ifo Institut: Mittelschicht in Deutschland schrumpft

Im europäischen Vergleich ist der Rückgang beachtlich: Die Mittelschicht in Deutschland wird dünner. Menschen mit mittlerem Einkommen bleibt zudem nur die Hälfte oder noch weniger von ihrem Einkommen im Portemonnaie.
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Ein Familienausflug an den Kalscheurer Weiher, Köln.Foto: iStock
Von 7. August 2023

Die Mittelschicht in Deutschland ist in den letzten zehn Jahren geschrumpft. Gehörten 2007 noch 65 Prozent der Bevölkerung der Mittelschicht an, waren es im Jahr 2019 nur noch 63 Prozent. Grund dafür ist, dass sowohl durch sozialen Aufstieg als auch Abstieg die Ränder der Mitte schrumpften. Das zeigt eine Studie des ifo Instituts im Auftrag der Hanns-Seidel-Stiftung.

In Deutschland lebten im Jahr 2022 laut Statistischem Bundesamt knapp über 83 Millionen Menschen in 40,9 Millionen Haushalten, darunter knapp 12 Millionen Familien mit Kindern und etwa 16,7 Millionen Alleinlebende. Zur Mittelschicht zählen diejenigen, die zwischen 75 und 200 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung haben. Diese Definition stammt von der OECD, der die Autoren folgten.

Mindestlohn = Mittelschicht

Bei Alleinstehenden entsprach das im Jahr 2019 einem verfügbaren Nettoeinkommen zwischen 17.475 und 46.600 Euro. Bei kinderlosen Paaren waren es zwischen 26.212 und 69.900 Euro. Paare mit zwei Kindern gehören statistisch der Mittelschicht an, wenn sie über ein Einkommen zwischen 36.698 und 97.860 Euro verfügen.

Zum Vergleich, wer Vollzeit für Mindestlohn arbeitet, bekommt etwa 25.000 Euro pro Jahr, wovon er derzeit knapp 22.000 Euro behalten darf, vorausgesetzt, er muss keine Kirchen-, Hunde- oder Kfz-Steuer zahlen. Damit gehört er bereits zur Mittelschicht.

Über 80 Prozent der Deutschen ordnen sich selbst jener Gesellschaftsschicht zu. Tatsächlich gehörten im Jahr 2019 etwa 26,1 Millionen Haushalte in Deutschland statistisch der Mittelschicht an. Das entspricht mit 63 Prozent weniger als zwei Drittel aller Haushalte.

International abgerutscht

„Obwohl der Rückgang seit 2007 relativ moderat erscheint, ist er im Vergleich mit den anderen europäischen Ländern beachtlich“, kommentierte ifo-Forscher Florian Dorn.

„Während Deutschlands Mittelschicht aufgrund ihrer Größe im Jahr 2007 noch auf Rang 9 und somit im oberen Drittel lag, ist sie im Jahr 2019 nur noch auf Platz 14 und somit im Mittelfeld.“

Die Belastung der Menschen in Deutschland durch Abgaben, Steuern und Co. ist im europäischen Vergleich ziemlich hoch. Das betrifft auch die Mittelschicht, die mit der höchsten Steuer- und Abgabenlast schultert.

„Mit einer Grenzbelastung von rund 50 Prozent des Bruttoeinkommens im deutschen Steuer- und Transfersystem bleibt Menschen mit mittlerem Einkommen vom nächsten hinzuverdienten Euro effektiv nur die Hälfte übrig“, sagt Andreas Peichl, Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik und Befragungen.

Mehrarbeit und mehr Leistung würden sich daher in der Mittelschicht netto nur sehr begrenzt auszahlen. Menschen mit mittleren Einkommen befänden sich am Rande ihrer Belastungsfähigkeit, so Peichl.

Auch für Menschen mit niedrigem Einkommen im deutschen Steuer- und Transfersystem zahle sich Mehrarbeit kaum aus.

Wie hoch ist die Grenzbelastung tatsächlich?

Andere Berechnungen kommen auf eine deutlich höhere Grenzbelastung. Laut Berechnungen des Bundes der Steuerzahler sollen dem durchschnittlichen Arbeitnehmer von einem verdienten Euro 47,3 Cent bleiben.

In diese Berechnung fließe jedoch die Vielzahl von staatlichen Zwangsabgaben nicht ein – also die indirekten Abgaben, so Diplom-Wirtschaftsinformatiker Benjamin Mudlack.

Es fehlen beispielsweise, so Mudlack, „der staatliche Rundfunkbeitrag, Steuern für Miete und Wohnen, Abgaben für Berufsgenossenschaften, Mehrwertsteuer für Lebensmittel, Mehrwertsteuer für Kleidung und Konsumgüter, Energiesteuern, CO₂-Abgaben, höhere Preise durch Unternehmenssteuern und vor allem die Kaufentwertung durch das Aufblähen der Geldmenge. Kaum quantifizieren lässt sich zudem die Belastung für sämtliche staatliche Eingriffe und für den Bürokratieerfüllungsaufwand im Allgemeinen.“

In seiner Berechnung für das Jahr 2020 kam er auf eine Abgabenlast von 68,8 Prozent. Steuererhöhungen durch die Einführung der CO₂-Abgaben flossen in Mudlacks Berechnung noch nicht mit ein. Aktuell führen zudem die allgemeinen Preissteigerungen im Zuge der Energiekrise und Preissteigerungen im Bereich der Lebenshaltungskosten zu einer weiteren Steigerung der Abgaben.



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