Paus: Kindergrundsicherung kommt – mit besseren Leistungen

Sie ist das zentrale sozialpolitische Ampel-Projekt: Nach langem Hin und Her soll die Kindergrundsicherung beschlossen werden. Die Grünen sehen Kanzler Scholz auf ihrer Seite – die FDP bleibt skeptisch.
Die Kindergrundsicherung soll Leistungen wie das Kindergeld, das Kinder-Bürgergeld, den Kinderzuschlag und solche aus dem sogenannten Bildungs- und Teilhabepaket zusammenführen.
Die Kindergrundsicherung soll Leistungen wie das Kindergeld, das Kinder-Bürgergeld, den Kinderzuschlag und solche aus dem sogenannten Bildungs- und Teilhabepaket zusammenführen.Foto: Peter Kneffel/dpa
Epoch Times4. Juli 2023

Im monatelangen Streit über die Einführung einer Kindergrundsicherung hat sich die Regierungskoalition nach den Worten von Familienministerin Lisa Paus auf das weitere Vorgehen geeinigt. „Jetzt haben wir Klarheit, jetzt gibt es ein Einvernehmen“, sagte die Grünen-Politikerin gestern Abend in den ARD-„Tagesthemen“.

„Die Kindergrundsicherung kommt. Am Ende des Sommers wird ein Gesetz im Kabinett beschlossen. Und es wird tatsächlich Leistungsverbesserungen geben“, sagte Paus. Dabei habe sie Kanzler Olaf Scholz (SPD) an ihrer Seite. Es gehe nun in der Koalition nur noch um „kleine Dinge, die miteinander zu klären sind“.

Zu den veranschlagten Kosten, die seit Monaten strittig sind, wollte sich Paus nicht konkret äußern. Die von Finanzminister Christian Lindner (FDP) im Finanzplan für 2025 eingestellten zwei Milliarden Euro seien lediglich ein „Platzhalter“. Am Ende werde es wohl eine Summe zwischen diesen zwei und den von ihr veranschlagten zwölf Milliarden Euro sein.

Paus: „Das ist die Klarheit, die wir brauchen“

Die Kindergrundsicherung soll Leistungen wie das Kindergeld, das Kinder-Bürgergeld, den Kinderzuschlag und solche aus dem sogenannten Bildungs- und Teilhabepaket zusammenführen. Die Antragstellung soll übersichtlicher und einfacher werden. Über die Finanzierung war in der Ampelkoalition lange gestritten worden – vor allem zwischen Grünen und FDP.

Zu der Einigung sagte Paus: „Das ist die Klarheit, die wir brauchen, damit wir effektiv Kinderarmut in Deutschland bekämpfen können.“ Es sei nicht hinzunehmen, dass jedes fünfte Kind in Deutschland in Armut aufwächst. „Damit müssen wir Schluss machen.“

Auch die Grünen im Bundestag sehen den Weg frei für die Kindergrundsicherung. „Jetzt ist klar: Die Kindergrundsicherung wird kommen, als gerechte und verbesserte Leistung für Familien und Kinder. Auch der Kanzler steht für dieses zentrale sozialpolitische Projekt der Ampel“, sagte Bundestagsfraktionschefin Britta Haßelmann der Deutschen Presse-Agentur mit Blick auf einen Brief, den Scholz an Paus geschrieben hat.

Lang: „Der Knoten löst sich“

Grünen-Parteichefin Ricarda Lang äußerte sich ebenfalls zufrieden. „Die Kindergrundsicherung kommt, der Knoten löst sich“, sagte sie. „Jetzt kann der Neustart in der Familienförderung, inklusive einer höheren Unterstützung von armutsgefährdeten Kindern, auf den Weg gebracht werden.“

Gestern hatte Scholz an Paus geschrieben, bis Ende August solle ein innerhalb der Bundesregierung geeinter Entwurf vorliegen. Entlang der Eckpunkte solle das Familienministerium den neuen Gesetzentwurf nun zügig erarbeiten beziehungsweise ergänzen.

Finanzminister Christian Lindner (FDP) verwies in der „Bild“ darauf, dass die Regierung die Förderung von Familien schon massiv ausgebaut habe. „Das setzen wir fort. Aber irgendwann stellt sich die Frage, ob zusätzliches Geld nicht besser an die Schulen gehen sollte statt auf das Konto der Eltern.“

In dem Brief von Scholz heißt es zu möglichen Leistungsverbesserungen, Paus solle Alternativen erarbeiten – darunter eine, die ausschließlich den Kindersofortzuschlag beinhalte, sowie verschiedene weitere, die das „soziokulturelle Existenzminimum“ für Kinder neu berechne. Gleiches gelte für den Pauschalbetrag des Bildungs- und Teilhabepakets. Weiter heißt es, die Ressortabstimmung sollte zeitnah eingeleitet werden – so, dass das Kabinett sich Ende August damit befassen könne.

