Tausende Fälle neu bewertet: Cannabis-Legalisierung bringt Häftlingen die Freiheit

Für Staatsanwaltschaften bedeutet das neue Cannabisgesetz und die damit verbundene rückwirkende Amnestie einen immensen Aufwand, für Häftlinge möglicherweise die Freiheit.
Titelbild
Es ist ein immenser Aufwand, nach Freigabe von Cannabis alle relevanten Prozesse zu überprüfen.Foto: iStock
Von 31. März 2024

Ab dem 1. April ist für Erwachsene der Besitz von Cannabis bis zu 25 Gramm erlaubt. Für Minderjährige bleibt der Besitz, Anbau und Erwerb von Cannabis zu nicht-medizinischen Zwecken auch weiterhin verboten. Frühere volljährige Straftäter hingegen können auf eine rückwirkende Amnestie hoffen.

Die Hamburger Staatsanwaltschaft hat bislang für rund 3.500 Verfahren geprüft, inwieweit das neue Gesetz sich auf rechtskräftige Geld-, Freiheits- und Ersatzfreiheitsstrafen auswirken kann. Etwa 650 dieser Fälle wurden als potenziell relevant markiert. Sie werden nun erneut dahin gehend überprüft, ob ein Straferlass, eine Neufestsetzung oder Strafermäßigung für die Betroffenen infrage kommt.

„Bei etwa 500 Verfahren dauert die Überprüfung aktuell noch an und wird mit hohem Arbeitseinsatz fortgesetzt“, sagte Liddy Oechtering, Sprecherin der Staatsanwaltschaft, der „MOPO“.

Besondere Eile war im Hinblick auf Ermittlungsverfahren geboten, bei denen eine Fahndung zur Festnahme der Täter führen sollte. In diesen Fällen muss die Staatsanwaltschaft bei den Gerichten die Aufhebung der zugrunde liegenden Haftbefehle beantragen. Bis zum Ostersonntag, 31. März, müssen die Fahndungen gelöscht sein.

Höchste Priorität jedoch haben die Fälle, in denen jemand in Untersuchungshaft sitzt wegen einer Handlung, die nach dem neuen Gesetz nicht mehr als Straftat gilt.

In Hessen müssen 190.000 Fälle, die schon abgeschlossen sind, von den Staatsanwaltschaften aufgrund des neuen Gesetzes unter die Lupe genommen werden. Die Prüfung begann bereits Anfang November letzten Jahres.

„Wir arbeiten ohne eine Übergangsregelung, die es normalerweise gibt – das ist etwas schwierig“, erklärte Oberstaatsanwalt Ungefuk gegenüber der „Hessenschau“. Trotz des enormen Zeitdrucks zeigte er sich zuversichtlich, dass alle Fälle bis zum 31. März geprüft sind, damit niemand, der unter Straferlass fällt, noch inhaftiert ist.

In der Vergangenheit gerieten etliche Cannabis-Konsumenten in die Schlagzeile, die im Gegensatz zu den jetzt legalen 25 Gramm wegen minimalen Mengen strafrechtlich verfolgt wurden. Zeit für einen Rückblick.

Wegen 0,3 g Marihuana zur Suchtberatung

Am 5. Juli 2019 wurde ein 21-Jähriger wegen 0,3 Gramm Marihuana auf dem Bahnhofsplatz in Bad Tölz festgenommen, wie der „Merkur“ berichtete. Nach eigenen Angaben konsumierte der Mann seit drei Jahren täglich.

Wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz wurde er zu 32 Sozialstunden und fünf Einzelgesprächen bei der Caritas-Suchtberatung verurteilt. Grund für die Verurteilung trotz minimaler Menge war der Umstand, dass es nicht das erste Drogendelikt war. Bei früheren Verfahren war von einer Strafverfolgung abgesehen worden.

0,63 g Haschisch bei Epileptiker gefunden

Wegen 0,63 Gramm Haschisch wurde ein 60-jähriger Epileptiker verurteilt, berichtete die „Schwäbische“. Der Mann war bei einer Routinekontrolle angehalten worden. Wie er mitteilte, nutzte er die Drogen seit 40 Jahren erfolgreich gegen epileptische Anfälle.

Eine ärztliche Erlaubnis konnte der bis zu 90 Prozent schwerbehinderte Bayer, der Mitglied in der internationalen Arbeitsgemeinschaft „Cannabis-Medizin“ ist, jedoch nicht vorweisen. Die Hürden, um eine solche zu erhalten, sind enorm.

Die Staatsanwältin hatte für den unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln trotz der Minimalrente von 420 Euro eine Geldstrafe von insgesamt 1.800 Euro gegen den Epileptiker gefordert. Der Richter folgte dem Antrag jedoch nicht und verhängte stattdessen 30 Tagessätze zu je 15 Euro und setzte die Strafe für ein Jahr zur Bewährung aus.

13 Tage drogenfrei, trotzdem Führerschein weg

Der 24-jährige Marvin hat früher gelegentlich Cannabis konsumiert. Ende 2016 fasste er einen Entschluss für das neue Jahr. Um einen klaren Kopf für seine praktische Abschlussprüfung zu gewährleisten, stellte er ab dem Neujahrstag den Cannabis-Konsum ein. 13 Tage später geriet er in eine Polizeikontrolle. Ihm wurde unterstellt, er hätte rote Augen. Für Marvin ein Unding.

„Ich bin noch nie in meinem Leben bekifft Auto gefahren. Im Gegenteil, ich habe es gehasst, wenn ich bei Freunden von mir mitbekommen habe, wie sie Bong rauchten und sich dann kurz darauf in ein Auto setzen“, schildert Marvin gegenüber dem Hanfverband in einem persönlichen Bericht.

Die Staatsanwaltschaft ordnete einen Bluttest an. Vier Wochen später bekam Marvin Post von der Polizei mit einer Vorladung. „Hier legte man mir die Werte auf den Tisch: 1,0 ng aktives THC, 4,1 ng Carbonsäure, THC-OH nicht nachweisbar“, erinnert sich der junge Mann.

Er erklärte sich den aktiven THC-Gehalt dadurch, dass er viel Sport getrieben habe. Von 1. bis 13. Januar habe er auch an Körperfett verloren. „Möglicherweise wurde das in den Fettzellen eingelagerte THC von der Leber wieder freigesetzt“, so seine Theorie.

Zwei bis drei Monate später kam der Bußgeldbescheid: über insgesamt 870 Euro mit einem Monat Fahrverbot und zwei Punkten in Flensburg. Sein Anwalt riet ihn von einem Verfahren ab. Es sei nahezu unmöglich, dagegen vorzugehen – „es sei denn, man hat ein paar tausend Euro zu viel“.

Das Schlimmste für Marvin war jedoch die Tatsache, dass er vor all seinen Verwandten und Bekannten nun ohne Führerschein dastand „wie ein Vollidiot, der bekifft Auto fährt“ – etwas, das er schon immer zutiefst verurteilt hatte. Sein Fazit: Die Behörden haben keine validen Tests, um Cannabis-Konsum und Autofahren zu trennen.



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion