Henryk M. Broder gewinnt vor Gericht: Innenministerium muss kritischen Text entfernen

Nach seinem verlorenen Rechtsstreit gegen den Berliner Journalisten Henryk M. Broder hat das Bundesinnenministerium (BMI) einen Text von seiner Website entfernen müssen, der im Auftrag des BMI verfasst worden war. Das OVG Berlin sieht Broders Persönlichkeitsrechte verletzt.
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Der streitbare Journalist Henryk M. Broder hat im Rechtsstreit gegen das BMI gewonnen.Foto: screenshot/youtube/achgut
Von 5. Februar 2024

Der prominente Berliner Publizist Henryk M. Broder hat sich im Streit mit dem Bundesinnenministerium (BMI) am 31. Januar 2024 in zweiter Instanz per Eilverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg durchgesetzt: Das Ministerium musste auf gerichtliche Anordnung einen Text von seiner Internetseite entfernen. Nach Ansicht des Gerichts war in das Persönlichkeitsrecht des Autors eingegriffen worden. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) hatte als erstes großes Medium darüber berichtet.

Die unter dem Aktenzeichen OVG 9 S 20/23 erlassene einstweilige Verfügung sei „unanfechtbar“, so die FAZ. Ein detailliertes Urteil liegt schriftlich bisher nicht vor. Das BMI habe den umstrittenen Text aber bereits am 2. Februar 2024 vom Netz genommen. In der ersten Instanz vor dem Verwaltungsgericht (VG) Berlin hatte Broder noch eine Niederlage einstecken müssen.

Expertenbericht schmähte Broder für dessen Muslimkritik

Konkret ging es um einen rund 400 Seiten starken Bericht des „Unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit“ (UEM), der unter dem Titel „Muslimfeindlichkeit – Eine deutsche Bilanz 2023“ am 29. Juni 2023 erschienen war. Darin hieß es nach Informationen der FAZ, Broder hätte „Aufrufe zur Deeskalation und Rücksichtnahme offen“ verhöhnt „und Muslim*innen pauschal als unwissende, ehrversessene, blutrünstige Horden“ dämonisiert. Zugleich habe er allerdings „eine uneingeschränkte Anwendung der Meinungsfreiheit“ gefordert.

Die UEM-Autoren hätten sich auf den Broder-Artikel „Im Mauseloch der Angst“ gestützt, der 2010 vom „Spiegel“ veröffentlicht worden war. Darin hatte Broder über die empörten und auch gewalttätigen Reaktionen in Teilen der muslimischen Welt geschrieben, die nach dem Erscheinen von Salman Rushdies Roman „Die Satanischen Verse“ beobachtet worden waren. Außerdem setzte sich Broder mit ähnlichen Reaktionen auseinander, die die Mohammed-Karikaturen in der dänischen Zeitung „Jyllands-Posten“ weltweit ausgelöst hatten. In seinem „Spiegel“-Artikel klang das laut „Welt“ unter anderem so:

Im Jahre 1988 erschien Salman Rushdies Roman „Die Satanischen Verse“ in der amerikanischen Originalausgabe. Worauf der iranische Staats- und Revolutionsführer, Ajatollah Chomeini, eine ‚Fatwa‘ gegen Rushdie erklärte und ein hohes Kopfgeld für dessen Ermordung auslobte. Es kam zu mehreren Anschlägen auf die Übersetzer und Verleger des Romans, wobei der japanische Übersetzer Hitoshi Igarashi ums Leben kam. Millionen von Muslimen in aller Welt, die keine Zeile des Buches gelesen und den Namen noch nie gehört hatten, wollten das Todesurteil gegen den Autor vollstreckt sehen, je schneller, desto besser, um mit seinem Blut die beschmutzte Ehre des Propheten wieder reinzuwaschen.“

Broder für seine Ansichten zu kritisieren, sei zwar erlaubt, stellte das OVG Berlin nach Angaben der „Welt“ klar. Das BMI habe es aber versäumt, deutlich zu machen, dass der UEM-Text keinen „amtlichen“ Standpunkt widerspiegele. Denn das Ministerium sei zur „Sachlichkeit“ verpflichtet. Stattdessen habe das UEM-Dokument in seiner Langfassung nicht nur das Logo des Ministeriums enthalten, sondern auch ein Vorwort von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Nach Informationen der FAZ habe Faeser darin geraten, „sich mit den Empfehlungen der Experten ernsthaft auseinanderzusetzen“.

