Die Bundeswehr schrumpft und altert – Högl will mit „Gesellschaftsjahr“ nachhelfen

Die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl, beklagt die weiter schrumpfende Personaldecke in der Bundeswehr. Nun will sie einerseits darauf setzen, die Bedingungen attraktiver zu machen – andererseits soll es in Form des „Gesellschaftsjahres“ wieder einen Zwangsdienst geben.
Die Wehrbeauftragte Eva Högl bei einem Truppenbesuch in Schortens im Juni vergangenen Jahres.
Die Wehrbeauftragte Eva Högl bei einem Truppenbesuch in Schortens im Juni 2022.Foto: Sina Schuldt/dpa
Von 24. April 2024

Eva Högl äußert Zweifel an der Erreichbarkeit des Ziels, die Personalstärke der Bundeswehr bis 2031 von derzeit 181.000 auf 203.000 Soldaten zu vergrößern. Gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe räumt sie am Sonntag, 21. April, sogar eine Entwicklung in die entgegengesetzte Richtung ein: Die Bundeswehr schrumpfe und werde älter. Für Kriegstüchtigkeit, wie Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius sie einfordert, nicht die idealen Voraussetzungen.

Engagement im Ausland erschwert Erhalt der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr im Inland

Man benötige „mehr Menschen, um uns wirksam verteidigen zu können“, äußerte die SPD-Politikerin. Allerdings sei es dazu erforderlich, die Attraktivität der Bundeswehr zu steigern. Derzeit verrotteten allerdings Kasernen, es gebe keine Vollausstattung und die Belastung stiegen immer weiter. Dadurch sei „die Bundeswehr nicht ausreichend attraktiv für junge Menschen“.

Zu Beginn des Monats hatte Högl auf die Problematik hingewiesen, dass die Hochrüstung im Ausland und die dortigen Einsätze potenziell die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr im Inland belasteten. Das gelte nicht zuletzt für das „Leuchtturmprojekt der Zeitenwende“, die Stationierung der deutschen Brigade an der NATO-Ostflanke.

Ein Vorauskommando hat bereits in Litauen Stellung bezogen. Ab dem nächsten Jahr soll eine Verlegung von 5.000 Soldaten beginnen und 2027 abgeschlossen sein. Es handelt sich um die bis dato größte Präsenz von Bundeswehrsoldaten im Ausland. Das Bundesverteidigungsministerium hält diese für erforderlich, weil Angriffe Russlands auch Nachbarländer der Ukraine treffen könne.

Högl für Direktflüge von Vilnius in deutsche Großstädte

Zumindest den 5.000 in Litauen stationierten Soldaten will es Högl jedoch schon einmal an nichts fehlen lassen. Neben finanziellen Anreizen soll es gute Unterkünfte, deutsche Schulen und Kindergärten sowie Arbeitsmöglichkeiten für Partner geben. Mit knapp sieben Prozent liegt die Arbeitslosenquote in Litauen derzeit im oberen EU-Drittel. Der monatliche Durchschnittslohn beträgt 971 Euro, das ist der drittniedrigste Wert unter den 27 Mitgliedstaaten.

Wenn die Familie nicht mitkomme, müsse das Pendeln erleichtert werden, so Högl:

„Ich denke an Direktflüge von Vilnius in deutsche Großstädte.“

Darüber verhandele man gerade „mit Hochdruck“. Es müsse „für Soldatinnen und Soldaten und ihre Familien attraktiv sein, mehrere Jahre im Baltikum zu dienen und zu leben“. Nur so könne man Freiwillige für diese Option begeistern.

Derzeit sind 20 Soldaten, hauptsächlich Spezialisten in bestimmten Bereichen, als Vorauskommando dort. Bis Ende des Jahres soll die Zahl auf 150 anwachsen. Am Ende soll der gefechtsbereite und eigenständig handlungsfähige Bundeswehrverband, den man dort stationieren will, etwa 4.800 Soldaten und 200 zivile Beschäftigte umfassen.

Zwei-Prozent-Ziel wird „zunehmend zur Untergrenze“

Högl mahnt allerdings auch eine zeitnahe Hinterlegung des Litauen-Einsatzes im Verteidigungshaushalt an. Abgesehen von einer Anschubfinanzierung sei das noch nicht gewährleistet, so die Politikerin. Sie mahnte eine zügige Klärung an, da es sich um eine komplexe Aufgabe handele:

„Die Brigade ist das Leuchtturmprojekt der Zeitenwende und muss solide finanziert werden.“

Högl weist darauf hin, dass das Zwei-Prozent-Ziel in der NATO zunehmend als Untergrenze betrachtet werde. Debatten seien bereits im Gange, um den Richtwert in Richtung drei Prozent zu verschieben.

