2,8 Millionen Menschen trotz Vollzeitjob von Altersarmut bedroht

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Arme Rentner in Deutschland.Foto: Sean Gallup/Getty Images
Epoch Times13. September 2021

In Deutschland sind knapp 2,8 Millionen Menschen trotz Vollzeitjob selbst nach 45 Arbeitsjahren von Altersarmut bedroht. Darauf wies am Montag die Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) unter Berufung auf Zahlen der Bundesagentur für Arbeit und der Deutschen Rentenversicherung hin. Gewerkschaftschef Guido Zeitler forderte deswegen eine Stärkung des gesetzlichen Rentensystems.

„Altersarmut ist kein Schreckensszenario der Zukunft, sondern für viele Menschen längst Realität“, warnte Zeitler. Laut NGG verdienen 13 Prozent aller Beschäftigten, die in Vollzeit arbeiten, weniger als 2.050 Euro brutto im Monat. Rein rechnerisch müssten sie demnach mehr als 45 Jahre lang arbeiten, um auf eine Rente oberhalb der Grundsicherungsschwelle von aktuell 835 Euro zu kommen. Als Beispiele nannte die Gewerkschaft Beschäftigte in Bäckereien oder Gaststätten.

„Rentenkürzungen oder Forderungen über ein späteres Eintrittsalter sind der falsche Weg“, wies Zeitler entsprechende Forderungen zurück. Vielmehr dürfe das Rentenniveau, also die durchschnittliche Rente nach 45 Beitragsjahren bei mittlerem Verdienst, nicht weiter absinken.

Absenkung des Rentenniveaus

Bereits die seit dem Jahr 2000 erfolgte Absenkung des Rentenniveaus von damals rund 53 Prozent auf aktuell 48 Prozent bedeute, „dass Geringverdiener mit einem Einkommen von weniger als 2.050 Euro brutto im Monat statt 42 nun fast 46 Jahre lang arbeiten müssen, um überhaupt noch die Grundsicherungsschwelle im Alter zu erreichen“, kritisierte Zeitler. Da dies faktisch für viele gar nicht möglich sei, bedeute jede Anhebung des Renteneintrittsalters „faktisch eine Rentenkürzung“, kritisierte der Gewerkschaftschef.

Die NGG verwies auch auf Zahlen des Statistischen Bundesamts, wonach jetzt schon die Zahl der Menschen, die in der Altersgruppe ab 65 armutsgefährdet sind, weiterhin zunehme. Aktuell seien dies 18 Prozent, vier Prozentpunkte mehr als 2009.

Zur Stabilisierung der Rentenkassen forderte Zeitler weitere Mittel aus dem Bundeshaushalt sowie den Ausbau der gesetzlichen Rentenversicherung zu einer Erwerbstätigenversicherung, in die alle einzahlen. „Nach einem langen Berufsleben müssen sich die Menschen darauf verlassen können, den Ruhestand in Würde genießen zu können“, forderte der NGG-Chef.

Studie: Soziale Not oft kein Grund für Erwerbstätigkeit im Rentenalter

Immer mehr Menschen arbeiten auch nach Eintritt in die Rente weiter oder suchen sich eine Nebentätigkeit. Soziale oder finanzielle Not seien dabei jedoch nicht die ausschlaggebenden Motive, erklärte das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) am Montag. Das durchschnittliche Renteneinkommen von erwerbstätigen Rentnern lag demnach nicht unter dem von Nichterwerbstätigen und komme als Erklärung somit nicht infrage.

Um herauszufinden, ob finanzielle Not der entscheidende Grund für Erwerbstätigkeit im Alter ist, werteten die IW-Forscher Befragungsdaten des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) aus dem Jahr 2019 aus. In dieser jährlichen repräsentativen Umfrage werden rund 30.000 Menschen befragt.

Die Auswertung der Daten zeigt laut IW: Erwerbstätige Rentner waren im Schnitt jünger und stuften ihren Gesundheitszustand besser ein als Rentner, die nicht arbeiteten. 43 Prozent der erwerbstätigen Rentner waren mit 63 bis 68 Jahren vergleichsweise jung, bei den nicht erwerbstätigen Rentner waren dies nur 19 Prozent. Lediglich fünf Prozent der erwerbstätigen Rentner waren über 81 Jahre alt. Auch handelte es sich bei erwerbstätigen Rentnern mit 58 Prozent überdurchschnittlich oft um Männer.

Außerdem waren die Rentner mit Nebentätigkeit überdurchschnittlich gut ausgebildet: 37 Prozent hatten einen höheren beruflichen oder einen akademischen Abschluss. Bei den Nichterwerbstätigen waren es lediglich 27 Prozent. Ein Grund könnte laut den IW-Forschern sein, dass Höherqualifizierte meist einen höheren Stundenlohn erzielen und sich eine Weiterbeschäftigung somit mehr lohnt.

Das Einkommen von Rentnern war laut IW sehr ungleich verteilt: Während die Hälfte der erwerbstätigen Rentner lediglich 450 Euro oder weniger verdienten, konnte ein Viertel von ihnen monatlich mehr als 1.800 Euro dazuverdienen. Die obersten zehn Prozent verdienten 4.200 Euro oder mehr. Im Schnitt lag der Verdienst bei 1.574 Euro.

Kein Unterschied bei Rentenhöhe zwischen Erwerbstätigen und Nichterwerbstätigen

Bei der Rentenhöhe sei aber zwischen Erwerbstätigen und Nichterwerbstätigen kein Unterschied erkennbar – weder hinsichtlich der mittleren Werte noch hinsichtlich der Verteilungsparameter, heißt es in der Studie. Auch sei die Korrelation zwischen der Rentenhöhe und der Höhe des erzielten Erwerbseinkommens „nahezu null“.

„Die These, dass vor allem existenzielle Not Rentner dazu veranlasst, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, kann empirisch somit nicht bestätigt werden“, schrieben die IW-Forscher in ihrer Datenauswertung. Erwerbstätige Rentner seien im Gegenteil „überdurchschnittlich qualifiziert, haben keine niedrigere Rente, aber ein deutlich höheres Nettoeinkommen als nicht erwerbstätige Rentner“.

Dies sei ein Indiz, dass für die Erwerbstätigkeit nach dem Renteneintritt andere Motive als finanzielle Not entscheidend seien. In einer anderen, von den IW-Autoren zitierten Studie werden demnach etwa Spaß an der Arbeit oder Kontakt zu anderen Menschen als Motive genannt. (afp/er)



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