Maaßen im Exklusivinterview: „Parteien betreiben Marketing-Politik – Medien und Politiker im Biotop“ + Video

„Da ich mir über die Situation in Deutschland sehr große Sorgen mache, habe ich mir gedacht: Ab und an sage ich mal meine Meinung,“ sagte Hans-Georg Maaßen im Interview im Epoch-Times-Büro in Berlin. Hier der dritte und längste Teil über Deutschland.
Von 13. August 2019

Dies ist der letzte Teil des Exklusivinterviews, das wir mit Dr. Hans-Georg Maaßen, dem ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten, in Berlin geführt haben. Die beiden ersten Teile über China und Salvini sind unter diesem Artikel verlinkt.

Herr Maaßen, Sie haben sich viel zugemutet, seit Sie in die WerteUnion eingetreten sind. Sie gehen zu Veranstaltungen, Sie lassen sich befragen, Sie gehen auf Twitter. Sie nehmen am politischen Leben teil, leben mehr in der Außenwirkung, als sie es jemals getan haben. Ist aus ihrem vorläufigen Ruhestand ein Unruhestand geworden?

Ich bin eigentlich nicht wirklich im Ruhestand, das heißt im vorläufigen Ruhestand. Ich bin viel zu jung, um nichts zu tun. Ich bin Rechtsanwalt und gehe da auch meinen beruflichen Geschäften nach, hatte mir aber überlegt, ob ich mich wirklich nur auf das Private und Geschäftliche beschränken soll, oder ob ich mich auch politisch äußern soll.

Und nachdem ich mir die Situation in Deutschland in den letzten Jahren sehr gründlich angeschaut habe, gründlich analysiert habe und ich mir sehr große Sorgen mache, in welche Richtung unser Land geht und in welche Richtung Europa geht, habe ich mir gedacht: Ab und an sage ich mal meine Meinung von der Seitenlinie des Fußballfeldes, weil ich kein Spieler mehr bin, sondern eher der Zuschauer zu entsprechenden Spielzügen.

Das tue ich immer wieder und ich habe jedenfalls in den letzten sechs Monaten, in denen ich mich wiederholt geäußert habe, ein unglaublich großes und positives Feedback bekommen – und zwar von vielen Menschen, die mir geschrieben oder gesagt haben: Endlich sagt mal jemand das, was wir denken. Das ist auch sozusagen mein Rückenwind, wo ich sage, dann mache ich das, auch weil die Erwartungshaltung bei vielen da ist.

Bei der Vorbereitung zu diesem Gespräch bin ich auf ein Papier vom Oktober 2015 gestoßen, an dem die großen Dienste BND, Verfassungsschutz und BKA beteiligt waren. August Hanning hat es vorgelegt. Es ist in der Welt am Sonntag dann veröffentlicht worden und jetzt auch wieder aufrufbar. Es beginnt mit „1. Erklärung der Bundeskanzlerin der Bundesregierung, dass die Aufnahmekapazitäten in Deutschland bis auf weiteres erschöpft sind und Deutschland keine zusätzlichen Migranten mehr aufnehmen kann.“ Dieses haben Sie damals von der Bundesregierung aus Ihrer Einsicht verlangt. Hat sich daran inzwischen etwas geändert?

Ganz so war es nicht gewesen. Es war kein Papier, das die Nachrichtendienste oder Sicherheitschefs verfasst hatten, sondern August Hanning hat es gemacht, der frühere BND-Präsident. Ich kenne das Papier – ein Zehn-Punkte-Papier. Ich fand, das war ein gutes Papier. Die Punkte, die er aufgeführt hatte, waren damals jedenfalls sehr weitsichtig gewesen. Wenn man die Situation vom Oktober 2015 sieht und mit heute vergleicht, muss man sagen, hätte man damals diese zehn Punkte umgesetzt, dann hätten wir vielleicht heute die eine oder andere problematische Situation im Hinblick auf die Sicherheitslage nicht gehabt. Und wir hätten vielleicht nicht in diesem hohen Maße die Integrationsprobleme.

Der zweite Punkt heißt Weisung: Also es sollte eine Weisung an die Bundespolizei ergehen, die Grenze für Migranten ohne Einreiseerlaubnisse entsprechend der Gesetzeslage sofort zu schließen und Reisende ohne Einreiseerlaubnis zurückzuweisen.

