Streitpunkt Volksbegriff: AfD wehrt sich gegen Einstufung als rechtsextremer Verdachtsfall

Am Oberverwaltungsgericht Münster wurde gestern weiter verhandelt, ob die AfD als Verdachtsfall einzustufen ist. Vertreter der Partei und der Anwalt des Verfassungsschutzes arbeiteten sich dabei am Volksbegriff der AfD ab: Was meint die AfD, wenn sie Volk sagt?
Der Europawahl-Spitzenkandidat Maximilian Krah (l.) auf der Bühne mit den AfD-Bundesvorsitzenden Tino Chrupalla und Alice Weidel.
Der AfD-Spitzenkandidat zur Europawahl Maximilian Krah (l.) auf der Bühne mit den AfD-Bundesvorsitzenden Tino Chrupalla und Alice Weidel (Archiv). Krah versuchte gestern seine Partei vor Gericht zu entlasten.Foto: Carsten Koall/dpa
Von 12. April 2024

Gestern wurde am Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster weiter verhandelt, ob die AfD als rechtsextremistischer Verdachtsfall einzustufen ist. Das Bundesamt für Verfassungsschutz sieht das so. Dagegen wehrt sich die Partei. Im März 2022 wurde die Einstufung durch das Verwaltungsgericht in Köln bestätigt. Die AfD ist in Berufung gegangen und in Münster wird der Sachverhalt nun noch einmal überprüft.

Ursprünglich hatte der zuständige Senat für das Verfahren zwei Verhandlungstage angesetzt. Das Urteil sollte im Anschluss bekannt gegeben werden. Dass diese Planung des Gerichts sehr ambitioniert gewesen ist, wurde schon Mitte März deutlich.

Nach den ersten zwei Verhandlungstagen vertagte sich das Gericht. Am Donnerstag, 11. April, folgte der dritte Verhandlungstag. Das OVG drückte gestern etwas mehr aufs Tempo. Der Vorsitzende Richter Gerald Buck unterbrach die Beteiligten mehrfach, wenn bereits bekannte Inhalte wiederholt wurden. Zuvor hatten die Anwälte der AfD angekündigt, 457 Beweisanträge in das Verfahren einführen zu wollen. Diese waren allerdings noch kein Thema.

Alles dreht sich um den Volksbegriff

Gestern drehte sich alles hauptsächlich um eine Frage: Unterscheidet die AfD zwischen einem ethnisch definierten Volk und einem rechtlich definierten Staatsvolk? Genau das wirft der Verfassungsschutz der Partei vor und möchte die AfD deshalb als Verdachtsfall einstufen. 

Das überrascht auf den ersten Blick: Der Verfassungsschutz möchte die AfD nicht ins Visier nehmen, weil die Partei gewalttätig wäre, politisch motivierte Straftaten planen, zum gewaltsamen Sturz der Regierung aufrufen oder die verbrieften Grundrechte aus dem Grundgesetz abschaffen wollen würde – es geht um den Volksbegriff. 

Der Verfassungsschutz beruft sich hier auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2017. Damals erklärten die Richter die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) als eindeutig rechtsextrem. Begründet wurde die Entscheidung damals vorwiegend mit dem biologischen Volksbegriff, den die Partei verwende. So konnte man beispielsweise in Veröffentlichungen der Rechtsextremisten lesen: „Die Staatsbürgerschaft muss an die Volkszugehörigkeit gebunden sein. Wie sagt auch der Volksmund: Blut ist dicker als Tinte.“ Das erinnerte die Richter in Karlsruhe an das Weltbild der NSDAP. Die Verfassung kenne aber keinen „ausschließlich an ethnischen Kategorien orientierten Begriff des Volkes“. Daher sei die NPD eindeutig verfassungswidrig, so die damaligen Argumente des Gerichts.

Ethnische Kriterien dürften nicht dazu verwendet werden, um Bürger erster und zweiter Klasse zu schaffen, so der damalige Hinweis aus Karlsruhe. An dieser Begründung orientiert sich nun der Verfassungsschutz bei seiner Einstufung der AfD. Sie möchten das Gericht in Münster davon überzeugen, dass sich die AfD ebenfalls am biologischen Volksbegriff orientiert. 

Allerdings, das wurde auch am dritten Verhandlungstag deutlich, so eindeutig wie bei der NPD ist die Sache bei der AfD nicht. Aus dem Parteiprogramm der AfD lässt sich eine solche Position nicht ableiten. Der Inlandsgeheimdienst bezieht sich deshalb auf einzelne Wortmeldungen von AfD-Mitgliedern. Die Kölner Behörde glaubt, dass sich eine signifikant hohe Zahl an Parteimitgliedern im Sinne des extremistischen Volksbegriffs der NPD geäußert hat. Tatsächlich gibt es solche Äußerungen im AfD-Umfeld. Allerdings ist die Frage, ob es sich dabei um Einzelstimmen handelt oder ob es sich hier um eine dominante Strömung in der AfD handelt. Letzteres wäre die Voraussetzung, die AfD auf Bundesebene als gesichert extremistische Bestrebung einzustufen. Das muss der Verfassungsschutz nun in Münster gerichtsfest beweisen.

