Manche haben das Arbeiten verlernt

Mittlerweile sind die Menschen sehr selbstbewusst geworden und sagen: „Nein, die Arbeit mach ich nicht. Da ist mir das Schmerzensgeld nicht hoch genug.“ Für Unternehmen ist das ein Problem.
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Ist der Lohn von Lageristen, das „Schmerzensgeld“, hoch genug?Foto: iStock
Von 15. Mai 2022

Haben manche Menschen das Arbeiten verlernt? Thomas Kujawa nennt seine Tätigkeit „Fluktuationsbändiger“. Der Leipziger ist für Unternehmer Ansprechpartner für eine komplexer werdende Arbeit: die Sicherung der Fachkräfte. Mitarbeiter an eine Firma zu binden und neue zu suchen ist schwieriger geworden.

Als Gesellschafter der familienfreund KG kennt er die Wandlungen in der Arbeitswelt durch Homeoffice und Kurzarbeit. Die Einstellung der Erwerbstätigen hat sich verändert, sagt er im Interview mit Epoch Times. Die Individualisierung der Gesellschaft steige, der Andere zähle für manche Menschen nicht mehr viel. Respekt gehe verloren, auch den Arbeitgebern gegenüber. Das Interview führte Kathrin Sumpf.

Hat sich bei den Arbeitgebern etwas verändert?

Es hat sich unwahrscheinlich viel geändert. Seit 2006 haben wir das Thema Bindung und Vereinbarkeit im Blick und erkennen durchaus Unterschiede. Schröder hat damals das Wort „Familiengedöns“ geprägt. Jetzt zeigt sich sowohl in den Medien als auch bei den Menschen, dass sich die Vorstellung von Arbeit und Leben komplett verändert hat.

Mittlerweile sind die Menschen sehr selbstbewusst geworden und sagen, dass sie die Arbeit nicht mehr machen, da ihnen das Schmerzensgeld nicht hoch genug sei.

Mittlerweile ist es ziemlich normal, dass sich jemand mit 20, auch 25 Stunden pro Woche ein aus seiner Sicht angenehmes Leben organisieren kann. Ich sage mit Absicht nicht verdienen kann.

Aus Sicht der Unternehmen ist das eine riesige Herausforderung. Sie benötigen die Leistung zur Herstellung der Produkte. Sie erwarten eine andere Haltung. Unternehmer können nicht sagen: Bei uns gilt Just-in-time und der Lieferfahrer will nur zehn Stunden die Woche arbeiten. Wann sollte der Mann denn die Stunden machen?

Die Veränderung ist, dass sich die Leute sagen, sie seien mit relativ wenig Arbeitsstunden zufrieden, doch es fehlt der Zusammenhang dazu, dass die anderen das vielleicht auch wollen.  

Die Individualisierung ist enorm, sie wirkt wie ein Brandbeschleuniger, der durch Corona noch einmal stärker geworden ist. Menschen sollen ja auf sich Rücksicht nehmen, gesundheitlich etc., andererseits stellt sich mancher alleinig in den Vordergrund und meint, alles andere zähle gar nicht. Es geht nur um das Ich und jetzt sofort und das nur zu den Bedingungen, die derjenige benennt.

Betrifft das bestimmte Gruppen? Man spricht ja immer von Generation Z, die anders tickt?

Durch unsere Befragungen und Studien können wir sagen, längerfristig gesehen haben die Vorstellungen bei den Jüngeren angefangen. Ob das Generation X, Y oder Z genannt wird, ist irrelevant. Durch Kommunikation und die Transparenz der Gesellschaft sind auch Ältere, ich sage gern, Erfahrene, selbstbewusster geworden. Sie sagen sich, dass sie damals auch am Samstag Schule gehabt hätten, es aber auch mal schön sei, zwei oder drei Tage freizuhaben und das Leben neu zu begreifen.

Das Bewusstsein, etwas zu leisten, auch mal mit schlechter Laune oder Schnupfen zur Arbeit zu gehen, das ist bei Älteren anerzogener als bei Jungen. Doch sie werden auch immer selbstbewusster, weil sie sehen, was bei den Jüngeren alles geht – man muss auch sagen, was sich Jüngere herausnehmen. 

Ein Beispiel: Manche reichen einfach einen Schnelltest ein, komischerweise eher freitags und montags und sind dann einfach nicht da. Der Krankenschein von früher ist der Schnelltest von heute. Dann fordern die Kollegen, den Schnelltest zu verifizieren und sagen sich, dass sie diese Suppe nicht wollen, die die Fehlzeiten des anderen hervorgerufen haben. 

Arbeitgeber sind daran interessiert zu erfahren, welche Bedürfnisse ihre Angestellten haben. Sie gehen ein stückweit mit und erwarten im Ausgleich, dass jene leistungsbereit sind. Doch Übertreibung ist nicht gut.

Gibt es bestimmte Branchen, die positiv oder negativ auffallen?

