FDP-Papier – eine „Austrittserklärung aus der Ampel“?

Das Präsidium der FDP hat ein zweiseitiges Konzeptpapier entworfen, das am Wochenende dem Bundesparteitag vorgelegt werden soll. Vor allem die Forderungen nach scharfen Kürzungen beim Bürgergeld und einem Einfrieren der Sozialleistungen rufen den Widerspruch der SPD hervor.
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Die FDP nimmt mit ihrem neuen Konzeptpapier eine konfrontative Haltung ein.Foto: Epoch Times
Von 22. April 2024

Wenn am kommenden Wochenende (27./28. April) in Berlin der Bundesparteitag der FDP über die Bühne geht, steht mehr auf dem Spiel als die Wiederwahl derzeitiger Vorstandsmitglieder. Das Präsidium der Partei möchte dem Parteitag ein zweiseitiges Konzeptpapier vorlegen. Während einige darin ein Profilierungsmanöver vor den im Juni bevorstehenden EU-Wahlen erblicken, warnt die SPD vor einem möglichen Ende der Ampel.

FDP sieht Maßnahmen als Form der „Beschleunigung der Wirtschaftswende“

Der Wuppertaler Abgeordnete der Sozialdemokraten, Helge Lindh, sagt gegenüber „Bild“ über das Papier:

„Wenn die FDP das ernst meinen würde – also jetzt umzusetzen gedenkt – dann liest sich das Papier wie eine Austrittserklärung aus der Koalition.“

In der Beschlussvorlage finden sich mehrere Forderungen, die FDP-Politiker während der vergangenen Wochen in isolierter Form vertreten hatten, nun auf zwei Seiten konzentriert. Das Ganze steht unter dem Banner der „Wirtschaftswende“, die von den Liberalen angemahnt wird – und bezüglich derer auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck eine Notwendigkeit sieht. Allerdings dürfte dieser sich unter dem Begriff etwas deutlich anderes vorstellen als das, was im FDP-Papier anklingt.

Der nunmehrige Vorstoß der FDP geht zum Teil auch auf Konfrontation zu den Grünen. So will man staatliche Förderungen für Solar- und Windkraftanlagen abschaffen und diese dem Markt überlassen. Die EEG-Umlage soll entsprechend auch sinken.

Papier zielt auf zentrale Anliegen der SPD

Die meisten Punkte, die in dem Entwurf anklingen, stellen jedoch eine Provokation in Richtung der SPD dar. Die vorzeitige sogenannte Rente mit 63 – die mittlerweile in den meisten Fällen frühestens mit 65 möglich ist – soll es nach dem Willen der Liberalen nicht mehr geben.

Für die SPD stellt die Möglichkeit, bei Erreichen der Mindestbeitragszeiten frühzeitig in Rente gehen, eine ihrer zentralen Errungenschaften dar. Sie komme vor allem Menschen in Berufen zugute, die mit schwerer körperlicher Arbeit oder hohen psychischen Belastungen verbunden seien.

Zudem soll bei sogenannten Jobverweigerern das Bürgergeld umgehend um 30 Prozent gekürzt werden. Derzeit ist dies lediglich schrittweise möglich. Ursprünglich war es das Anliegen der SPD, beim Übergang von Hartz IV zum Bürgergeld nicht mehr die schnellstmögliche Vermittlung anzustreben. Stattdessen solle bei Bedarf mehr Wert auf Weiterbildung gelegt werden.

Nach dem Willen der FDP soll nun auch die Vermittlung in sogenannte Ein-Euro-Jobs in jedem Fall zumutbar sein. Zudem will man die Bandbreite der Sanktionen „bis hin zu einer vollständigen Streichung von Leistungen“ erweitern – wofür es einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zufolge wenig Spielraum gibt.

Bürgergeld: Effekt potenziell überschaubar – Symbolwirkung enorm

Ob der Effekt dieser Maßnahmen auf den Staatshaushalt und die Wirtschaft durchschlagend wäre, ist ungewiss. Im Vorjahr hatte es von Februar bis Dezember gerade einmal 15.774 Fälle von Leistungskürzungen wegen Jobverweigerung gegeben. Insgesamt beziehen 5,5 Millionen Menschen in Deutschland Bürgergeld, darunter 3,9 Millionen, die als erwerbsfähig gelten.

Im Jahr 2023 gab es der Bundesagentur für Arbeit zufolge etwas mehr als 226.000 Fälle von Leistungskürzungen. In 84,5 Prozent der Fälle sei das Versäumen von Terminen ohne wichtigen Grund der Auslöser gewesen. Das Bild des faulen und unambitionierten Bürgergeldbeziehers, der potenziell den Haushalt zum Einsturz bringe, stützen diese Zahlen nur bedingt.

Für die FDP ist dies jedoch ein dankbares Profilierungsthema, das der eigenen Wählerschaft signalisiert, man zeige innerhalb der Ampel Flagge. Ähnlich sieht es bezüglich der Forderung aus, die Sozialleistungen für vorerst drei Jahre einzufrieren.