Broders Rechtsbeistand bleibt angriffslustig

Für Broders Rechtsanwalt Joachim Nikolaus Steinhöfel sei die Sache aber mit der Eilentscheidung zugunsten seines Mandanten weiterhin nicht erledigt. Der Jurist erwarte eine Erklärung des Ministeriums „zur Anerkenntnis des Urteils“, schreibt die FAZ. Andernfalls wolle er „ein Hauptsacheverfahren anstrengen“.

Eine BMI-Sprecherin habe auf Nachfrage der FAZ noch nichts Näheres dazu sagen können: „Wir werten die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts derzeit aus“, habe sie betont.

Steinhöfel wiederum habe seinen Sieg vor dem OVG genutzt, um seinen Unmut über das „Verständnis von Presse- und Meinungsfreiheit“ zum Ausdruck zu bringen, das die Bundesregierung seiner Einschätzung nach an den Tag lege. Denn einerseits prozessiere das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) „wegen einer Meinungsäußerung gegen den Journalisten Julian Reichelt“, greife aber „gleichlautende Äußerungen des ZDF“ nicht an.

Der frühere „Bild“-Chefredakteur Reichelt hatte nach Informationen der FAZ (Bezahlschranke) die Höhe und den Empfängerkreis von Entwicklungshilfegeldern mit den Wörtern „Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 Millionen Euro (!!!) Entwicklungshilfe an die Taliban (!!!!!!)“ kritisiert. Nachdem das Kammergericht Berlin (Az. 10 W 184/23) der Argumentation nicht gefolgt war, legte Steinhöfel Verfassungsbeschwerde ein. Denn er und sein Mandant sehen das Grundrecht auf Meinungsfreiheit verletzt. Derzeit sei die Angelegenheit noch in Karlsruhe anhängig. Das BMZ steht unter der Leitung von Ministerin Svenja Schulze (SPD).

Der „Unabhängige Expertenkreis Muslimfeindlichkeit“

Das BMI hatte den „Unabhängigen Expertenkreis Muslimfeindlichkeit“ 2020 selbst ins Leben gerufen. Hintergrund waren unter anderem jene neun Tötungsdelikte, denen im Februar desselben Jahres im hessischen Hanau ausschließlich Menschen mit Migrationshintergrund zum Opfer gefallen waren.

Der Kreis sollte „aktuelle und sich wandelnde Erscheinungsformen von Muslimfeindlichkeit analysieren und auf Schnittmengen mit antisemitischen Haltungen sowie anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit hin untersuchen“, wie es in einer BMI-Pressemitteilung hieß. Der damalige Innenminister Horst Seehofer (CSU) berief am 1. September 2020 dafür zwölf „Vertreter aus Wissenschaft und Praxis“ in das Gremium:

  • Prof. Dr. Iman Attia, Alice Salomon Hochschule Berlin
  • Karima Benbrahim, Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit e.V. (IDA)
  • Saba-Nur Cheema, Bildungsstätte Anne Frank e.V.
  • Dr. Yasemin El-Menouar, Bertelsmann Stiftung
  • Prof. Dr. Karim Fereidooni, Ruhr-Universität Bochum
  • Prof. Dr. Kai Hafez, Universität Erfurt
  • Özcan Karadeniz, Verband binationaler Familien und Partnerschaften e.V.
  • Prof. Dr. Anja Middelbeck-Varwick, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
  • Nina Mühe, CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit
  • Prof. Mathias Rohe, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
  • Prof. Dr. Christine Schirrmacher, Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und Katholische Universität Löwen
  • Dr. Yasemin Shooman, Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM)

Beinahe drei Jahre brauchte der UEM, um seine Expertise auszuarbeiten. Die Langfassung seines Berichts „Muslimfeindlichkeit – Eine deutsche Bilanz 2023“ ist nicht mehr erreichbar. Eine Kurzfassung ist allerdings nach wie vor als PDF-Datei abrufbar.



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