Es geht da noch viel weiter … aber auch da ist bis heute nichts geschehen. Sie haben das ja auch immer wieder angesprochen. Was gibt es denn jetzt noch für Möglichkeiten, um diesen Einwanderungsschub zu stoppen?

Bundesinnenminister Seehofer hatte im letzten Jahr eine Initiative unternommen, damit die Bundespolizei in die Lage versetzt wird, auch Asylsuchende an der Grenze zurückzuweisen. Das war heftig debattiert worden zwischen Kanzleramt und Innenministerium, zwischen CDU und CSU, unter großer Beteiligung der Öffentlichkeit.

Letztlich sind wir leider nicht zu Seehofers Forderung gekommen, dass Zurückweisungen an der Grenze ausgesprochen werden. Ich halte es für notwendig, halte es für richtig. Wir dürfen nicht vergessen, auch jetzt kommen jeden Tag hunderte Personen, also Asylsuchende aus sicheren Drittstaaten über die Grenzen, die eigentlich nach Artikel 16 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz keinen Anspruch auf Asyl haben.

Und mein Wunsch und meine Erwartung wäre, dass man hier auch ein klares Signal in Richtung Drittstaaten setzt und sagt: Diese Leute nehmen wir nicht auf und ihnen verweigern wir die Einreise. Ich glaube, das wäre ein Signal, das jedenfalls nicht nur an die Drittstaaten ginge, dass sie die Leute nicht einfach – ich sage mal durchwinken – nach Deutschland, sondern das …

Sie meinen das Dublin-Abkommen?

… sondern das wäre ein Signal, dass ich sage mal weit bis nach Mittelasien und Schwarzafrika ginge, wo die Schleuser in den letzten Winkeln der Welt begreifen würden, dass Deutschland diesen Zuzug, wie er bisher stattgefunden hat, nicht mehr akzeptiert und nicht mehr hinnimmt.

Das ist aus meiner Sicht eine notwendige Entscheidung, die getroffen werden muss. Ich sage mal, mir kann niemand sagen, dass die Bundespolizei das nicht kann. Wir haben die Bundespolizei seit 1950, wenn jemand das schaffen kann, dann ist es die Bundespolizei, die es schafft, die Grenzen zu schützen.

Brauchen wir eigentlich neue Gesetze oder wäre erstmal nur die konsequente Anwendung unserer bestehenden Gesetze ausreichend?

Ich glaube, es wäre schon viel getan, wenn die bestehenden Gesetze konsequent angewandt würden, wie beispielsweise die Zurückweisung an der Grenze. Im Übrigen habe ich immer wieder Sorge, dass wir in Deutschland Gesetze sehr allgemein mit zweierlei Maß anwenden. Zum einen werden die Gesetze, wo sich kein wirklicher Widerstand regt – ich sage mal überspitzt – gnadenlos exekutiert bis eben hin zu den Bußgeldern und Verwarnungsgeldern bei Parkverstößen.

Aber wenn es um schlechte Bilder geht, wenn es um Widerstand auf der Straße oder in den Medien geht, scheuen so manche Berufspolitiker den knallharten Ernst des Gesetzes. Sie reden zwar von der Härte des Rechtsstaates, aber der Rechtsstaat entpuppt sich dann in den Augen – ich sag mal – vieler Krimineller und vieler Schleuser er als ein Wattebausch.

Nun gibt es ja schon viele Strafanzeigen gegen die Bundeskanzlerin wegen dieser Rechtsbrüche, auch von ehemaligen Verfassungsrichtern, die alle in Warteposition sind und nicht zugelassen oder gleich abgewiesen werden. Für Sie als Jurist muss das ja ein doppeltes Schmerzmoment enthalten?

Also ich bin kein Strafrechtsjurist, und das will ich gar nicht beurteilen. Mir geht es letztendlich darum, dass an der Grenze Zurückweisungen durchgeführt werden, und ich sage mal, dass das Ausländerrecht … ich bin fast vermessen zu sagen, auch mein Ausländerrecht, an dem ich viele Jahre mitgewirkt habe und mein Asylgesetz, an dem ich viele Jahre mitgewirkt habe … dass diese Gesetze in Deutschland wirklich vollzogen und angewandt werden, damit wir nicht die großen Probleme haben, die wir jetzt im Bereich der Integration oder Nicht-Integration in Deutschland haben. Das ist mir jedenfalls ein Herzensanliegen.

Ja, Sie haben ja auch etliche Bücher dazu verfasst und laufend aktualisiert.

Von den meisten Beobachtern, die überhaupt Gefahren artikulieren und auch in den Medien, wird der Islamismus – ich sage mal jetzt nicht Islam – als die größte Bedrohung beschrieben. Was möchten Sie dazu sagen?

Der Islamismus ist eine große Bedrohung für unsere Gesellschaft. Man muss hier unterscheiden … auf der einen Seite den islamistischen Terrorismus, den jeder wahrnehmen kann, wenn es Terroranschläge gibt und wo dann die Medien voll sind von Nachrichten über Terroranschläge. Der islamistische Terrorismus ist schlimm, weil viele Menschen zu Schaden kommen.

Aber was man vielfach übersieht, ist der islamistische Extremismus. Der ist schleichend. Den nimmt man nicht so wahr. Das sind diejenigen, die es schaffen, in Organisationen zu gehen, die es schaffen, in Ausländervereine einzutreten, die es schaffen, in Parteien einzutreten und dort subversiv ihre politischen und religiösen Auffassungen zu platzieren.

Und da sehe ich auch eine Gefahr für unsere Gesellschaft, wie ich überhaupt eine große Gefahr in der Stabilität oder besser formuliert, in der fehlenden Stabilität unserer Gesellschaft sehe, weil die unterschiedlichen Extremismen, die wir haben, dazu führen können, dass die Gesellschaft instabiler wird.

Was an diesem Islamismus halten Sie für besonders gravierend? Ist es das Menschenbild, ist es die Scharia, ist es dieses … über das bei uns herrschende Gesetz Stellen?

Die grundlegenden Probleme, die wir mit dem Islamismus haben, ist, dass der Islamismus mit Menschenrechten, wie wir sie uns im Westen über Jahrhunderte mühsam erarbeitet haben – auch mit vielen Rückschlägen – nicht kompatibel ist. Er will es nicht. Der Islamismus will, dass wir wieder dahin zurückkehren, wo wir aus meiner Sicht vor der Reformation in Deutschland waren, wo wir im Mittelalter waren.

Das ist aus meiner Sicht nicht nur inakzeptabel, sondern das muss aus meiner Sicht dazu führen, dass wir hier einen stärkeren Widerstand leisten gegen diesen Islamismus in Form eines legalistischen, eines schleichenden Extremismus, den man nicht mit Tötungsdelikten auf der Straße wahrnimmt, sondern den man nur schleichend wahrnimmt, indem Islamisten es in Parteien versuchen, in Rundfunkräte einzugehen usw. Da erwarte ich einen größeren Widerstand unserer Gesellschaft gegenüber diesen Personen und dieser Ideologie.

Wie könnte sich dieser Widerstand formieren. Wäre da zum Beispiel die WerteUnion eine der Anlaufstellen?

Ich glaube, die WerteUnion hat eine andere Zielrichtung als die Bekämpfung des islamistischen Extremismus. Der islamistische Extremismus muss aus meiner Sicht im Sinne einer gesamtgesellschaftlichen Initiative stärker bekämpft werden. Es muss wahrgenommen werden, er ist eine Bedrohung für unser Zusammenleben als demokratische Gesellschaft, die die Menschenrechte schätzt.

Die WerteUnion hat insoweit eine andere Zielrichtung, dass es aus Sicht der WerteUnion um eine Politikwende gehen soll. Die CDU und CSU WerteUnion nennt sich immer konservativ. Ich selbst sehe mich nicht als konservativ an. Worum es mir in erster Linie geht, ist, dass sich die CDU und CSU bei ihrer Programmatik an bestimmten christlich-demokratischen Positionen oder Werten orientieren und nicht daran, was vielleicht die Tagespresse oder der öffentlich-rechtliche Rundfunk als vielleicht interessante Themen, die mehrheitsfähig sind, propagiert.

Ich nehme jedenfalls die Politik bei CDU/CSU in den letzten Jahren leider so wahr, dass diese Werte und Grundpositionen, die die CDU/CSU in den letzten Jahrzehnten geprägt haben, ein Stück weit fallen gelassen wurden und man stattdessen, ich sage mal, eine Marketingpolitik vertritt und nicht eine Wertepolitik.

