Nicht mehr die SPD von vor 30 Jahren? Ludwigshafens OB Steinruck rechnet ab

In der Vorwoche hatte Ludwigshafens OB Jutta Steinruck nach 27 Jahren die SPD verlassen. Nun spricht sie erstmals über Gründe. Die Partei höre den Menschen nicht mehr zu und bedenke soziale Konsequenzen nicht mehr.
Jutta Steinruck Ludwigshafen
Die Oberbürgermeisterin von Ludwigshafen, Jutta Steinruck (zweite Reihe, 1. v. l.), mit Fluthelfern in der Zeit der Flutkatastrophe vom Ahrtal.Foto: Stadt Ludwigshafen am Rhein
Von 8. August 2023

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Wenige Tage nach Bekanntgabe ihres Austritts aus der SPD hat Ludwigshafens Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck erstmals inhaltlich zu den Gründen Stellung genommen. Im Jahr 2017 gewann sie als SPD-Kandidatin die Stichwahl für das Amt des Stadtoberhaupts mit 58,1 Prozent. Eine künftige Kandidatur als parteilose Kandidatin will sie nicht ausschließen.

Steinruck: SPD hat früher „zugehört, erklärt, hingeschaut“

Gegenüber dem SWR hat Steinruck nun in einem Interview Gründe für ihren Schritt genannt, der über die Partei- und Stadtgrenzen hinweg Aufsehen erregt hat. In die Partei eingetreten war Steinruck im Jahr 1996. Damals amtierte Oskar Lafontaine als Bundesparteivorsitzender, die SPD befand sich in der Opposition und baute Gerhard Schröder zum Kanzlerkandidaten auf.

Diese SPD habe, so die Oberbürgermeisterin, „alles bis zu den Menschen vor Ort gedacht“. Sie habe „zugehört, hingeschaut, erklärt“. Außerdem habe sie soziale Folgen von Entscheidungen abgefedert und die Wirtschafts- und Industriepolitik „als lokale Arbeitsmarktpolitik verstanden“.

Dies habe sich in der Zwischenzeit auf drastische Weise geändert. Von den SPD-geführten Regierungen in Bund und im Land Rheinland-Pfalz kämen nur noch „finanzielle Daumenschrauben und bürokratische Bremsklötze“. Im Februar hatte die BASF einen deutlichen Stellenabbau angekündigt. Die hohen Energiekosten treiben immer mehr Unternehmen der chemischen Industrie ins Ausland.

Mit Klimavorgaben zunehmend überfordert

Sie habe namens der stark verschuldeten Stadt bei der Landesregierung mehrfach um Hilfe angefragt. Dies habe unter anderem Bereiche wie Klimaschutz oder Bildungspolitik betroffen. Die Landesregierung in Mainz habe massive Einschnitte im kommunalen Haushalt gefordert. Dies hätte „immense soziale Verwerfungen“ zur Folge gehabt:

Ludwigshafen droht der soziale Kahlschlag im Zuge der Haushaltskonsolidierung.“

Hilfe habe die Landesregierung jedoch verweigert. Dies habe sich unter anderem im Zusammenhang mit Themen wie der CO₂-Neutralität oder der kommunalen Wärmeplanung gezeigt. Aber auch bei der Finanzierung des ÖPNV, der Entsiegelung von Flächen oder der Schaffung von grünen Lungen habe man Ludwigshafen allein gelassen.

Fast ein Drittel der Erstklässler an der Grundschule Gräfenau muss Klasse wiederholen

In der Bildungspolitik habe die SPD besonders enttäuscht, äußerte Steinruck im SWR. Die Schulen hätten „in den zurückliegenden Monaten um Hilfe gerufen“. Bildungsministerin Stefanie Hubig habe einen „Ludwigshafener Sonderweg“ jedoch dezidiert abgelehnt. Genau einen solchen müsse es jedoch nach Überzeugung Steinrucks „dringend“ geben.

Die Oberbürgermeisterin verwies in diesem Zusammenhang unter anderem auf die Grundschule Gräfenau im Stadtteil Hemshof. Diese war überregional in die Schlagzeilen geraten, weil nach Angaben der Rektorin 39 der 126 Erstklässler das Schuljahr wiederholen müssen.

Grund dafür seien vor allem unzureichende Deutschkenntnisse der Schüler. Von diesen weisen etwa 98 Prozent einen sogenannten Migrationshintergrund auf. Die Sprachvermittlung gestalte sich schwierig, Kindergärten fielen aufgrund fehlender Plätze häufig als Unterstützung aus.

Steinruck erwägt unabhängige Wiederkandidatur im Jahr 2025

Das Innenministerium des Landes wies unterdessen die Kritik zurück. Ludwigshafen könne, wie es in einer Mitteilung heißt, in diesem Jahr etwa auf 41 Millionen Euro aus dem kommunalen Finanzausgleich hoffen. Zudem könne die Stadt durch die Teilnahme am Entschuldungsprogramm des Landes rechnerisch auf bis zu 503 Millionen Euro an Entlastung hoffen.

Im Mai habe es zudem ein Treffen zwischen Vertretern der Stadt, der Schulaufsicht und des Ministeriums gegeben. Dabei habe man sich auf zusätzliche Förderangebote geeinigt. Zudem erwäge die Schulaufsicht, der Grundschule Gräfenau zusätzliche Stunden zuzuweisen.

Eine unabhängige OB-Kandidatur im Jahr 2025 schließt Steinruck gegenüber dem SWR nicht aus. Sie wäre nicht die erste Amtsträgerin, die auch nach einem Austritt aus ihrer Partei wiedergewählt würde. In Freital sicherte sich 2022 der aus der CDU ausgetretene OB Uwe Rumberg überlegen seine Wiederwahl. Nur wenige Monate später gelang das Gleiche Tübingens OB Boris Palmer.

In Magdeburg hatte der wiedergewählte OB Lutz Trümper 2015 die SPD aufgrund von Differenzen über die Flüchtlingspolitik verlassen. Beobachter hätten ihm eine problemlose Wiederwahl auch ohne Parteizugehörigkeit zugetraut. Zwei Jahre später trat er jedoch wieder in die Partei ein – und 2022 ging er nach 21 Jahren an der Stadtspitze in den Ruhestand. Die Stadt wird nun von einer parteilosen Oberbürgermeisterin regiert.



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