Einreiseverbot gegen Sellner: Stadt Potsdam bewegt sich juristisch auf dünnem Eis

Die Stadt Potsdam will gegen den als Rechtsextremisten eingestuften Österreicher Martin Sellner ein dreijähriges Einreiseverbot für das gesamte Bundesgebiet erwirken. Das Gesetz sieht für eine solche Maßnahme jedoch strenge Vorgaben vor – und diese könnten nicht erfüllt sein.
Blick auf ein Gästehaus in Potsdam, in dem AfD-Politiker nach einem Bericht des Medienhauses Correctiv im November an einem Treffen teilgenommen haben sollen. Auch der bekannteste Vertreter der rechtsextremen Identitären Bewegung, Martin Sellner, soll vor Ort dabei gewesen sein.
Blick auf ein Gästehaus in Potsdam, in dem Martin Sellner nach einem "Correctiv"-Bericht an einem privaten Treffen im November teilgenommen haben soll.Foto: Jens Kalaene/dpa
Von 22. März 2024

Wie der Betroffene am Dienstag, 19. März, selbst auf X bestätigt hat, hat die Stadt Potsdam gegen den in beiden Ländern als Rechtsextremist eingestuften österreichischen Identitären-Gründer ein Einreiseverbot erlassen. Dieses soll für die Dauer von drei Jahren gelten. Der Bescheid stellte den „Verlust des Freizügigkeitsrechts“ für den EU-Bürger nach Paragraf 6 EU-Freizügigkeitsgesetz fest.

Damit wären Sellner Einreise und Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland untersagt. Die Bundespolizei wäre ermächtigt, ihm eine Einreise zu verweigern und eine Abschiebung zu veranlassen. Ein Zuwiderhandeln in Form einer irregulären Einreise könnte strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Allerdings hat Sellner offenbar von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Rechtsmittel gegen den Bescheid und dessen sofortige Vollziehung einzuleiten.

Schubert: „Wehrhafte Demokratie“ – Sellner: „Gesetzliches Unrecht“

Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert spricht von einem Akt der „wehrhaften Demokratie“. Man zeige, dass der Staat „nicht ohnmächtig ist und seine legitimen Mittel nutzt“. Sellner selbst spricht von „gesetzlichem Unrecht“ und will den Bescheid in voller Länge „dieser Tage“ auf einem Substack veröffentlichen.

Auslöser für das Vorgehen ist offenbar das sogenannte Geheimplantreffen nahe Potsdam, das Ende November des Vorjahres stattgefunden hatte. Das Rechercheportal „Correctiv“ hatte dieses im Januar enthüllt – und dabei berichtet, dass Sellner dort unter anderem vor hohen Funktionären der AfD referiert habe.

Laut „Correctiv“ soll er dabei zum Teil verfassungswidrige Vorschläge für eine „Remigration“ in Deutschland lebender Ausländer und sogar deutscher Staatsbürger vorgetragen haben. Diese seien von den Anwesenden in positiver Weise aufgenommen worden. Diese Behauptungen stützt das mit unter anderem durch Steuergelder finanzierte Rechercheportal bislang auf eine anonyme Quelle.

Sellner-Buch: „Kurzfristige Härte des Bevölkerungsaustauschs“

In Sellners jüngst veröffentlichtem Buch und in öffentlichen Beiträgen wird unter anderem für „Assimilationsdruck“ und „De-Islamisierung“ geworben. Weiter heißt es mit Blick auf historische Vertreibungsgeschehen, diese habe es ebenso wie Zuwanderung zu jeder Zeit gegeben. Die „kurzfristige Härte eines Bevölkerungsaustauschs“ sei, so Sellner, einem angeblich drohenden Bürgerkrieg vorzuziehen.

Anwesende bestreiten, dass dieser solche Thesen und darauf gestützt eine Forderung nach millionenfacher Deportation von Ausländern und ausländischen Staatsbürgern bei dem Treffen verbreitet habe. „Correctiv“ verfügt über keine Video- oder Tonaufzeichnungen, um das Gegenteil zu beweisen.

