Verfassungstreue versus freie Meinungsäußerung: Wo zieht der Staat die Linie?

Ein pensionierter Offizier schrieb auf Facebook von „aufkommender Diktatur“ und „verdammten Kommunisten“. Der Rechtsprofessor Klaus Ferdinand Gärditz sieht einen Zusammenhang mit „gesellschaftlichen Verwerfungen“. Doch nicht jede Kritik ist ein Verstoß gegen die politische Treuepflicht. Denn weder der Staat noch die Gesellschaft habe ein Interesse an unkritischen Beamten und Soldaten.
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Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.Foto: iStock
Von 27. Dezember 2023

Staatsdienern, die sich in „extremistischer Weise“ äußern, drohen in Deutschland schon seit Jahren disziplinarische Maßnahmen durch Behörden. Bereits im Juni 2023 ist ein ehemaliger Soldat wegen der Kritik an der Corona-Politik der Bundesregierung und am Umgang der Polizei mit coronakritischen Demonstranten verurteilt worden.

Das Urteil war zunächst unbeachtet geblieben. Erst durch eine kürzliche Veröffentlichung in einer Ausgabe der „Juristenzeitung“ (hinter Bezahlschranke) wurde der Leitentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts Aufmerksamkeit geschenkt.

Vorwurf: Äußerung gegen freiheitlich-demokratische Grundordnung

Vor dem Gericht musste sich ein Offizier im Ruhestand verantworten, weil er sich „durch Äußerungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ gestellt haben soll. Auf seinem „Facebook“-Account hatte der Mann am 7. April 2020, also während des ersten Pandemie-Lockdowns, gepostet: „[…] Wir leben in einer Großfamilie und sind jeden Tag, viele Stunden für unsere Enkel, Kinder und deren Familie da, obwohl es von unseren Diktatoren verboten wird. […] Bei 8 Enkelkindern und 4 berufstätigen Kindern gehören wir wohl zu einem Selbstmordkommando. Denkt bitte einmal nach, wie unsere gewählten Volksvertreter uns verarschen wollen. Sie wollen uns entmachten, einsperren, jegliches Zusammenleben verbieten. Die verdammten Kommunisten wollen uns ins Verderben stoßen. Aufwachen! […] Lasst euch von dieser Diktatur nicht unterkriegen. Wir werden gewinnen. Habt Mut: Es ist ein Krieg, den wir mit Mut gewinnen werden, gegen diesen politischen Wahnsinn der NWO.“

Zu einem anderen Zeitpunkt kommentierte der seit 2005 im Ruhestand befindliche Ex-Soldat die politischen Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung: „Ich schäme mich für diesen Staat, dem ich über 30 Jahre treu gedient habe. Und: „Was lassen wir mit uns machen? Das ist das wahre Gesicht einer aufkommenden Diktatur.“

Bei Verstoß gegen Verfassungstreue darf Staat sanktionieren

Diese und ähnliche Kritik verstoßen nach Ansicht des 2. Wehrdienstsenats des Bundesverwaltungsgerichts gegen die dienstliche Pflicht zur Verfassungstreue. Der Staat dürfe den ehemaligen Offizier daher sanktionieren. Im konkreten Fall bedeutet das für den Verurteilten eine Kürzung der Bezüge für die Dauer von zwei Jahren.

In der „Juristenzeitung“ kommentiert der Rechtsprofessor Klaus Ferdinand Gärditz den Fall. Dieser hänge eng mit den „gesellschaftlichen Verwerfungen“ zusammen, die von den auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) getroffenen Pandemiemaßnahmen ausgingen.

Diese seien zwar von der Mehrheit getragen worden, stießen aber von Anfang an und mit zunehmender Intensität auf politischen Widerstand bei sehr heterogenen Minderheiten, die die Beschränkungen durch die fortwährend aktualisierten Corona-Verordnungen der Länder aus unterschiedlich klug reflektierten Gründen als unangemessene Freiheitsbeschränkungen wahrnahmen“.

Staat hat kein Interesse an unkritischen Soldaten und Beamten

Kritik an der konkreten Amtsausübung durch einzelne Personen verletze grundsätzlich nicht die politische Treuepflicht. Sie müsse aber „sachlich vorgetragen und von vertretbaren tatsächlichen Annahmen getragen“ werden. Ebenso lasse Kritik an einzelnen politischen Maßnahmen „in der Regel noch keinen verfassungsfeindlichen Äußerungsgehalt erkennen“.

Dies setze aber voraus, dass sich die Kritik innerhalb demokratischer Auseinandersetzungen bewege. Durch die eigene Positionierung dürfte ein Soldat oder eine Soldatin keine „begründeten Zweifel“ daran wecken, „unbeschadet der politischen Bewertung rechtlich verbindliche Regelungen stets zu achten und entsprechende Anweisungen im Rahmen der Gehorsamspflicht (§ 11 SG) zu befolgen“.

Unter Bezugnahme auf den „Extremistenbeschluss“ des BVerfG aus dem Jahr 1975, stelle das BVerwG zutreffend klar: Solange sich Äußerungen „darin erschöpfen, im Vertrauen auf die Überzeugungskraft des Arguments Kritik an bestehenden Zuständen zu üben oder bestehende rechtliche Regelungen – in dem dafür rechtlich vorgesehenen Verfahren – zu ändern, begründen sie keinen Verstoß gegen die nachwirkende politische Treuepflicht. Denn weder der Staat noch die Gesellschaft haben ein Interesse an unkritischen Beamten und Soldaten.“

Urteil auf Beamte übertragbar

Nach Gärditz‘ Ansicht hat der 2. Wehrdienstsenat des BVerwG „überzeugend zur Konturierung der (nachgelagerten) Dienstpflichten beigetragen“, die sich aus der politischen Treuepflicht der Soldatinnen und Soldaten – auch im Ruhestand – ergäben.

Die inhaltlichen Ausführungen ließen sich „nahtlos auf Beamtinnen und Beamte des Bundes und der Länder übertragen“. Die „Typenbildung“ habe zugleich indirekte Relevanz für das Verfassungsschutzrecht, da das Gericht anerkenne, „dass sich die Diffamierung und Delegitimierung von Staatsorganen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung (§ 4 Abs. 2 BVerfSchG) richten kann“.

Die fortbestehende „begriffliche Deutungsunschärfe“ zeige jedoch, dass das Konzept noch einer „Nachkonturierung“ bedürfe. „Diffuse Phänomene“ wie „Querdenker“ oder „verschwörungstheoretische Sekten“ lassen sich nur „begrenzt in tradierte Schemata von Rechts- oder Linksextremismus fassen“.

Ein „demokratischer Rechtsstaat“, dessen Institutionen in einer konfliktgeladenen Gesellschaft auf der Grundlage des für alle geltenden Rechts entscheiden und zumutbaren Interessenausgleich schaffen sollen, sei auf „loyales Personal“ angewiesen.

Für die Bundeswehr als „Sicherheitsgarantin, deren Bedeutung nach drei Dekaden struktureller Vernachlässigung langsam wieder in das allgemeine Bewusstsein sickert“, sei das offenkundig. Abschließend schreibt Gärditz: „Narrenfreiheit für den Öffentlichen Dienst wäre ein libertäres Privileg, das sich gerade eine liberale Demokratie nicht leisten kann, wenn sie auf der Grundlage egalitärer Freiheit Heimstatt für alle Bürgerinnen und Bürger bleiben will.“



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