Pisa-Schock: Migrationshintergrund und Lehrermangel als Ursachen?

Prof. Doris Lewalter sieht Angst vor Mathematik und mangelnde Unterstützung als zentrale Probleme für das schlechte Abschneiden bei der PISA-Studie. Die Gewerkschaften kritisieren hingegen das Fehlen qualifizierten Personals.
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Schüler im Mathematikunterricht.Foto: iStock
Von 8. Dezember 2023

Angst vor der Mathematik und mangelnde Unterstützung von den Lehrern sollen die Gründe dafür sein, dass die Schüler in Deutschland in dem naturwissenschaftlichen Fach so schlecht sind. Diese Gründe führt die nationale PISA-Projektleiterin Prof. Doris Lewalter bei der Bundespressekonferenz an. Ihr zufolge könne aber auch die Corona-Pandemie und die daraus resultierenden Folgen das insgesamt schlechte Ergebnis negativ beeinflusst haben.

39 Prozent der Schüler mit Migrationshintergrund

Auch habe der Anteil der Schüler mit Migrationshintergrund weiter zugenommen. Er liege nun bei knapp 39 Prozent. Wenn man sich den Zusammenhang zwischen Zuwanderungshintergrund als auch zwischen der sozioökonomischen Herkunft und der mathematischen Kompetenz der Jugendlichen betrachtet, sei dieser in Deutschland im internationalen Vergleich „besonders stark ausgeprägt“, erläutert Lewalter.

„Allerdings sehen wir hier deutliche Unterschiede zwischen verschiedenen Gruppen von Schülerinnen [und Schülern] mit unterschiedlichen Formen des Zuwanderungshintergrunds.“ Hier müsse man „also deutlich genauer hinschauen“, sagt die Projektleiterin – allerdings ohne dies weiter auszuführen.

Ein dritter Faktor sei die Motivation der Schüler. Sie seien im Vergleich zu 2012 weniger an der Mathematik interessiert und hätten „weniger Freude“ daran. Auch habe „die Ängstlichkeit gegenüber dem Fach Mathematik“ zugenommen.

Weitere „Befunde“ deuteten zudem darauf hin, „dass der Unterricht nicht immer an den Lebenswelten der Schülerin [und des Schülers] orientiert ist“. Diese hätten sich in den vergangenen zehn Jahren „rasant verändert“. Das erschwere den Schülern „das Erkennen der Bedeutung von Mathematik für ihr Leben“ und beeinträchtige damit die Motivation für das Fach.

Zu wenig Unterstützung von Lehrern

Die Lehrer nahm die Professorin mit in die Verantwortung für die miserable Bilanz. So fühlten sich die Jugendlichen im Vergleich zu 2012 weniger von ihren Lehrern im Fach Mathematik unterstützt. Insgesamt zeigten die Ergebnisse der PISA-Studie, dass „großer Handlungsbedarf für das Bildungssystem in Deutschland“ bestehe. „Daraus würden wir drei Konsequenzen ziehen“, so Lewalter weiter.

So sei eine „systematische bedarfsorientierte Förderung“ der Sprach- und Lesekompetenz von der Vorschule/Kita bis zur Sekundarstufe nötig. Des Weiteren empfiehlt sie eine Ressourcenzuwendung an Schulen, an denen viele Kinder und Jugendliche aus „sozialökonomisch benachteiligen Familien, aber auch mit Zuwanderungshintergrund unterrichtet werden“.

Um die Schüler zu erreichen, müsse zudem der Unterricht „konsequent und kontinuierlich“ weiterentwickelt werden.

Lewalter hat noch Hoffnung: So habe es nach PISA 2000 einen Aufschwung gegeben. Viele Programme seien auf den Weg gebracht, „viele Entwicklungen, die förderlich waren“, angestoßen worden. „Ich denke, das kann uns auch hier gelingen“, schloss sie ihre Ausführungen.

Lehrermangel hat Konsequenzen

Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Verband Bildung und Erziehung, Gerhard Brand, sagte, dass sich nun zeige, was Lehrermangel heiße. Vertretungsstunden und Schulausfälle hätten Konsequenzen. Die Politik solle dies als Warnruf nehmen, um ihre Bemühungen zu verstärken. Weitere Gründe für die schlechten Resultate sieht Brand in einer ungenügenden Digitalisierung der Schulen und einer großen sozialen Ungleichheit.