Die Berichte hatten in Deutschland eine Welle von Demonstrationen ausgelöst. Die AfD, die zuvor in Umfragen bundesweit auf bis zu 24 Prozent gekommen war, büßte deutlich an Zuspruch ein – was allerdings auch am Aufkommen konkurrierender Parteien lag. Für Sellner selbst hatte die Berichterstattung einen Verkaufserfolg seines Buches zur Folge.

Bisherige Einreiseverbote nur auf einzelne Ereignisse bezogen

Die Stadt Potsdam begründet das angestrebte Einreiseverbot mit „Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit“. Juristen hegen unterdessen Zweifel, ob dieses in Anbetracht der gesetzlichen Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, Bestand haben wird.

Es gab in den vergangenen Jahren Fälle, in denen Einreiseverbote gegen rechtsextreme Akteure verhängt worden waren. Diese waren jedoch immer auf spezifische Ereignisse hin ausgerichtet. So verweigerte Deutschland 2019 dem in der Ukraine lebenden russischen Neonazi Denis Kapustin die Einreise. Dieser hatte in Teilen der Bundesrepublik Kampfsportveranstaltungen für die einschlägige Szene organisiert. Heute ist Kapustin „Führer“ des Russischen Freiwilligenkorps, das von der Ukraine aus mehrfach Angriffe auf russische Grenzstädte wie Belgorod durchgeführt hat.

Im Jahr 2020 erging ein Einreiseverbot gegen den dänisch-schwedischen Rechtsextremisten Rasmus Paludan, der in Berlin-Neukölln mit einer Koranverbrennung provozieren wollte. Gegen Sellner soll nun jedoch ein dauerhaftes Einreiseverbot für drei Jahre verhängt werden. Die Stadt Potsdam stellt dabei generell auf die politischen Ziele und die Strategie ab, die der Identitären-Gründer skizziert hat, um erst zur „kulturellen Hegemonie“ und anschließend an die politische Macht zu gelangen.

Jurist: Abstrakte Darstellungen nicht ausreichend für Gefährdung

Es ist allerdings fraglich, ob dies eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt, die für einen Entzug des Freizügigkeitsrechts ausreicht. Es muss eine „tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen“, die „ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“.

Dem Rechtswissenschaftler Stephan Martini von der Universität Kiel zufolge reichen „einfach irgendwelche abstrakten Szenarien“, die Sellner dargelegt habe, dafür „wahrscheinlich noch nicht“ aus. Es hänge davon ab, „wie konkret man diese Remigrationspläne für angesetzt“ halte. Kämen sie „quasi schon einer Anstiftung zum Umsturz in Deutschland gleich“, könnte die Einreisesperre halten.

Ob die Gerichte dies in dieser Weise beurteilen, ist höchst fraglich. Dafür spricht allein schon der Umstand, dass das Treffen in Potsdam, bei dem Sellner referiert hatte, erst Monate später durch den „Correctiv“-Bericht öffentliche Resonanz gefunden hat. Außerdem spricht wenig dafür, Sellner einen so erheblichen politischen Einfluss zuzuschreiben, dass dieser überhaupt das Potenzial habe, die staatliche Ordnung in Deutschland zu destabilisieren.

Realer politischer Einfluss von Sellner geringer als mediale Wirkung

Die AfD hat vom Treffen mehrerer Funktionäre mit Sellner politisch nicht profitieren können. Und auch in Österreich hat Sellner zwar mehrfach durch Aktionen öffentliches Aufsehen erregt, politischen Einfluss hat er jedoch kaum entfaltet.

Im Jahr 2019 hatte er erst – zunächst erfolgreich – in der Woche nach „Ibiza“ eine Vorzugsstimmenkampagne zugunsten von HC Strache zur EU-Wahl lanciert. Strache hätte dadurch ein Mandat errungen, er trat dieses jedoch nicht an. Im Herbst desselben Jahres rief er zur Unterstützung des Bündnis Zukunft Österreichs (BZÖ) auf, das nur in Kärnten antrat.

Die Formation erzielte dort jedoch nur 0,2 Prozent der Stimmen. Ein „Grundinteresse der Gesellschaft“ dürfte demnach selbst von einer Vernetzung Sellners mit einzelnen Funktionären bis auf Weiteres nicht ausgehen. Ein Scheitern des Einreiseverbots vor Gericht würde ihm jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit einen neuerlichen PR-Erfolg sichern.



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