Schüler suchen Lehrer – in Sachsen gibt ein Familienunternehmen aus der Baubranche Mathe-Unterricht

Die erste Stunde fällt aus – wieder einmal. Der Personalnotstand in deutschen Schulen beschäftigt nicht nur Lehrkräfte und Eltern. Auch die Schüler in einer Kleinstadt im sächsischen Vogtlandkreis haben sich Gedanken dazu gemacht – und kamen auf eine Kreativlösung.
Lehrermangel
Das Thema Lehrermangel beschäftigt die Schulen in den nächsten Jahren weiter.Foto: Caroline Seidel/dpa/dpa
Von 1. Februar 2023

An dieser Stelle wird ein Podcast von Podcaster angezeigt. Bitte akzeptieren Sie mit einem Klick auf den folgenden Button die Marketing-Cookies, um den Podcast anzuhören.

„Schüler suchen Lehrer – Bewirb dich jetzt!“ So stand es auf einem riesengroßen Plakat auf einer Hauptstraße im vogtländischen Lengenfeld. Mit der außergewöhnlichen Aktion wollten die Schüler der Lessing-Oberschule in Sachsen auf ein Problem aufmerksam machen: den Lehrermangel.

Mit Erfolg. Aus den Initiativen der Jugendlichen, Eltern und Schule ist eine Lehrer-Patenschaft mit der Firma KOBRA Lengenfeld entstanden.

Seit September 2022 kommen mehrere Mitarbeiter des Familienunternehmens regelmäßig in die Schule, um den Fünftklässlern Matheunterricht zu geben. Darüber berichten der MDR und die „Freie Presse“.

12.000 oder 40.000 unbesetzte Lehrerstellen?

Laut Informationen des „Deutschen Schulportals“ der Robert Bosch Stiftung wurden in Sachsen zum Schuljahr 2022/2023 rund 1.500 Lehrerstellen ausgeschrieben. Beworben hätten sich allerdings nur 890 grundständig ausgebildete Lehrkräfte. Deutschlandweit seien aktuell mehr als 12.000 Lehrerstellen unbesetzt, so eine Umfrage des „Redaktionsnetzwerks Deutschland“ im Auftrag der Kultusministerien.

Der Deutsche Lehrerverband geht von einer viel höheren Zahl aus. Der Präsident des Verbands, Heinz-Peter Meidinger, sprach von „geschönten“ Zahlen. Ihm zufolge fehlten in Deutschland derzeit zwischen 32.000 bis 40.000 Lehrer. Meidinger erklärte diese Diskrepanz so: Zum einen gingen fälschlicherweise Schulhelfer wie Eltern und Nicht-Pädagogen ebenfalls als Lehrkräfte in die Statistik ein. Zum anderen wurden gleich am Anfang des Schuljahres in vielen Bundesländern Unterrichtsstunden – je nach personellem Engpass – gestrichen. Auf dem Papier sehe es dann so aus, als sei der Bedarf gedeckt.

Größere Klassen oder Kürzungen der Stundentafel seien längst keine Tabuthemen mehr, schlussfolgert das „Schulportal“. Vor diesem Dilemma stand auch die Lessing-Oberschule in Lengenfeld. Bereits vor Schulbeginn war klar: Die Mathestunden für die Schüler der fünften Klasse mussten gekürzt werden. Es fehlten Mathelehrer.

Unterstützung für die Heimatstadt

Das Problem sprach sich in der Kleinstadt im sächsischen Vogtlandkreis schnell herum. Als KOBRA-Chef Holger Stichel davon erfuhr, musste er nicht lange überlegen und stellte sechs Mitarbeiter, die sich dafür interessierten, stundenweise von der Arbeit frei. Diese helfen im Rahmen einer Dienstvereinbarung im Mathematikunterricht aus. Den Lehrern auf Zeit steht eine Schulpädagogin für didaktische Fragen zur Seite.

„Ohne Mathe geht in technischen Berufen nichts“, zitierte die „Freie Presse“ den Geschäftsführer. „Wir helfen aber auch, weil das Problem ja auch Mitarbeiter und deren Familien betrifft.“ Rund 400 Mitarbeiter beschäftigt die Firma, die Gussformen für Betonsteine und Platten herstellt und auf dem Weltmarkt verkauft. Viele der Beschäftigten kommen aus Lengenfeld, saßen selbst einmal als Schüler in der Lessing-Oberschule und schicken auch ihre Kinder heute dorthin, berichtet das ZDF.

Außerdem kenne man das Problem des Fachkräftemangels als mittelständisches Unternehmen. „Wir als Firma wollen ja auch mal Lehrlinge haben“, erklärte Katrin Graupner, eine Mitarbeiterin im Vertrieb, die die Lehrer-Patenschaft koordiniert. „Und vielleicht erinnern die sich bei ihrer Berufswahl dann an uns und sagen: Hey, die haben uns ja damals auch geholfen – also vielleicht bringt’s ja was“, sagte sie gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Sender.

Was die Expertenkommission unter anderem vorschlägt

Wie hilfreich die Idee einer Lehrer-Patenschaft auch sein mag, so ist sie doch keine langfristige Antwort auf das Problem. Die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK), ein Beratergremium der Kultusministerkonferenz, veröffentlichte am 27. Januar eine Reihe von Vorschlägen zum Umgang mit dem Lehrermangel.

Zunächst stellte die Kommission fest, dass fast die Hälfte der Lehrkräfte in Teilzeit arbeitet. Sie schlägt deshalb vor, die Möglichkeiten dafür zu begrenzen. Hier liege nämlich die „größte Beschäftigungsreserve“, hieß es. Geprüft werden sollte zudem eine befristete Erhöhung des wöchentlichen Unterrichtskontingents für Lehrkräfte. Die Mehrarbeit könne finanziell oder durch weniger Arbeitszeit in späteren Jahren kompensiert werden.

Die Kommission wirbt auch für größere Klassen und hybriden Unterricht. Zum Beispiel könnte eine Lehrkraft in einer Klasse unterrichten und eine andere Klasse – auch aus einer anderen Schule – ist zugeschaltet.

Darüber hinaus sprechen sich die Wissenschaftler für erleichterte Anerkennungen von Abschlüssen von ausländischen Lehrern aus. Vorgeschlagen wurden auch mehr Angebote zur Gesundheitsvorsorge bei Lehrkräften – etwa Coaching, Supervision oder Achtsamkeitstrainings.

SWK: Noch 20 Jahre Lehrermangel

Einige der Vorschläge werden bereits in manchen Schulen umgesetzt, andere werden als „praxisfremd“ kritisiert. „Wer Teilzeit und Altersermäßigungen einschränken oder abschaffen will, treibt noch mehr Lehrkräfte in die Frühpensionierung und den Burnout“, warnte Meidinger vom Deutschen Lehrerverband.

Der Lehrermangel lässt sich wohl so schnell nicht wegzaubern und werde „aller Voraussicht nach in den kommenden 20 Jahren bestehen bleiben“, prognostizierten die Mitglieder der SWK.

Für die Fünftklässler der Lengenfelder Oberschule aber bleibt der Matheunterricht immerhin noch bis zum Schuljahresende gesichert.

(Mit Material der Agenturen)



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion