„Mit Verlaub, das ist billig, aber nicht recht“ – Ärztepräsident kritisiert Lauterbach

Es waren deutliche Worte, die der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Klaus Reinhardt, am 16. Mai an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) richtete. Dafür erntete er Applaus aus der Ärzteschaft.
Titelbild
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) (l.) und Bundesärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt.Foto: Jürgen Gebhardt
Von 17. Mai 2023

In seiner Eröffnungsrede zum 127. Deutschen Ärztetag hielt der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Dr. Klaus Reinhardt, mit seiner Kritik nicht hinter dem Berg. Das ermöglichte den Teilnehmern einen Blick hinter die Kulissen der Politik.

Reinhardt kritisierte unter anderem die viel zu kurzen Fristsetzungen, in denen eine Stellungnahme zu wichtigen Gesetzgebungsverfahren abgegeben werden soll. Allein in den letzten vier Jahren habe die Bundesärztekammer insgesamt 264 Stellungnahmen und 19 umfangreiche Positionspapiere erstellt und in die Politik eingebracht.

„Wir waren von Anfang an eng eingebunden in die Ad-hoc-Maßnahmen zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes. Da mussten teilweise in Stundenfrist Gesetzes- und Verordnungsentwürfe gegengelesen, ergänzt und korrigiert werden“, schilderte Reinhardt.

Besonders brisant: Ein Entwurf zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes ging laut Reinhardt am 9. März 2023 nachts um 1:08 Uhr ein. Eine Stellungnahme wurde bis 10 Uhr am gleichen Tag gefordert. Als weitere Beispiele nannte er:

  • Die Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes zum Ausgleich für Steigerungen der Kosten für den Bezug von Erdgas und Strom: Eingang des Entwurfs: 21.11.2022, 11 Uhr, Stellungnahmefrist: 21.11.2022, 19 Uhr
  • Die Verordnung zum Anspruch auf Testung in Bezug auf einen direkten Erregernachweis des Coronavirus: Eingang des Entwurfs: 24.06.2022, 13:45 Uhr, Stellungnahmefrist: 24.06.2022, 18 Uhr

„Es handelt sich hier um umfangreiche und komplexe Gesetzentwürfe und Verordnungen, die zu prüfen und zu bewerten mindestens Tage, wenn nicht Wochen in Anspruch nehmen würde“, kritisiert Reinhardt.

Eine Notlösung wird zum Normalfall

Bis vor wenigen Jahren habe man den beteiligten Organisationen diese Zeit auch zugebilligt, doch mit Corona habe sich das geändert, so der BÄK-Präsident weiter. Dabei zeigte er durchaus Verständnis, dass anfangs Entscheidungen schnell getroffen werden mussten. Gleichzeitig führte er an:

„Die Bundestagspräsidentin Bärbel Bas weist aber zu Recht darauf hin, dass diese Notlösung mittlerweile zum Normalfall geworden ist, von der neben uns natürlich auch die Abgeordneten des Bundestages selbst betroffen sind. Auch sie haben kaum Zeit, die vielen umfangreichen Gesetzentwürfe und komplexen Änderungsanträge, die fünf vor zwölf bei ihnen eingehen, zu lesen und zu durchdringen.“

Eine derartige „Pro-forma-Beteiligung“ halte Reinhardt unter dem Gesichtspunkt der Akzeptanz politischer Entscheidungen für „demokratiegefährdend“.

Für mich ist das eine nicht mehr länger hinnehmbare Dehnung unseres Rechtsstaates“, betont der BÄK-Präsident.

Aus gutem Grund seien Expertenanhörungen und Stellungnahmeverfahren feste Bestandteile von Verordnungs- und Gesetzgebungsprozessen. „Nur wir können den Praxischeck machen, ohne den jede Reform zu Verwerfungen in der Versorgung führt oder ins Leere läuft.“

Direkt an Lauterbach gerichtet, sagte Reinhardt: „Herr Minister, Sie stellen fest, Sie wüssten im Vorhinein, was Bundesärztekammer, Kassenärztliche Bundesvereinigung, Deutsche Krankenhausgesellschaft, Pflegerat und viele weitere Organisationen zu Ihren Reformplänen sagen würden – und deshalb beteiligen Sie uns erst gar nicht an Ihren Reformkommissionen. Mit Verlaub, das ist billig, aber nicht recht!“

Reformen könnten nur nachhaltig der Patientenversorgung zum Wohle kommen, wenn Ärzte zuvor einen Praxischeck durchgeführt haben. Das Motto „Partizipation vor Planung“ sollte daher am Anfang jeder Reformidee stehen.

Abschließend führte Reinhardt aus: „Herr Minister, Sie haben zweifellos eine Vision von der Entwicklung des deutschen Gesundheitswesens. Altkanzler Helmut Schmidt hat dazu einmal gesagt: ‚Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.‘ In diesem Sinne heiße ich Sie herzlich willkommen auf dem Deutschen Ärztetag.“

Der 127. Deutsche Ärztetag findet noch bis zum 19. Mai in Essen statt.



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