Die restriktiven Maßnahmen der Corona-Pandemie, in der fast drei Viertel der Schüler mehr als drei Monate keinen regulären Unterricht gehabt hätten, habe ebenfalls zum schlechten Abschneiden beigetragen. „Ohne die entsprechende Ausstattung, ohne die notwendige Übung und mit dafür nicht ausreichend fort- und weitergebildeten Lehrkräften konnten die Jugendlichen die Basis nicht ausreichend gut legen, welche sie für ein gutes Bestehen der PISA-Testung gebraucht hätten“, kritisierte Brand auf der Internetseite des Verbandes.

Gewerkschaft: Beschämende Schulpolitik

Anja Bensinger-Stolze, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, bezeichnete es als „Skandal“, dass sich die Abhängigkeit der schulischen Leistungen vom Elternhaus seit mehr als 20 Jahren nicht verringert habe.

Die PISA-Ergebnisse seien für die Schulpolitik „beschämend“. Auch sie machte den Lehr- und Fachkräftemangel für die Bildungsmisere mitverantwortlich. Diese Anstrengungen, dieses Defizit effektiver zu bekämpfen, müssten „deutlich erhöht werden“. Zudem mahnte sie eine „konsequente, individuelle Förderung der Kinder und jungen Menschen an“.

Mehr Anstrengungen ab der frühkindlichen Bildung fordert der Deut­sche Lehrerverband (DL). Ein Teil der Schüler werde bereits in frühen Jahren aufgrund mangelhafter Lese-, Schreib- und Mathematikkenntnisse abge­hängt, sagt DL-Präsident Stefan Düll. „Ohne diese essenziellen Grundkompetenzen scheitern diese jungen Menschen in Schule und Alltag. Ihre Bildungskarriere erleidet Schiffbruch, bevor sie begonnen hat. Die schulische Fächer- und die alltägliche Lebensvielfalt bleibt ihnen verschlossen“, sagt er.

Verpflichtende vorschulische Sprachtests

Im Vorschulbereich müssten fehlende Sprachbeherrschung und fehlendes Kulturverständnis iden­tifiziert werden. „Die Kinder müssen ihren sozial-kulturellen Hintergrund mit der hiesigen Gesellschaft verbinden können“, fordert Düll. Darauf aufbauend müssen die Grundschulen sich auf die Grund­fähigkeiten des Lesens, Schreibens und Rechnens als Schlüssel zum Bildungserfolg konzentrieren.

Notwendig seien daher „verpflichtende systematische vorschulische Sprachstandtests in den Kinder­tagesstätten“, gegebenenfalls verbunden mit verpflichtenden Vorschuljahren sowie gezielter Sprachförderung im gesamten Bildungsverlauf. In allen Schularten brauche es individuelle Förderung durch Lehrkräfte, die dafür entsprechende Zeitressourcen und Unterstützung. Individuelle Förderung in kleineren Klassen sei aber nur möglich, wenn ausreichend qualifiziertes Personal in allen Bereichen vorhanden sei.

Quereinsteiger und mobile Kräfte unterstützen Schulbetrieb

Im Gespräch mit Epoch Times sagte ein Lehrer (Name der Redaktion bekannt), der an einer Schule in Bayern unterrichtet, dass es sich PISA-Projektleiterin Lewalter zu einfach mache mit ihrer pauschalen Kritik an seinem Berufsstand. An Gymnasien oder Realschulen sei es hauptsächlich in Großstädten kaum möglich, die Schüler so zu unterstützen, wie es nötig wäre.

Er wies zudem darauf hin, dass es an den Schulen mittlerweile viele Quereinsteiger gebe, die weder Lehramt noch das Fach studiert haben, das sie unterrichten. In diesem Zusammenhang berichtete er von sogenannten „mobilen Reserven“. Dabei handelt es sich um Lehramtsstudenten, die an den Schulen aushelfen. Diese „mobilen Reserven“ übernahmen dann manchmal für mehrere Wochen Klassen „aus dem Stand“.

Der Lehrer wies auch darauf hin, dass die Zulassungsvoraussetzungen fürs Gymnasium stark herabgesenkt wurden. Darunter leide das Niveau auf der weiterführenden Schule stark. Er erinnerte daran, dass die Situation kaum mit 2012 vergleichbar sei.

Seither sei viel passiert, sagt er. Seit 2015 kämen viele Flüchtlinge nach Deutschland, die Kinder müssten integriert werden. Darin sieht er neben dem Lehrermangel ein weiteres großes Problem. Die Kinder erhielten zu Hause keine Unterstützung, Eltern kämen nicht zu Sprechtagen, da sie kein oder nur wenig Deutsch verstünden.



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