Marketingpolitik bedeutet, die Meinungsforschungsinstitute und Journalisten zu fragen, welche Politik müsste ich vertreten, damit ich stärkste Partei werde oder damit ich vielleicht die absolute Mehrheit bekomme.

Das ist aus meiner Sicht nicht der Grund, warum es die CDU und CSU gibt. Die CDU und CSU müssen für Werte stehen und für diese Werte kämpfen und sie müssen darum kämpfen, dass es für diese Werte Mehrheiten gibt.

Wie schätzen Sie den Einfluss der Massenmedien ein? Ist er stärker als der Einfluss der Politiker oder ist es umgekehrt … die Politiker geben etwas vor und die Medien machen was daraus?

Ich nehme wahr, dass Massenmedien und Politiker insbesondere in Berlin in einer Art Biotop leben und dieses Biotop ist ziemlich abgetrennt von dem normalen Leben. Wenig aus dem normalen Leben hat etwas gemeinsam mit dem, was Politiker und Journalisten als Politik empfinden.

Und um auf ihre Frage zurückkommen. Ich glaube, in diesem Biotop setzen Journalisten vielfach die Themen und Politiker laufen diesen Themen hinterher. Was die Beweggründe für die Politiker sind, kann ich ihnen auch nicht sagen. Es werden möglicherweise verschiedene sein.

Ob es nun das Klima ist oder die Umwelt oder das E-Mobil ist oder ob es um außenpolitische Fragen wie Russland oder China geht. Das sind Themen, die zunächst mal regelmäßig in den Medien aufgegriffen werden. Dann springen Politiker von der Hinterbank bis zur ersten Reihe auf diese Themen auf und versuchen, sich an die Spitze der Bewegung zu setzen. Das ist, was ich als Marketingpolitik kritisiere.

Es geht nicht darum, dass sich eine Partei oder ein Spitzenpolitiker an die Spitze einer Bewegung stellt und versucht schneller als die Journalisten bei der Bearbeitung von Themen zu sein und noch mehr Forderungen zu stellen. Es geht darum, dass Politik authentisch ist und ein Politiker für eine bestimmte Position steht und kämpft. Und wenn er zweiter Sieger ist, hat er eben Pech gehabt. Aber ich glaube, seine Wähler und die Anhänger der Partei erwarten von ihm, dass er ein Steher ist und für diese Position eintritt.

Sie wissen, dass dieser Ausdruck der Marketingpolitik Schlagzeilen machen wird, wenn man sieht, dass Sie den verwenden?

Das weiß ich nicht. Aber ich stehe zu dem Ausdruck und ich glaube ehrlich gesagt, diejenigen, die eine Marketingpolitik betreiben, sollten auch zu diesem Ausdruck stehen. Wenn man dazu steht, hat man auch die Möglichkeit, darüber zu diskutieren. Ich glaube, es sprechen gute Gründe für das eine wie für das andere. Nur ich bin der Meinung, die Aufgabe der Parteien ist, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken. So sieht es jedenfalls unsere Verfassung vor und nicht Positionen, die vielleicht von Journalisten vorgegeben werden oder die möglicherweise mehrheitsfähig sind, zu propagieren.

Trifft das auch auf das Hochspielen des Links-, Rechtsextremismus zu? Hat das nach Ihrer Einschätzung auch Auswirkungen, was die Medien daraus machen?

Ich glaube in Teilen auch. Wir haben in Teilen … ich sage mal insgesamt ein Problem in der politischen Elite, sagen wir mal auch mit der medialen Elite dieses Landes, nämlich, dass wir sehr stark grün-links dominiert sind. So wird alles, was in irgendeiner Weise nach rechts aussieht oder riecht oder sich so anhört tabuisiert, stigmatisiert, dämonisiert, diskreditiert und ausgegrenzt. Das sind Methoden, die aus dem Giftschrank des Totalitarismus kommen, vor allem des linken Totalitarismus. Dagegen bin ich und dagegen setze ich mich auch zur Wehr.

