Keine Ruhe nach AKW-Machtwort von Scholz

Der Kanzler spricht ein Machtwort im Atomstreit, Ruhe kehrt allerdings nicht ein. - von den Grünen kommt teils deutliche Kritik. Wirtschaftsminister Habeck versucht, die Reihen zu schließen. Was bedeutet der Schritt für Bundeskanzler Scholz?
Titelbild
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).Foto: Tobias Schwarz/AFP via Getty Images
Epoch Times18. Oktober 2022

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Wirtschaftsminister Robert Habeck hat bei seinen irritierten Grünen für die Entscheidung des Kanzlers im Atomstreit geworben. Die Grünen-Fraktionsführung will darüber beraten, wie sie damit umgehen werde, dass die drei verbleibenden Atomkraftwerke nach dem Willen von Olaf Scholz (SPD) bis Mitte April 2023 weiterlaufen können sollen.

Scholz hatte gestern einen tagelangen Streit innerhalb der Ampel-Koalition, insbesondere zwischen den Grünen und der FDP mit einer klaren Ansage für beendet erklärt. Der Kanzler wies die zuständigen Minister an, Gesetzesvorschläge zu machen, damit die drei Kernkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland über das Jahresende hinaus maximal bis zum 15. April 2023 weiterlaufen können. Scholz machte damit von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch. Demnach bestimmt der Kanzler „die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung“.

Nach nur gut zehn Monaten „Ampel“-Regierung musste Scholz schon zum schärfsten Schwert des Kanzlers greifen, um einen Konflikt in seiner Koalition zu lösen. Seine Vorgängerin Angela Merkel (CDU) tat dies nur ein einziges Mal in ihren 16 Regierungsjahren und drohte dies im Falle Seehofers letztlich auch nur an. Der frühere SPD-Fraktionsvorsitzende Franz Müntefering hatte schon 2005 die Anwendung Richtlinienkompetenz in Regierungsbündnissen als „nicht lebenswirklich“ bezeichnet: „Wer das macht in einer Koalition, der weiß, dass die Koalition zu Ende ist.“

Habeck: Vorschlag, „mit dem ich leben kann“

Ist der Akw-Streit damit vom Tisch? Bei den Grünen, die gerade erst bei einem Parteitag ihre bisherige Position für einen eingeschränkteren Akw-Weiterbetrieb bestätigen ließen, rumort es. Scholz braucht aber die Unterstützung aus ihren Reihen, um die Änderung des Atomgesetzes durch das Parlament zu bringen.

Dort stellen die „Ampel“-Parteien 416 von 736 Abgeordneten. Nötig für eine Mehrheit wären folglich 369 Stimmen. Die Grünen stellen insgesamt 118 Abgeordnete. Es würde damit selbst reichen, wenn 47 Grüne sich verweigerten, sofern sich SPD und FDP geschlossen hinter den Scholz-Plan stellen.

Angesichts der Misstöne appellierte Habeck an das Verantwortungsbewusstsein seiner Partei. Danach gefragt, ob er es für denkbar halte, dass die Grünen-Fraktion Scholz im Bundestag die Unterstützung seiner Entscheidung versagen könnte, sagte Habeck, er glaube nicht, dass es dazu komme. „Weil das Land, Europa sich ja in einer schweren Krise befindet und in dieser Situation dann die Regierung aufs Spiel zu setzen, scheint mir überhaupt nicht verhältnismäßig zu sein“, sagte er in der ARD.

Zugleich wies Habeck darauf hin, dass es sich beim Thema Atom um eine politisch „hoch aufgeladene Frage“ handele. „Diese Frage hat Generationen geprägt, hat die deutsche Politik geprägt, und insofern ist das schon eine Ausnahmesituation.“ Scholz habe in der „verfahrenen Situation“ nun einen Vorschlag gemacht, „mit dem ich arbeiten kann, mit dem ich leben kann“, sagte Habeck. „Wir mussten da irgendwie rauskommen“, fügte er mit Blick auf Streit hinzu.

Grüne Jugend: „Das ist Basta-Politik“

„Dass Olaf Scholz die Richtlinienkompetenz für einen befristeten Weiterbetrieb des Atomkraftwerks Emsland gezogen hat, ist unnötig und ohne fachliche Grundlage“, kritisierten die Grünen-Politiker Julia Willie Hamburg und Christian Meyer in einer am Dienstag verbreiteten Mitteilung. Der Ausbau und die Nutzung der erneuerbaren Energien würden so blockiert. Die zusätzliche Strommenge des Atomkraftwerks Emsland sei minimal.