In Deutschland hatten Politiker wie der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter sogar sechs oder sieben Prozent als Vision angegeben. Dies gelte vor allem dann, wenn sich die militärische Lage der Ukraine im Krieg weiter verschlechtere.

Veteranenkultur soll zu „mehr Stolz und Wertschätzung“ gegenüber der Bundeswehr beitragen

Um das offenbar noch ausbaufähige Image des Soldatenberufes in Deutschland zu verbessern, bringt die Wehrbeauftragte zusätzlich einige flankierende Maßnahmen ins Gespräch. So soll die bereits 2012 von der damaligen schwarz-gelben Koalition ins Spiel gebrachte Idee der Kultivierung einer „Veteranenkultur“ wieder aufgegriffen werden. Damals hatte diese bei SPD und Grünen noch keine hinreichende Resonanz gefunden.

Jüngst haben sich jedoch die Fraktionen von Ampel und Union auf die Einführung eines jährlichen „nationalen Veteranentags“ am 15. Juni geeinigt. Dieser soll bald im Bundestag beschlossen werden. Die Initiatoren haben die Bundesregierung in einem entsprechenden Antrag dazu aufgefordert, ein „nachhaltiges und zeitgemäßes Konzept“ dafür zu erarbeiten.

Ein nationaler Gedenktag, so heißt es dort weiter, ermögliche, „Dankbarkeit und Anerkennung gegenüber den Veteranen auszudrücken“. Zudem fördere er „das Verständnis in der Gesellschaft für deren Leistungen“. Außerdem umfasst der Antrag die Forderung, die Nachsorge für erlittene Schädigungen besonders im Auslandseinsatz zu verbessern.

Der 15. Juni als Datum ist als Reminiszenz an die erstmalige Verleihung eines Veteranenabzeichens im Jahr 2019 gewählt worden. Högl äußert dazu, Deutschland benötige „mehr Veteranenkultur“. Gegenüber den Funke-Zeitungen sagte sie:

„Es kommt darauf an, Stolz, Dankbarkeit und Wertschätzung zum Ausdruck zu bringen.“

Högl will „Gesellschaftsjahr“ für Frauen und Männer

Erforderlichenfalls will Högl die Entscheidung für die Bundeswehr allerdings auch mittels verpflichtender Elemente erleichtern. Zwar würde die Wiedereinführung einer Wehrpflicht die Personalengpässe der Bundeswehr kurzfristig nicht lösen. Darauf wäre diese auch gar nicht hinsichtlich der Ausstattung vorbereitet.

Allerdings will Högl noch in der laufenden Wahlperiode eine „Grundsatzentscheidung“ treffen lassen. Es gehe dabei um „Schritte […] in Richtung eines Gesellschaftsjahres für Frauen und Männer, das man auch bei der Bundeswehr machen könnte“. Ein ähnliches Konzept hatte die Union bereits 2022 auf ihrem Bundesparteitag beschlossen.

Noch in den 1980er-Jahren hatten Rechtsaußenparteien wie Republikaner oder DVU eine solche Forderung erhoben und dafür den Vorwurf geerntet, den „Reichsarbeitsdienst“ des Nationalsozialismus wieder einführen zu wollen. Heute, so lautet die mittlerweile gegenläufige Argumentation, sei Deutschland hingegen eine multikulturelle Gesellschaft, die ohne eine solche Maßnahme, um gemeinsame Lebenserfahrungen zu ermöglichen, auseinanderbrechen würde.

MdB Nastić: „Immer weniger junge Menschen zum Sterben in sinnlosen Kriegen bereit“

Wogegen insbesondere die Grünen mittlerweile ihre Bedenken aufgegeben haben, ist der Besuch sogenannter Jugendoffiziere und Karriereberater der Bundeswehr. Noch Anfang der 2010er-Jahre hatten sich die Grünen Forderungen der Linkspartei angeschlossen, solche nie ohne gleichzeitige Anwesenheit von Wehrdienstkritikern durchführen zu lassen.

Mittlerweile hat die Bundeswehr in neun Bundesländern – darunter auch solchen mit grüner Regierungsbeteiligung – die Möglichkeit, Schulen zu besuchen. Allerdings sei, so räumt eine Jugendoffizierin gegenüber dem MDR ein, an vielen Schulen Desinteresse und Ablehnung festzustellen. Auch die Gewerkschaft GEW zeigt sich kritisch.

Die frühere Linkspartei- und heutige BSW-Bundestagsabgeordnete Żaklin Nastić beklagte 2023 „immer aggressivere Versuche, unter Schülerinnen und Schülern zu rekrutieren“. Junge Menschen seien, so die Abgeordnete, zwar „immer weniger dazu bereit, ihr Leben potenziell für sinnlose Kriege herzugeben“. Dennoch treibe die Bundesregierung „die Militarisierung der Gesellschaft“ weiter voran.



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