige Weg der einigermaßen freien Kommunikation der Zivilbevölkerung.“

„Abschalten“ steht nicht mehr zur Debatte

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte setzt nach: Ein Verbot von Telegram in den App-Stores behindere die Meinungsfreiheit. Ein solcher Schritt wäre auch unverhältnismäßig, sagte Joschka Selinger, Verfahrenskoordinator im Rechtsteam der GFF. Eine Blockade stelle keine Lösung dar, zumal Nutzer eines Android-Smartphones die App direkt bei Telegram herunterladen könnten. „Die Kollateralschäden sind auch viel zu weitreichend, weil Aktivitäten behindert werden, die völlig legitim sind.“

Telegram gewinnt nach eigenen Angaben Tag für Tag 1,5 Millionen Nutzer hinzu. Teilweise haben Kanäle mehr als 200.000 Teilnehmer, Gruppen bilden sich täglich neu und werden schnell bekannt. Absprachen im Rahmen der Corona-Kundgebungen und -Proteste werden häufig über Telegram getroffen.

Ein „Abschalten“, das zunächst ins Gespräch gebracht wurde, steht anscheinend nicht mehr zur Debatte. Bundesinnenministerin Faeser ruderte zurück und äußerte, sie habe vor allem den Druck erhöhen wollen, „es ist natürlich nicht mein Ziel, Telegram abzuschalten“. Es müsse darum gehen, Aufrufe zu Hass und Gewalt zu verbannen.

Für den Staat nicht gut greifbar

Vor Kurzem hat die Bundesregierung bei ihrem Vorgehen gegen unerwünschte Inhalte im Messenger-Dienst Hilfe aus den USA erhalten. Apple bietet die Telegram-App in seinem App-Store an. Der Konzern hätte eine ladungsfähige Anschrift von Telegram übermittelt, berichtete die Zeitung „Die Welt“. 

Das teilte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nach Angaben aus Teilnehmerkreisen während des Treffens der Innenminister in Stuttgart mit. Am 28. Januar kam das Thema dort zur Sprache, Details über die ersten Kontakte wollte Faeser nicht nennen. Sie bestätigte jedoch, dass es zuvor Gespräche mit Google und Apple gegeben habe.

Eine Google-Sprecherin erklärte, generell äußere sich Google nicht zu einzelnen Apps. „Wenn wir jedoch über eine App informiert werden, die möglicherweise gegen unsere Google Play-Richtlinien verstößt oder wir eine behördliche Löschungsanfrage erhalten, prüfen wir sie und ergreifen gegebenenfalls Maßnahmen, zu denen auch die Sperrung der App gehören kann.“ Mit dem Bundesinnenministerium stehe Google im Austausch. Apple wollte nicht Stellung nehmen.

Nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden entwickle sich Telegram zunehmend zu einem Medium der Radikalisierung. BKA-Vertreter hatten zuletzt im Innenausschuss des Bundestags sinngemäß erklärt, Telegram mit Löschbitten und Datenanfragen fluten zu wollen, eine Taskforce wurde eingerichtet. Mit der Taskforce sollen Tatverdächtige schneller identifiziert und entsprechende Maßnahmen ergriffen werden. Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA) sagte: „Wir streben die Zusammenarbeit mit Telegram an, treffen unsere Maßnahmen aber auch, wenn Telegram nicht kooperieren sollte.“ 

Telegram würde zwar „größtenteils“ Löschungsanfragen bezüglich rechtsextremistischen Inhalten nicht nachkommen, erklärt das BKA. Bei islamischer Propaganda, die Europol zur Löschung anregt, würde allerdings zeitnah reagiert.

Europäisches Vorgehen und „Online-Streifen“

Auf Bundesjustizminister Marco Buschmann wirkt Telegram nicht nur wie ein Messenger-Dienst, „sondern wie ein soziales Netzwerk, insofern sind da die Polizeien der Länder aufgerufen.“ Der FDP-Politiker erklärte zudem: „Recht gilt und Strafrecht muss auch verteidigt und durchgesetzt werden, egal wo es gebrochen wird, ob im digitalen oder im analogen Rahmen.“

Von den kommenden europäischen Regeln, dem „Digital Services Act“ (Gesetz über digitale Dienste), erhofft sich Buschmann ein gemeinsames Vorgehen gegen die Online-Plattform. Damit würden das erste Mal gemeinsame europäische Vorgaben für soziale Netzwerke geschaffen, damit könne man mit geeinten Kräften Hass und Hetze konsequent zurückdrängen. Auch das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) gelte für Dienste wie Facebook, Twitter und Co.

Einen weiteren Hebel gegen Hass und Hetze auf Telegram sieht der FDP-Politiker im Strafrecht. „Das wichtigste Instrument zur Bekämpfung von Hasskriminalität im Netz ist ein hoher Fahndungsdruck bei Straftaten.“ Dazu seien „Online-Streifen“ ein ebenso wichtiger Beitrag wie die entschlossene Einleitung von Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaften.

Das 2013 von Russen gegründete Unternehmen hat seinen Sitz in Dubai. Der Gründer bezeichnete sein Unternehmen als „nomadisch“. Auf zwei bereits im April vergangenen Jahres verschickte Bußgeldwarnungen reagierte Telegram nicht.