Der frühere Bundesumweltminister Jürgen Trittin kritisierte Scholz‘ Entscheidung ebenfalls. „Die Entscheidung ist fachlich nicht gerechtfertigt, sie ist nicht durch den Stresstest gedeckt, sie ist politisch außerordentlich fragwürdig“, sagte der Grünen-Bundestagsabgeordnete dem ZDF. „Das wird, glaube ich, noch eine ganz schwierige Operation.“

Die Grüne Jugend reagierte entrüstet. „Das ist Basta-Politik, und die brauchen wir nicht“, sagte der Co-Chef der Grünen-Nachwuchsorganisation, Timon Dzienus, der Deutschen Presse-Agentur. Nötig sei eine Debatte im Bundestag zu dem Thema.

Grünen-Fraktionsspitze will AKW-Entscheidung akzeptieren

Grünen-Chef Omid Nouripour will unterdessen das Machtwort des Kanzlers respektieren. Seine Partei halte zwar nichts davon, auch das Akw Emsland weiter laufen zu lassen, sagte er am Dienstag im rbb24 Inforadio. „Unter dem Strich“ sei dies aber „nicht Grund, eine große Diskussionskrise auszulösen“. Man werde der Fraktion empfehlen, die Entscheidung zu akzeptieren, sagte auch Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann am Dienstag in Berlin.

Die Grünen hatten am Wochenende auf einem Parteitag beschlossen, nötigenfalls einen – von Habeck vorgeschlagenen – sogenannten Streckbetrieb für die Meiler Isar 2 und Neckarwestheim 2 bis Mitte April 2023 mitzutragen. Die FDP hatte gefordert, auch das dritte Atomkraftwerk Emsland am Netz zu halten und alle drei Meiler bis ins Jahr 2024 hinein laufen zu lassen. Gegebenenfalls sollten bereits stillgelegte AKW reaktiviert werden.

FDP hofft auf sinkende Preise

Die Partei von Finanzminister Christian Lindner begrüßte den Beschluss des Kanzlers – obwohl er auch hinter ihren Forderungen zurückblieb. Der energiepolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Michael Kruse, verbuchte die Entscheidung als Unterstützung für seine Partei. Er erwartete als Folge auch sinkende Preise, weil das Signal gesendet werde, dass mehr Strom zur Verfügung stehen werde.

FDP-Vize Wolfgang Kubicki sieht im AKW-Streit die Energiefrage auch im kommenden Frühjahr auf der Tagesordnung. „Ich gehe davon aus, dass wir Anfang kommenden Jahres wieder über die Zukunft der Energieversorgung über den 15. April hinaus sprechen werden“, sagte er dem „Spiegel“. Er sehe den „koalitionsinternen Diskussionen mit Gelassenheit entgegen, weil der gestrige Brief von Olaf Scholz noch einmal gezeigt hat, dass man die wichtigen energiepolitischen Fragen im Kanzleramt sehr umsichtig und pragmatisch beantwortet“, so der FDP-Vize.

Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch kanzelte hingegen die Entscheidung von Scholz als „absurdes Schmierentheater“ ab. „Nach der Wahl in Niedersachsen und nach dem Bundesparteitag der Grünen kommt diese Entscheidung. Hier ging es weder um die Bürger, noch um die Versorgungssicherheit, sondern ausschließlich um die Egos von Habeck und Lindner“, sagte Bartsch den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Die AfD bezeichnet die Entscheidung des Kanzlers als „faules Machtwort“ und fordert einen Weiterbetrieb der Kernkraftwerke auch „über den nächsten April hinaus“. Um eine „grundlastfähige Energieversorgung“ in Deutschland zu gewährleisten, müsse darüber hinaus die Kernenergie „ausgebaut und verstetigt werden“, meint Stephan Brandner, stellvertretende Bundessprecher der AfD.

Auch bei der Union erntete Scholz für seinen Vorstoß Kritik. Seine Entscheidung sei kein Machtwort, sondern ein „Zeichen von Schwäche“, teilte die wirtschaftspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Julia Klöckner, mit. „Die Bürger und Unternehmen warten auf echte Entlastung, die nur durch ein Mehr an Energie erreicht werden kann.“ (dl)

(Mit Material von Nachrichtenagenturen)



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