Golf-Produktion in Wolfsburger VW-Werk steht für eine Woche still

Ab Montag steht die Fertigung des VW Golf im Stammwerk in Wolfsburg still. Grund ist der Lieferstreik eines Teileherstellers. Derweil wundern sich die VWler, dass die zwei externen Partner solche Macht haben. Doch die Lieferanten sagen: Die jetzige Situation sei das Ergebnis „einer frist- und grundlosen Kündigung von Aufträgen“ und "VW trägt die Krise auf dem Rücken der Zulieferer aus".
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Mitarbeiter an einer Fertigungslinie des Golf VII im VW-Werk in Wolfsburg.Foto: Julian Stratenschulte/Archiv/dpa
Epoch Times19. August 2016

Die Fertigung des VW Golf im Wolfsburger Stammwerk steht wegen des Lieferstreits mit einem Teilehersteller mindestens eine Woche still. Von Montag an bis einschließlich kommende Woche Samstag ruht die Arbeit auf den Montagelinien und in anderen Teilen der Golf-Produktion.

Der Konzern will „bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen“ Kurzarbeitergeld für die betroffenen Mitarbeiter beantragen.

Zuerst müssten aber teilweise Überstunden abgebaut werden. Hintergrund der Stilllegung ist ein Streit mit zwei Unternehmen, die ihre Teilelieferungen eingestellt haben.

Die VWler wundern sich, dass zwei externe Partner solche Macht haben

Für den VW-Arbeiter in der Wolfsburger Kneipe „Tunnelschänke“ ist die Sache schon klar. „Volkswagen wird erpresst, und das darf nicht sein“, sagt der Mann in dem Stammlokal vieler Schichtarbeiter, in das sie nach Feierabend auf dem Heimweg aus der nahen VW-Fabrik oft einkehren. Die Gäste hier identifizieren sich so sehr mit dem Autobauer, dass sie Jacken mit der Aufschrift „Der Golf 7 – Ein Teil von mir“ tragen.

Menschen wie sie treffen die neuesten Nachrichten zu VW hart: Der Lieferstopp zweier Teilehersteller zwingt den Weltkonzern zu Produktionsstopps und Kurzarbeit. VW vermag das bisher nicht abzuwenden, obwohl man sich juristisch zur Wehr setzt.

Für den Autobauer kommt das neue Problem zur Unzeit – denn mit dem Abgas-Skandal steht der Konzern schon mehr als genug unter Druck. „Als hätten wir nicht genug Krise gehabt“, sagt auch einer der Männer vor der „Tunnelschänke“, deren Name auf die nahe Unterführung unter dem Mittellandkanal anspielt, durch die Zehntausende Werker an die Fließbänder strömen – normalerweise zumindest. Denn schon von diesem Samstag an ruht die Golf-Produktion. Die zwei Zulieferer lähmen damit das Herz der weltgrößten Autofabrik, es tobt ein Wirtschaftskrimi.

Die VWler wundern sich, dass die zwei externen Partner solche Macht haben. Einer der Arbeiter aus der Kneipe will in dem Konflikt ein Machtwort der Bundesregierung. Sein Kollege liest die Zeitung. Vom Stopp der Golfproduktion sei er direkt betroffen: „Ich bin Golfer – seit 28 Jahren in der Produktion.“ Angst habe er aber nicht. Wenn er spricht, merkt man auch jetzt, wie sehr er hinter dem Konzern steht.

Aus Sicht der externen VW-Partner ist die Lage alternativlos. Einer der Chefs der am Lieferstopp beteiligten Firma ES Automobilguss, Alexander Gerstung, sagt: „VW zwingt uns zu diesem Vorgehen, um unsere eigenen Mitarbeiter in Niedersachsen und Sachsen zu schützen und letztlich den Fortbestand des Unternehmens zu sichern.“

Konzern quetscht die Zulieferer aus

Der Konzern quetsche die Zulieferer quasi aus, er missbrauche dabei seine Marktmacht. Die jetzige Situation sei das Ergebnis „einer frist- und grundlosen Kündigung von Aufträgen“, meint das Unternehmen, dessen Schwesterfirma CarTrim ebenfalls beim Lieferstopp mitmischt. Es gehe für die beiden Betriebe um eine zweistellige Millionensumme.