Direkte Kontakte mit Telegram

Das Bundesinnenministerium hat laut eigenen Angaben nach all den Anfragen einen direkten Kontakt zur Konzernspitze des umstrittenen Messengerdienstes Telegram herstellen können. Ein Ministeriumssprecher sagte, dass am 2. Februar „ein konstruktives Gespräch mit Vertretern aus der Konzernspitze von Telegram per Videokonferenz“ stattgefunden habe.

Das Gespräch habe demnach Staatssekretär Markus Richter aus dem Bundesinnenministerium mit weiteren Vertretern des Bundesinnen- und des Bundesjustizministeriums geführt. Dabei habe die Spitze von Telegram ihre größtmögliche Kooperationsbereitschaft mit den deutschen Behörden erklärt.

Für den künftigen direkten Austausch sei von Telegram ein hochrangiger Ansprechpartner benannt worden. Der Kontakt sei demnach über eine von Google vermittelte Emailadresse zustande gekommen.

Innenminister: Nicht die Behörden „austricksen“

Die Innenminister von Bund und Ländern erklärten im Rahmen der Innenministerkonferenz auch, entschieden gegen gewaltbereite Corona-Demonstranten vorgehen zu wollen. „Wir müssen uns den Leuten entgegenstellen, die gewaltbereit unterwegs sind und die Corona-Themen nur als Aufhänger nehmen, um ihre radikalen Vorstellungen und ihre demokratiefeindliche Haltung zu verbreiten“, erklärte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) anlässlich der Übernahme des Vorsitzes.

Zugleich warnte er gegenüber der „Neuen Osnabrücker Zeitung“, nicht alle Menschen, die gegen Maßnahmen demonstrieren, automatisch als Extremisten oder Verfassungsfeinde abzustempeln. Politisch gesehen sei die Zusammensetzung der Demonstranten „heterogen“ und „kunterbunt“ von Leuten, die sonst Grüne wählen, FDP oder eben auch AfD – „vermischt mit Esoterikern und Verschwörungstheoretikern“.

Mit Blick auf Telegram sagte der bayerische Innenminister, ein Verbot von Telegram sei zwar kaum möglich, über den Umweg der Plattformen von Apple und Google ließe sich aber Druck aufbauen. 

Bundesinnenministerin Faeser appellierte Mitte Januar an Demonstranten gegen Corona-Maßnahmen, sich möglichst nur an angemeldeten Versammlungen zu beteiligen. Die Veranstaltungen würden immer kleinteiliger, die „Spreizung“ mache es den Behörden immer schwieriger. Die Menschen hätten das Recht, auf die Straße zu gehen und ihre Meinung zu sagen. „Das kann ich natürlich auch in einer normal angemeldeten Versammlung. Und dafür muss ich nicht die Sicherheitsbehörden versuchen auszutricksen.“ Wer sein Demonstrationsrecht wahrnehmen wolle, solle das auf einem „geordneten Weg“ tun. „Machen Sie es unseren Sicherheitsbehörden nicht noch schwieriger“, rief die Ministerin Demonstranten auf.

„Mehrheit zählt zur bürgerlichen Mitte“

In der Vergangenheit wurden allerdings zahlreiche Versammlungen von Kritikern der staatlichen Maßnahmen im Rahmen von Corona, die ordnungsgemäß bei Versammlungsbehörden angezeigt waren, verboten.

Wer sind diejenigen, die auf die Straße gehen? „Die weit überwiegende Mehrheit der Menschen, die zurzeit gegen die Corona-Maßnahmen demonstrieren, zählt zur bürgerlichen Mitte und macht friedlich von ihren Rechten auf Meinungs- und Demonstrationsfreiheit Gebrauch“, antwortete das Innenministerium von Mecklenburg-Vorpommern schriftlich auf eine Anfrage der Epoch Times. 

Und weiter: „Sicherheitsbehörden beobachten aber, dass verstärkt vor allem extremistische Personen und Gruppierungen, Reichsbürger und andere die freiheitlich-demokratische Grundordnung ablehnende Beteiligte versuchen, die Versammlungen für ihre Zwecke zu vereinnahmen. Bei diesen Personen ist eine erhöhte verbale Aggressivität und auch Gewaltbereitschaft zu verzeichnen. Nicht alle diese Extremisten sind eindeutig einem rechten oder linken Spektrum zuzuordnen.“

Werden die Corona-Spaziergänge unterwandert?

Eine Anfrage von Journalist Boris Reitschuster bei mehreren Sicherheitsbehörden zu dem Thema ergab: In Bayern seien bei bis zu 10 Prozent der Proteste extremistische Personen beteiligt, in der Regel mit einstelliger bis niedriger zweistelliger Personenzahl. Diese würden auch vom Verfassungsschutz beobachtet. 

Dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz sind auch andere Personengruppen aufgefallen. Da die Proteste von der linksextremistischen Szene tendenziell als rechts verortet würden, nutzten Linksextremisten auch in diesem Zusammenhang die Gegenveranstaltungen bürgerlich-demokratischer Bündnisse und Akteure als Gelegenheit, um dort Präsenz zu zeigen, so der Bayerische Verfassungsschutz.

Die Teilnahme von Linksextremisten in Niedersachsen wird laut Innenministerium ähnlich hoch angegeben wie die der Rechtsextremisten in Bayern: „punktuell“ und „grundsätzlich im einstelligen bzw. niedrigen zweistelligen Bereich“.



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