Wir brauchen in einer offenen Gesellschaft einen Diskurs über alle Themen. Ich wehre mich dagegen, dass etwas tabuisiert wird, nur weil ein vermutlich Rechter über ein Thema gesprochen oder geschrieben hat. Auch ein mutmaßlich Rechter oder Rechtsextremist kann recht haben, genauso wie ein Islamist auch recht haben kann. Man muss über alle Punkte reden und das erwarte ich in einer Demokratie auch von Berufsdemokraten.

Wir hatten ja mal eine Demokratie, in der man über alles reden konnte oder nicht?

Das Grundgesetz sieht vor, dass man über alle Themen in der Gesellschaft redet, egal, ob rechts, links, islamistisch, ökologisch oder über extremistische Themen. Auch extremistische Themen sind keine Tabuthemen, auch wenn der Verfassungsschutz vielleicht manche Leute davon beobachtet. Man muss in der Demokratie in der Lage sein, über alle Themen zu reden, schon allein um die Extremisten mit Argumenten von der Richtigkeit der demokratischen Grundordnung zu überzeugen.

Was ich jetzt feststelle, in Teilen jedenfalls, ist, dass manche Spitzenpolitiker und manche Medien nicht mehr möchten, dass über bestimmte Themen überhaupt gesprochen wird. Und das, obwohl es das Grundgesetz eigentlich vorsieht. Ich werbe dafür, dass man zu den Inhalten zurückkehrt und jedem das Wort gibt, ohne ihn auszugrenzen.

Ich stelle fest, dass Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg eine klare Abgrenzung gebildet hat zwischen – ich sag mal – rechts, rechtspopulistisch, national-konservativ und rechtsextrem.  Es gab also eine klare Trennung, eine klare Abgrenzung zwischen Rechtsextremen und den anderen bürgerlich Rechtskonservativen. Das hat dazu geführt, dass Parteien wie die NPD nie wirklich ein Bein auf den Boden bekommen haben.

Im Bereich des Linksextremismus war das eigentlich anders. Das hat sich vielleicht durch die 68er Bewegung noch stärker entwickelt. Man kann sagen, es gab eine Art Brücke zwischen dem linksliberalen Bürgertum, den Linksradikalen über die Linksextremen bis hin sogar zu den gewaltbereiten Linksextremen. Diese Brücke haben wir vorletztes Jahr beim G20-Gipfel in Hamburg gesehen. Es kam zu einer massiven Auseinandersetzung mit der Polizei, bei der Linksextremisten in hohem Maße gewaltbereit waren. Wir mussten feststellen, dass – anders als beim G8-Gipfel ein paar Jahre zuvor in Elmau – die Linksextremisten in Hamburg die Reihen bis hin mit dem linksliberalen Bürgertum und mit manchen Journalisten geschlossen hatten.

Ich habe immer wieder deutlich gemacht, dass wir als Demokratie mit beiden Augen gut sehen können müssen, sowohl mit dem rechten wie mit dem linken Auge. Wir können es nicht akzeptieren, dass es Solidarisierung und Weggucken gibt, wenn Straftaten begangen werden und wenn Extremisten agieren, nur weil vielleicht die politische Zielrichtung dem einen oder anderen passt. Eine derartige Toleranz darf es einfach nicht geben.

Sie haben davon gesprochen, dass die Bevölkerung Stärke entwickeln muss, wieder eine demokratische Stärke, ohne dass man genau definieren kann, wie und auf welche Weise… aber vielleicht schon dadurch, dass mehr Menschen wie Sie den Mund aufmachen und sich äußern?

Ich glaube, was in Deutschland einfach notwendig ist, ist, dass die Menschen begreifen, dass sie für sich selbst und für die Gemeinschaft politische Verantwortung tragen müssen. Ein Professor hatte mir mal gesagt, er hat den Eindruck, Deutschland ist wieder in der zweiten Biedermeier-Zeit. Er wollte mir damit Folgendes sagen: In der Biedermeier-Zeit im neunzehnten Jahrhundert hatte sich das Bürgertum, nachdem die Demokratie- und Republikgedanken gescheitert waren, ins Private zurückgezogen … in die Welt von Spitzweg und anderen Zeitgenossen.

Man hat sich nicht mehr mit Politik beschäftigt und mein Eindruck ist, dass viele Menschen in Deutschland der Überzeugung sind, Demokratie besteht darin, dass man einmal in vier Jahren zum Wählen geht und man Steuern zahlt und dann sollten es die Leute in Berlin für einen machen.