Vorstandsmitglied Boehringer: „Das ist ein großer Popanz“

Die AfD hielt am Donnerstag dagegen. Mit dem Spitzenkandidaten zur Europawahl, Maximilian Krah, fuhr die AfD Parteiprominenz auf. Krah trat in Münster als Vertreter des Bundesvorstandes auf. Gleichzeitig war der Rechtsanwalt auch Zeuge, der die Partei entlasten sollte. Der Verfassungsschutz zitiert in seinen Schriftsätzen Krah an mehreren Stellen. Vor allem ging es um Zitate, in denen er sich gegen illegale Einwanderung wendet, gegen einen „melting pot“ in Deutschland, gegen die fortschreitende „Afrikanisierung“ Deutschlands.

Im Gerichtssaal spricht der Europa-Spitzenkandidat über zwei seiner acht Kinder, die er in der Schule Slowakisch lernen lasse. Über seine Mutter, die Sorbisch spricht. Über seinen Mitarbeiter mit chinesischen Wurzeln, der in der AfD nie schlechte Erfahrungen gemacht habe. Krah spricht weiter über zwei Videos, die er auf TikTok veröffentlicht habe und die sich an Deutschtürken gerichtet hätten. Diese Videos seien auf seinem Kanal besonders erfolgreich gewesen. Die Botschaft, die er an diesem Tag transportieren möchte, ist eindeutig: Er kann kein Rassist sein. 

In seinem Vortrag thematisiert Krah auch die Sorben, eine anerkannte Minderheit in Deutschland, sowie Südtirol, eine Provinz Italiens, in der Deutsch ebenfalls gesprochen wird. Er argumentiert, dass die Unterscheidung zwischen Staatsbürgerschaft und Ethnie akzeptabel sei, solange sie nicht zur Diskriminierung führt. Er betont, dass ihm Diskriminierung ebenso wie der AfD fern liegt und schließt mit dem Appell: „Das Leben ist bunt, es lebe die Vielfalt.“

Auch sein Vorstandskollege Peter Boehringer gibt im Gerichtssaal Schützenhilfe. Er hebt hervor, dass die Zitate, die vom Verfassungsschutz präsentiert werden und die Unterscheidung zwischen Staatsbürgern und ethnischen Deutschen betreffen, nicht im Programm der AfD zu finden sind. „Das ist ein großer Popanz“, so Boehringer.

Programm nur zurückhaltend formuliert

„Die Aussagen der Programme sind sehr zurückhaltend formuliert“, erklärt Anwalt Roth, der in Münster das Bundesamt für Verfassungsschutz vertritt. Roth stellt fest, dass AfD-Funktionäre oft einen klaren Unterschied zwischen Staatsbürgern und dem „ethnischen Volk“ machen und nicht ethnische Deutsche abwerten. Roth zitiert zahlreiche Beispiele. Sein Repertoire an Zitaten ist umfangreich und stammt von vielen prominenten Parteipolitikern in der AfD.

AfD-Funktionäre haben etwa die Geburtenrate von Migranten kritisiert und dramatische Szenarien wie den „Großen Austausch“ oder die „Umvolkung“ beschrieben. Solche Erzählungen sind sowohl innerhalb als auch außerhalb der AfD bei Rechtsradikalen verbreitet und malen ein Bild vom Untergang des deutschen Volkes durch Migration oder vermehrte Vermischung mit anderen Ethnien.

AfD-Vertreter äußerten sich in Reden, Tweets und Interviews – nur nicht im Parteiprogramm. Der Vorwurf des Verfassungsschutzes besagt im juristischen Sinne, dass die AfD sehr wohl weiß, wie heikel ihre Äußerungen im Hinblick auf das Verfassungsrecht sind und welche Konsequenzen diese für sie haben könnten. Daher gestaltet die Partei ihr Programm größtenteils vorsichtiger.

Zwölf Verhandlungstage angesetzt – Urteil nicht absehbar

Zwischen Kläger- und Beklagtenbank gehen die Argumente hin und her. Als „diskursives Pingpong-Spiel“ bezeichnet Richter Thomas Jacob, was er beobachtet. Argumentativ seien die Fronten geklärt, so Jacob. Die AfD stütze sich in ihrer Verteidigung auf das Programm. Der Anwalt des Verfassungsschutzes sage: Gemeint sei aber etwas anderes – die AfD habe eine „hidden agenda“, also geheime Pläne.

Das sei einer der „Knackpunkte“ im Verfahren, so Jacobs. „Die Argumente liegen auf dem Tisch und wir müssen es bewerten.“

Bis Juni hat das Gericht noch zwölf Termine angesetzt. Wann es ein Urteil geben könnte, ist derzeit nach Angaben einer Gerichtssprecherin gegenüber der FAZ nicht absehbar.



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