Im Prinzip ist das branchenübergreifend. Typisch sind einerseits Schwierigkeiten in der Gastronomie und bei Lieferjobs. Wenn man das aus etwas größerer Sicht betrachtet, ist das das Thema der Basisarbeit, also bei Anlerntätigkeiten, einfacheren Arbeiten, wo man scheinbar keine Fachkenntnisse braucht.

Ein Beispiel aus dem Verkauf. Als Kunden sind wir mittlerweile gewöhnt, dass es kein Fachverkäufer mehr ist, der mir die Ware über den Tresen reicht, sondern irgendjemand. Doch Verkäufersein ist eine schwierige und anstrengende Tätigkeit, man muss sich ständig weiterentwickeln und informieren.

Auf der anderen Seite betrifft es IT- und Bürojobs, Personaler und Verantwortliche. Mit Corona kamen die Begriffe „Weiße-Kragen-Jobs“ und „Blaumann-Jobs“ auf. Professor Peter M. Wald, Personalmanagement-Professor und Blogger in Leipzig, spricht von „Menschen ohne Schreibtisch“, den „Desk-less-Workern“.

Bei Personalverantwortlichen gibt es den Trend, diese andere Seite stärker in den Fokus zu nehmen. Der Bandarbeiter bleibt bei solchen Diskussionen wie Homeoffice, flexible Arbeitszeiten, Vier-Tage-Woche ohnehin außen vor.

Im Büro- und Verwaltungsbereich von Amazon wird beispielsweise bei der Erfüllung der Bedürfnisse der Angestellten exzellent gute Arbeit geleistet. Bei den Lageristen und Auslieferern gibt es gefühlt scheinbar katastrophale Arbeitsbedingungen. Doch gleichzeitig gibt es dort Menschen, die sagen, es sei genau das, was sie sich für ihr Leben vorgestellt haben. Manchmal wundere ich mich wirklich.

Sie haben auf Ihrer Website fachkraeftesicherer.de über die Benefit-Spirale geschrieben und plädieren dafür, diese zurückzufahren. Können Sie dazu etwas sagen?

Ein Begriff dafür ist „pampern“, also Menschen noch weicher und noch besser betten. In gewissem Maß sind wir das aus der Konsumwelt gewohnt. Es gibt ein Geschenk oben drauf, hier noch etwas und da noch etwas. Es macht weniger Arbeit, einfach einen Zucker obenauf zu packen als tatsächlich zu schauen, wie ich wirklich denjenigen erreichen kann, der arbeiten will.

Auf der anderen Seite gibt es durchaus Menschen, die es sehr gut verstehen, den Sozialstaat maximal auszunutzen. Sie schauen bei einem Arbeitsvertrag danach, wie sie das Beste herausholen können. Viele Arbeitgeber haben angefangen, das kritisch zu hinterfragen. Sie geben jetzt nicht noch einen Tankgutschein oder ein E-Bike oder einen Kaffeeautomaten mit dem veganen Sojamilchschaum dazu. Sie halten sich an das, was gesetzlich an Arbeitsbedingungen vorgeschrieben ist und sind die Benefits leid.

Ein Unternehmer zahlte beispielsweise seinen Beschäftigten Kurzarbeitergeld. Die Beschäftigten liefen in Coronazeiten nicht Gefahr, ihre Wohnung zu verlieren. Der Betrieb hat gesehen, dass die Lage für einige kompliziert war und stockte es aus seinen Reserven auf. Damit kein sozialer Unfrieden entsteht, taten sie das grundsätzlich für alle. Das hieß also, wer Kurzarbeit hat, bekam die 70 Prozent vom Staat und vom Unternehmen noch die 30 Prozent zusätzlich aufgestockt. 

Das fand ich eine sehr großzügige Geste. Kompliziert wurde es, als Corona vorbei war. Die Menschen waren zu Hause und haben 100 Prozent ihres Entgelts bekommen, ohne was zu tun. Dann sollten sie wieder zur Arbeit kommen. Das Alimentieren hat quasi dazu geführt, dass Menschen – nicht alle, zum Glück – verlernten, zu arbeiten.

Wie viele betrifft das?

Auf jenen Betrieb bezogen waren es fünf bis sechs Prozent. Es war keine Arbeitsverweigerung. Doch es gab schon das Gefühl von Verantwortlichen und Führungskräften, dass die Motivation sehr eingeschränkt war. Bei der Ausarbeitung der Belegungspläne wurde schon sehr deutlich, dass sie eigentlich kommen wollten, wann sie Lust haben. Da war wenig Verständnis für Arbeitszeiten.

Eine Schwierigkeit sehe ich im fehlenden Wissen um Zusammenhänge. Wer am Tresen steht, hat nicht immer das Verständnis, dass ich als Kunde seinen Job bezahle. Das ist wie beim Verwaltungsmitarbeiter oder einem Schulleiter. Er versteht nicht, dass das Unternehmen, was da draußen existiert und Geld verdienen muss, auch dafür sorgt, dass er – übertrieben gesagt – ein sorgenfreies Leben hat.

Er hat natürlich kein sorgenfreies Leben, er hat auch viele Sorgen, vollkommen klar. Aber prinzipiell muss er sich um seinen Lebensabend nicht so viele Sorgen machen wie der (Solo)Selbstständige oder der Handwerksmeister um die Ecke.