Haßelmann sagte zu Forderungen aus der FDP, die Pläne von Paus wegen Geldmangels einzudampfen, die Kindergrundsicherung sei mehr als ein Digitalisierungsprojekt. „Es geht auch darum, Kinder und Familien, die armutsbetroffen sind, zu unterstützen. Das heißt, Verbesserungen von Leistungen werden kommen.“

Kindler: „Chancen für Kinder nicht zum Nulltarif“

Der Grünen-Haushaltsexperte Sven-Christian Kindler sagte der dpa, die Kindergrundsicherung sei eine der wichtigsten sozialpolitischen Reformen der Bundesregierung. „Die zwei Milliarden Euro im Finanzplan sind ein Platzhalter. Die realen Kosten liegen höher. Teilhabe und Chancen für Kinder gibt es nicht zum Nulltarif.“ Entscheidend werde die Ausgestaltung sein.

Michaela Engelmeier, Vorstandschefin des Sozialverbands Deutschland, warf der Regierung „Geiz“ im Umgang mit Kindern vor. Der „Bild“ sagte sie: „Damit schaden wir nicht nur ihnen, sondern letztlich auch uns selbst. Denn wir verbauen ihre und unsere Zukunft.“

Der Paritätische Gesamtverband warnte ebenfalls, es brauche mehr Geld. „Mit zwei Milliarden Euro mehr im Jahr beseitigen Sie keine Kinderarmut“, sagte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider der „Stuttgarter Zeitung“ und den „Stuttgarter Nachrichten“. „Die Ampel muss sich aufraffen, deutlich mehr Geld für die Kindergrundsicherung auszugeben.“

Bertelsmann-Analyse: Bedarf muss gedeckt werden

Eine Kindergrundsicherung kann Armut nur wirksam vermeiden, wenn sie sich am tatsächlichen Bedarf von Kindern und Jugendlichen orientiert. Zu diesem Schluss kommt eine am Dienstag in Gütersloh veröffentlichte Analyse der Bertelsmann-Stiftung, in der Experten aktuelle Studien und Daten zusammenfassten. Dieser Bedarf müsse „regelmäßig und umfassend“ unter Beteiligung von Kindern und Jugendlichen neu bestimmt werden.

„Mit der geplanten Einführung der Kindergrundsicherung in dieser Legislaturperiode besteht die große und vielleicht einmalige Chance, wirksam gegen Kinderarmut in Deutschland vorzugehen“, heißt es in dem sogenannten Policy-Brief mit Handlungsempfehlungen. Dies sollte „auch in einer angespannten Haushaltslage politisch Priorität haben“.

Leistung soll einkommensorientiert sein

Die Kindergrundsicherung muss der Bertelsmann-Analyse zufolge vor allem am unteren Einkommensrand wirken und nicht höhere Einkommensschichten weiter entlasten. Daher sollte die Leistung „mit steigendem Einkommen der Eltern abgeschmolzen“ werden – und zwar so, dass negative Erwerbsanreize möglichst gering blieben. Zudem müsse die Kindergrundsicherung „einfach, niedrigschwellig und digital zu beantragen sein“. Nötig sei „ein echter Systemwechsel“.

„Nehmen wir dieses Geld als Gesellschaft hingegen nicht in die Hand, bedeutet das im Umkehrschluss, dass wir weiter dabei zuschauen, wie mehr als ein Fünftel der jungen Generation seiner Lebenschancen beraubt wird“, warnten die Experten. Zugleich drohten mittel- und langfristig noch deutlich höhere Folgekosten, zum Beispiel im Gesundheitssektor und in den Sozialsystemen.

Mehr als jedes fünfte Kind und jeder vierte junge Erwachsene in Deutschland sind von Armut betroffen. Im vergangenen Jahr waren demnach drei Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren oder 21,6 Prozent armutsgefährdet. Bei den jungen Erwachsenen von 18 bis 24 Jahren waren es 1,55 Millionen oder 25,3 Prozent. Als armutsgefährdet gelten Menschen, die in Haushalten leben, deren Einkommen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens haben.

Werden Geldleistungen zweckentfremdet?

Die Experten der Bertelsmann-Stiftung widersprachen zugleich Meinungen, Geldleistungen für Kinder würden häufig zweckentfremdet. Dafür gebe es keine Belege, weder in Deutschland noch international. Vielmehr zeigten zahlreiche Studien, dass Eltern in finanziell belastenden Lebenssituationen ihre Mittel eher den Kindern etwa für Sport und Musikerziehung zur Verfügung stellten, als dass sie sie für sich verwendeten.

Auch für Deutschland habe eine Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung keine Belege dafür gefunden, dass Eltern mehr rauchen, Alkohol trinken oder Elektronikgeräte erwerben, wenn Leistungen wie das Kindergeld erhöht werden. Es gebe zwar Fälle, in denen Eltern sich nicht gut um ihre Kinder kümmerten.

Diese Familien bräuchten besondere Unterstützung und Kontrolle. „Allen (armen) Eltern zu misstrauen und sie unter einen Generalverdacht zu stellen, ist jedoch weder angebracht noch zielführend, wenn es um die Ausgestaltung sozialpolitischer Leistungen geht“, schreiben die Experten.

Die Kindergrundsicherung soll bestehende familienpolitische Leistungen zusammenfassen und ausbauen. Neben dem Kindergeld auch das Bürgergeld, den Kinderzuschlag oder das Wohngeld. Die Pläne des Familienministeriums sehen vor, dass alle Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren einen Grundbetrag erhalten. Einen Zusatzbetrag soll es darüber hinaus für einkommensschwache Familien geben. Darüber wird noch verhandelt. (dpa/AFP/mf)



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