Ex-EU-Kommissar Oettinger: Deutschland ist „Absteigerland“ und „im Sinkflug unterwegs“

Der frühere EU-Kommissar Günther Oettinger hat auf einem Medienkongress von Deutschland als „Absteigerland“ gesprochen. Die Opposition treffe dabei eine Mitschuld.
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Der frühere EU-Kommissar Günther Oettinger sieht Deutschland in einer anhaltenden Abwärtsspirale.Foto: Virginia Mayo/AP/dpa/dpa
Von 23. Juni 2023

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Der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident und EU-Kommissar Günther Oettinger hat dramatische Worte für die Entwicklung in Deutschland gefunden. Auf einem Kongress des „Medienverbandes der freien Presse“ in Berlin sprach Oettinger am Donnerstag, 22. Juni, von Deutschland als „Absteigerland“. Es sei „im Sinkflug unterwegs“, ein „kranker Fall, ein Sanierungsfall“ und stehe vor einem realen Wohlstandsverlust.

Oettinger beklagt „Stagnation und Larmoyanz“

Der CDU-Politiker Oettinger war von 2005 bis 2010 Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Bis 2019 gehörte er der EU-Kommission in unterschiedlichen Funktionen an. So war er unter anderem für Energie, für Digitales und für Haushalt und Personal zuständig. Seit 2021 leitet er die EBS-Privatuniversität für Wirtschaft und Recht.

Wie die „Welt“ berichtet, sprach Oettinger unter anderem von einer im internationalen Vergleich unterentwickelten Innovationsfähigkeit und geringen Reformbereitschaft. Die Debatte in Berlin trage den bestehenden Herausforderungen nicht Rechnung. Stagnation und Larmoyanz bestimmten die politische Lage.

Neben der Bundesregierung trage jedoch auch die Schwäche der Opposition zu diesem Zustand bei, erklärte der frühere EU-Politiker. Der „Medienverband der freien Presse“, auf dessen Kongress Oettinger sprach, ist die Dachorganisation der Zeitschriftenverlage in Deutschland.

Habeck „intelligenter Mann, aber kein Wirtschaftsminister“

Bereits zu Beginn hatte Oettinger im Gespräch mit dem Publizisten Gabor Steingart Ähnliches geäußert. Im „Pioneer“-Podcast machte er deutlich, dass das Szenario einer Deindustrialisierung in Deutschland real sei.

Der Standort stehe besonders aufgrund der hohen Energiekosten und Lohnnebenkosten in Frage. Die Industrie denke immer häufiger über eine Standortverlagerung nach, nicht zuletzt die Hightech-Branchen stünden im Wettbewerb mit den USA und China.

Robert Habeck sei, so der frühere EU-Kommissar, „ein intelligenter Mann, aber kein Wirtschaftsminister“. Er tue nichts für den Mittelstand, gleichzeitig werde die eigene Wertschöpfung im Bereich der Energie abgeschafft. Die Folge davon sei, dass man die Energie, die man hier nicht mehr selbst produziere, teurer importieren müsse.

Union hat laut Oettinger Entwicklung einer eigenen Reformagenda verabsäumt

Oettinger äußerte auch Kritik an der Politik seiner eigenen Partei in der Merkel-Ära. Die Union habe die „Agenda 2010“ von Gerhard Schröder und Franz Müntefering im Bundesrat mitgetragen. Mittlerweile seien die Wirkungen dieser Reformen jedoch „aufgezehrt“, und die Union habe es verabsäumt, eine eigene Reformagenda zu formulieren.

Stattdessen habe man falsche Weichenstellungen mitgetragen – Oettinger nannte in diesem Zusammenhang die „Rente mit 63“ und die Mütterrente. Stattdessen seien längere Lebensarbeitszeiten vonnöten.

Außerdem habe seit Gerhard Stoltenberg, der von 1982 bis 1989 dieses Amt innehatte, kein Finanzminister ernsthaft Steuerreformen und eine Senkung der Steuerlastquote betrieben. Um die Entwicklung noch aufzuhalten, müsse das Land bei der Umsetzung von Reformen schneller und innovativer werden.

DAX-Unternehmen „verdienen noch gut – aber nicht hier“

Deutschland, so Oettinger, baue zwar immer noch die besten Autos – digital und im All-Electric-Bereich gerate man jedoch auch hier gegenüber den Asiaten in Rückstand. Es gelinge deutschen Autobauern nicht mehr, ihre Anteile am Weltmarkt auszubauen. Seit 2016 sei die Produktion von Automobilen in Deutschland um fast die Hälfte auf nur noch 3,5 Millionen gesunken. Die DAX-Unternehmen verdienten zwar noch gut – „aber nicht hier“.

Oettinger äußerte sich auch zum Höhenflug der AfD in den Umfragen. In Zeiten des Arbeitskräftemangels seien zwar anders als in früheren Jahrzehnten Arbeitsplatzsorgen kein Thema. Allerdings erzeugten Inflation und Lohnabzüge zunehmend Wohlstandsängste.

Eine Radikalisierung habe es schon in den 2000er-Jahren gegeben – damals von links, als die Linkspartei sich in den Parlamenten etabliert habe. Heute sei das Nichtwählen oder die Wahl der AfD für viele Bürger ein Ausdruck des Protests. Sie machten damit deutlich, dass die realen Sorgen der Menschen in Berlin nicht im Mittelpunkt stünden. Die Union habe nun, so Oettinger, die Aufgabe, aus ihrer Grundsatzdebatte wieder gestärkt hervorzugehen.



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