Wie lange können wir als Gesellschaft das durchhalten?

Ironisch gesagt hieße es, einfach noch bisschen mehr Geld zu drucken. Das ist genau der Punkt. Natürlich geht das nicht so weiter und man kann nur solange so arbeiten, wie sich das Ganze rechnet. Das hat auch mit der Leistungsbereitschaft zu tun. Wer etwas leistet, kann dafür auch etwas erwarten. Dieser Vertrag ist zwar nicht aufgehoben worden, aber er wird von einigen nicht mehr gelebt.

Wir haben in Deutschland ein Grundsicherungssystem, hervorgegangen aus Arbeitslosengeld und Sozialhilfe. Der Gesetzgeber sagt, dieser Grundsicherungsbeitrag ist ausreichend, um über den Tag, die Woche, den Monat zu kommen. Das ist gesetzlich definiert, es ist Fakt. Jetzt gibt es Menschen, die engagieren sich bei den Tafeln und bieten ein Unterstützungssystem zusätzlich zu dem faktischen Grundsicherungssystem an. Das ist durchaus ganz ehrenwert.

Bekomme ich von jemandem Geld und wird es tatsächlich angegeben, dann wird es mit der Grundsicherung verrechnet. Wenn ich mir allerdings Leistungen von einem Verein zukommen lasse, in Form von Lebensmitteln, dann wird mir das nicht abgezogen. Das heißt also, ich kann mir daraus ein System bauen, mit dem ich meine Käufe für Lebensmittel drastisch einschränke und dieses Geld in andere Dinge investiere. Ich will jetzt nicht das übliche Vorurteil bringen: in Drogen, Zigaretten und Alkohol. Doch ich kann mir vielleicht dann Dinge leisten, die ich mir vorher nicht leisten konnte.

Das stellt dieses faktische Prinzip infrage. Das Ganze stellt den Vertrag – Leistung bekommen und Leistung bringen – infrage. In den Medien heißt es, die Tafeln können nicht alle unterstützen, sie haben gar nicht genug. Es geht nicht darum, ein zweites System neben dem Grundsicherungssystem zu schaffen. Da gibt es die Grundsicherung, einen Wohnkostenzuschuss, und dann bekommt derjenige noch „an den Büchern“ vorbei eine zusätzliche Leistung.

Es geht nicht darum, das Grundsystem infrage zu stellen. Wenn ich mich freiwillig engagiere wie beispielsweise in der Flüchtlingskrise, dann sollte ich auf der anderen Seite nicht fordern, dass ich extra Mittel bekomme. Entweder ich mache es freiwillig, also ein Amt der Ehre wegen, oder ich mache es professionell. Dann habe ich bestimmte Dinge auch zu erfüllen, zum Beispiel eine Qualifikation nachzuweisen. Mittlerweile wird Ehrenamt strukturell ausgenutzt.

Zurück zur Leistungsbereitschaft auf der Arbeit. Ist es nicht so, dass diejenigen, die besonders engagiert sind, ihr eigenes Unternehmen gründen?

Das ist erstaunlicherweise nicht unbedingt so. Es ist häufig zu sehen, dass sehr gute Beschäftigte, auch gut emotional an das Unternehmen gebundene Mitarbeiter, keine Verantwortung übernehmen wollen. Verantwortung für sich selbst und ihre Arbeit, ja. Jedoch nicht für andere. Sie wollen kein Chef oder keine Chefin sein, kein Teamleiter, keine Filiale leiten. Sie wollen auch keine Beförderung.

Das stellt Betriebe vor große Herausforderungen. Es gibt mittlerweile Unternehmen, in denen man feststellt, dass ihre Beschäftigten alle sehr gern kommen und einen super Job machen. Aber es will keiner sagen, wo es lang geht. Keiner will den Kopf hinhalten, keiner will die Verantwortung tragen.

Die Menschen sind Individualisten geworden. Der einzelne Mensch sagt ganz klar, dass er wichtig sei. Und das ist bis zu einem bestimmten Grad auch ganz korrekt. Doch es nimmt überhand, wenn nichts anderes mehr gilt. Es wird vergessen, dass es auch andere gibt. 

Es ist nicht so, dass alle, die motiviert sind, ein Unternehmen gründen wollen. Das wäre toll, aber es ist bei Weitem nicht so. Vielleicht noch nicht.

Herr Kujawa, zweifeln Sie manchmal an sich, ihrer Arbeit und den Menschen?

Meine Ungeduld ist tatsächlich eine meiner größten Schwächen, aber ich habe in den letzten 16 Jahren viele tolle Erfahrungen gemacht und durfte positive Veränderungen wahrnehmen, aber auch anstoßen.

Wenn wir Menschen uns zuhören, akzeptieren, das es andere Meinungen gibt und im wertschätzenden Austausch bleiben, bin ich guter Dinge, dass die Menschheit noch nicht verloren ist. Das gilt sowohl für die Arbeitswelt als auch für den Alltag.



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