Aufseiten der SPD sorgt dies auch schon für die zu erwartenden Reaktionen. Parteichef Lars Klingbeil betonte, man lasse nicht zu, dass „Politik auf dem Rücken derjenigen gemacht wird, die hart arbeiten und das Land am Laufen halten“. Die FDP „irre gewaltig“, wenn sie glaube, dass „es der Wirtschaft besser geht, wenn es Handwerkern, Krankenschwestern oder Erzieherinnen schlechter geht“. Generalsekretär Kevin Kühnert attestiert den Liberalen das „Fingerspitzengefühl von Investmentbankern“.

Scheitern der Mitgliederbefragung hat FDP nicht stabilisiert

Zu Beginn des Jahres war ein Mitgliederentscheid der FDP über einen Austritt aus der Ampelkoalition – verhältnismäßig knapp – gescheitert. Die Umfragen weisen für die Partei jedoch weiterhin verheerende Werte aus. Viele davon sehen sie unter der Fünf-Prozent-Hürde.

Die jüngste Sonntagsfrage von INSA sieht sie mit fünf Prozent zwar auf der Kippe. Der Chef des Instituts, Hermann Binkert, weist jedoch gegenüber „Bild“ darauf hin, von diesen seien der Partei jedoch nur noch drei Prozent sicher. Seit ihrem Eintritt in die Ampel habe die Partei sich faktisch halbiert – derzeit lasse sie ein Potenzial von 18 Prozent liegen.

In den vergangenen Wochen hatten die Liberalen mehrfach offen oder zumindest zwischen den Zeilen mit einem Ampelaus gedroht. Dies war etwa mit Blick auf die Gesetzesänderung auf Bundesebene zur Absicherung der Bezahlkarte für Flüchtlinge der Fall.

SPD drängt ihrerseits auf Aussetzung der Schuldenbremse

Aber auch darüber hinaus entfaltete man Druck. Dies war etwa jüngst der Fall, als es um die Novellierung des Klimaschutzgesetzes ging. Zuvor hatte sich die Partei gegen ein Lieferkettengesetz auf EU-Ebene gesperrt. Nun will sie dieses auch in Deutschland kippen.

Auch die Kindergrundsicherung könnte ein möglicher Anlass zum vorzeitigen Ampelaus sein. Bundesfinanzminister Christian Lindner forderte Kabinettskollegin Lisa Paus unmissverständlich zur Überarbeitung ihres Entwurfes auf.

Gleichzeitig macht die SPD ihrerseits Druck in Richtung eines weiteren Aussetzens der Schuldenbremse. Deren finanzpolitischer Sprecher Michael Schrodi nimmt Anstoß an den FDP-Vorstößen zur Abschaffung des Solis, zur Körperschaftssteuer und zur Steuerbefreiung von Überstunden. Die Maßnahmen würden, erklärte er jüngst, „die ohnehin riesige Finanzierungslücke für den Haushalt 2025 um zusätzliche 30 Milliarden Euro vergrößern“.

Um die Ukraine-Hilfe ohne das Ausspielen als notwendig angesehener Ausgaben gegen Sozialleistungen zu finanzieren, sei ein Aussetzen der Schuldenbremse unabdingbar. Mittelfristig werde man diese für „Investitionen in innere, äußere und soziale Sicherheit“ zwingend brauchen.

Strategische Vorbereitung auf Jamaika-Bündnis?

Die Landtagswahlen der vergangenen Jahre zeigen, dass das Zielpublikum der FDP verhältnismäßig selten in die Wahlenthaltung abwandert. Ein erheblicher Teil des Potenzials würde nach derzeitigem Stand zur Union abwandern, die trotz überschaubarer Beliebtheit von CDU-Chef Friedrich Merz auf 30 Prozent kommt. Ein – kleinerer – Teil davon würde nach derzeitigem Stand der AfD die Stimme geben.

Sollte es der FDP gelingen, durch das Beharren auf Vorstellungen, die in ihrer Zielgruppe auf Zuspruch stoßen, die Ampel zum Platzen zu bringen, könnte sie zumindest auf einen Wiedereinzug in den Bundestag hoffen. Es wäre damit zu rechnen, dass neben abgewanderten Ex-Wählern auch Leihstimmen aus der CDU der Partei über die Fünf-Prozent-Hürde verhelfen würden. Weniger dürfte dies bei der CSU der Fall sein, die selbst das Überschreiten der Sperrhürde absichern müsste.

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai hatte erst im Februar die Zeiten einer schwarz-gelben Koalition im Bund hochleben lassen. Allerdings sind Union und Liberale mittlerweile so weit von einer gemeinsamen Mehrheit entfernt, dass sie zwingend auf die Stimmen eines dritten Koalitionspartners angewiesen wären. Als solcher käme jedoch realistischerweise nur eine weitere der derzeitigen Ampelparteien in Betracht. Da die SPD für weitreichende Umbaumaßnahmen des Sozialstaats nicht zu haben wäre, würde es wahrscheinlich erneut auf die Grünen hinauslaufen.



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