„Da VW eine Kompensation in den nachfolgenden Verhandlungen ablehnte, sahen sich CarTrim und ES Automobilguss letztlich zum Lieferstopp gezwungen“, heißt es in einer Mitteilung mit der Überschrift „VW-Krise nicht auf dem Rücken der Zulieferer austragen“.

Jedoch: Was die VW-Partner so lapidar als „zum Lieferstopp gezwungen“ bezeichnen, hat nach Ansicht des Landgerichts Braunschweig juristisch keine Basis. Dort hat VW für beide Firmen einstweilige Verfügungen erwirkt, mit denen das Liefern der Teile „vollstreckbar“ sei.

Nur spielt Volkswagen den Trumpf offenbar bisher nicht. Priorität habe zunächst eine „gütliche Einigung“, teilt ein VW-Sprecher mit. „Ordnungsgeld, Ordnungshaft, Beschlagnahme“ seien aber schon in Vorbereitung. Auch die Gegenseite will wohl noch reden. „Wir sind keinesfalls an einer weiteren Eskalation des Konflikts interessiert. Aber die Art und Weise, wie VW mit Zulieferern umgeht, ist in keiner Weise akzeptabel und kann jeden kleineren Betrieb in den Ruin treiben“, argumentiert Gerstung von ES Automobilguss.

Fernab juristischer Termini findet VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh klare Worte für die Situation. „Hier läuft ein ganz mieses Spiel des Lieferanten. Das macht uns wütend“, sagt er der „Bild“-Zeitung. Die Kollegen wollten endlich die Teile, „denn sie wollen Autos bauen“.

Selbstschutz oder Erpressung?

Branchenexperte Stefan Bratzel forscht an der Fachhochschule der Wirtschaft Bergisch Gladbach auch zur Auto-Zuliefererbranche. Er sagt, ein Drittel der Lieferanten habe arge Probleme. Die genaue Lage bei VW kann auch er als Außenstehender nicht bewerten, er halte sie aber in ihrer Dimension für beispiellos.

Der Konflikt zeigt noch viel mehr als nur einen eskalierten Streit zwischen David und Goliath, bei dem ein kleiner Zulieferer den Spieß umdreht und den Riesen VW lahmlegt. Der Autobauer hat sich nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur bei einem Gussteil für Golf-Getriebe einzig auf ES Automobilguss verlassen. „Single Sourcing“ (Einzelquellen-Beschaffung) heißt das.

„Single Sourcing ist nicht selten in der Branche“, sagt Bratzel. Es sei eben sehr aufwendig, alle Teile mit Alternativen abzusichern. In Autos geht es um tausende Einzelteile von Fäden für die Naht am Lenkrad bis zu Chemiezusätzen im Autolack. Der Großteil kommt von Zulieferern, die ihrerseits wieder Zulieferer haben und so fort. Die Kette ist fragil, schwindende Alternativen treiben die Risiken.

Trotz der Nachteile: Einzelquellen-Beschaffung erhöht Größenvorteile, das hilft beim Sparen, denn Masse drückt den Preis. „Und auch das Tempo steigt, mit Single Sourcing geht es wesentlich schneller, und auch der administrative Aufwand sinkt“, sagt Bratzel. Besonders die kleinen Zulieferer könnten sich aber auch schnell verheben, wenn sie sich bei ihrem Angebot in dem harten Preiswettbewerb verkalkulierten.

Ferdinand Dudenhöffer von der Uni Duisburg-Essen sieht strategische Fehler bei VW: „Ein fast ehernes Gesetz im Einkauf sagt, dass Single Sourcing zwischen einem Weltunternehmen und einem mittelständischen Zulieferer nie der Fall sein darf.“ Risiken seien „viel zu groß und stehen damit in keinem Verhältnis zu etwaigen Kosteneinsparungen“. Bei VW habe das Einkaufschef Francisco Javier Garcia Sanz missachtet. (dpa)



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