Nur so funktioniert es nicht, und ich kann die Menschen nur ermutigen, wenn sie mit den politischen Zuständen in diesem Land nicht zufrieden sind, sollen sie in die Parteien eintreten oder meinetwegen einen Marsch durch die Parteien machen. Meinetwegen auch demonstrieren, aber sie müssen ihre Stimme auch zum Ausdruck bringen. Allein zu Hause zu sitzen und zu glauben, dadurch politische Veränderungen herbeizuführen, ist ein Irrglaube.

Sie werden sich jetzt auch in Sachsen verstärkt einmischen mit ihren Stellungnahmen. Warum ausgerechnet Sachsen?

Ich werde in Sachsen, in Brandenburg und in Thüringen auf Einladung von einzelnen Landtagsabgeordneten oder Kandidaten in die Landkreise oder in die Wahlkreise fahren und dort die CDU-Abgeordneten und Kandidaten unterstützen, weil ich es für richtig halte, dass wir bei diesen drei wichtigen Wahlen in den neuen Bundesländern vernünftige Leute in den Landtagen haben.

Sie haben gesagt, oder jedenfalls ist es kolportiert worden, dass Sie gesagt hätten, die CDU muss nicht unbedingt immer an der Regierung beteiligt sein. Stimmt das?

Ich bin der Überzeugung, dass eine Partei nicht existieren soll, nur um zu regieren. Das gilt auch für die CDU und CSU. Ich bin nicht der Meinung, dass es Kanzlerwahlvereine sind, sondern Programmparteien oder Werteparteien. Das Ziel muss sein, für bestimmte Positionen und Werte zu kämpfen und wenn man dafür die Mehrheit bekommt, dann ist es sehr gut. Dann hat man gute Arbeit geleistet. Man hat die Menschen von sich überzeugt. Wenn nicht, dann ist es schade und dann muss man gute Oppositionsarbeit machen.

Aber es kann nicht sein, dass es das Ziel ist, dass nur bestimmte Personen in bestimmte Funktionen kommen und dass die Partei Regierungspartner wird, koste es, was es wolle und sei es, dass man die eigenen Positionen und Werte abräumt, verschenkt und vielleicht die Positionen der anderen übernimmt. Das kann es nicht sein und von daher habe ich gesagt, es ist schön, wenn die CDU Regierungspartei ist und aufgrund ihrer Werte und Position gewählt wird. Und wenn sie nicht die Mehrheit bekommt, dann ist es nur demokratisch, wenn sie dann gute Oppositionsarbeit macht.

Es heißt, dass sie die japanische Sprache sprechen und dass sie öfter in Japan sind. Kann es sein, dass die japanische Kultur etwas ist, das Ihnen auch eine innere Ruhe gibt. Sie ist ja von der alten chinesischen Kultur stark beeinflusst. Ich meine nicht die jetzige kommunistische Erscheinungsweise von China, sondern die alte chinesische Kultur. Ist das etwas, womit Sie gerne zu tun haben?

Ja, sehr gerne. Ich liebe Japan und liebe die japanische Kultur. Ich habe mich mit Buddhismus beschäftigt, mit Schopenhauer, der auch durch den Buddhismus geprägt ist. Und ich muss sagen, das gibt mir etwas und es gibt mir Ruhe. Man kann einfach tiefer in sich ruhen, ohne dass man dann nervös ist oder die Welt in Zweifel zieht.

Darf ich ein bisschen nachbohren? Warum gibt es Ihnen Ruhe?

Es gibt mir deswegen Ruhe, weil es mehr Gelassenheit vermittelt. Man nimmt vieles nicht mehr so ernst, wie es vielleicht für den Moment in einem sein könnte. Ich bin vielleicht dadurch ausgeglichen oder ich sage mal locker.

Ich bedanke mich sehr herzlich, dass Sie zur Epoch Times gekommen sind und wünsche Ihnen alles Gute und dass viele Ihrer demokratischen Ideen, auch der geistigen Ideen, andere anstecken, sich auch zu engagieren. Es muss nicht in der CDU, sondern kann auch überall anders sein.

Sehr gerne, herzlichen Dank.

Das Gespräch führte Renate Lilge-Stodieck.

Die Videoaufnahme folgt



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