Vermittlungsausschuss segnet Bürgergeld ab: System „Hartz IV“ endet – zu Bedingungen der Union

Beim Bürgergeld gibt die Ampel der Union in zentralen Punkten wie Vertrauenszeit und Schonvermögen nach. Dafür kann es nun am 1. Januar in Kraft treten.
Das Bürgergeld soll das heutige Hartz-IV-System ablösen.
Das Bürgergeld wird ab 1. Januar 2023 das heutige Hartz-IV-System ablösen.Foto: Marijan Murat/dpa
Von 23. November 2022

Der Vermittlungsausschuss hat am Mittwochabend (23.11.) wie erwartet den Kompromiss der Arbeitsgruppe aus Ampel-Parteien und CDU/CSU zum Bürgergeld abgesegnet. Bundestag und Bundesrat müssen den Gesetzesentwurf noch billigen, was nach der Vereinbarung nur noch als Formsache gilt. Damit ist der Weg frei für die Einführung des Bürgergeldes zum 1. Januar – und das Ende des bisherigen Systems von Hartz IV.

Sanktionen beim Bürgergeld von Tag 1 an möglich

Für die Union, die den Regierungsentwurf zuvor über den Bundesrat blockiert hatte, wurde der Poker zum Sieg auf ganzer Linie. Den Ampel-Parteien bleibt die Genugtuung, den Systemwechsel weg von „Hartz IV“ auf den Weg gebracht zu haben.

CDU und CSU setzten sich nicht nur in der Frage der Sanktionen für Leistungsbezieher durch, sondern weitgehend auch bezüglich der Punkte Schonvermögen und Karenzzeit. Die sogenannte Vertrauenszeit soll gänzlich wegfallen. Dieser zufolge hätten Antragsteller sechs Monate lang nicht mit Sanktionen rechnen müssen, wenn sie mit dem Jobcenter eine Kooperationsvereinbarung abgeschlossen hätten.

Aus der Ampel hatte es geheißen, man wolle mit dieser Maßnahme Leistungsempfängern Sicherheit geben, während diese mit dem Jobcenter das weitere Vorgehen vereinbaren. Immerhin soll im neuen System bei der Vermittlung Qualität vor Schnelligkeit gehen. Die Beteiligten sollen mehr Spielraum für Weiterbildungsmaßnahmen bekommen, statt auf einer Vermittlung auf die erstbeste Stelle zu beharren. Außerdem wollte man Gerichte entlasten, die gerade in dieser Anfangsphase Sanktionen von Jobcentern häufig als rechtswidrig aufgehoben hatten.

Union forderte Druck auf Geringverdiener – und appellierte an deren Neidgefühle

Die Union hingegen bestand darauf, Sanktionen gegen Arbeitssuchende, die gegen Vereinbarungen verstoßen, bereits von Beginn an zu ermöglichen. Andernfalls falle aus ihrer Sicht der Anreiz weg, sich um eine Erwerbstätigkeit zu bemühen. Es dürfe nicht so weit kommen, dass der Bezug von Bürgergeld für einen Haushalt lohnender sei als die Aufnahme einer Arbeit.

Berechnungen des Kieler IfW haben ergeben, dass dies im Mindestlohnbereich teilweise der Fall sein könne. Experten im Auftrag des „Focus“ hatten Zweifel an der Richtigkeit dieser Berechnungen anklingen lassen. CDU und CSU gingen offenbar davon aus, dass man Geringverdiener unter Druck setzen müsse, weil ihre Bereitschaft, eine Arbeit zum Mindestlohn anzunehmen, bei höherem Bürgergeld gering wäre.

Mit einer gegensätzlichen Argumentation hatte die Union hingegen die Regierungspläne zum Schonvermögen angegriffen. Je höher dieses sei und je länger es gewährt werde, umso größer sei das Unverständnis darüber bei Geringverdienern. Deshalb wird dieses nun für die Dauer von einem, und nicht, wie von der Ampel geplant, für zwei Jahre berücksichtigt. Außerdem wird es nur noch 40.000 Euro statt wie beabsichtigt 60.000 Euro betragen. Für jedes weitere Haushaltsmitglied kommen 15.000 statt 30.000 Euro dazu.

Gröhe stellt sogar den Systemwechsel als solchen in Abrede

Wie die „Welt“ berichtet, zeigte sich CDU-Chef Friedrich Merz überrascht darüber, wie bereitwillig die Ampel-Parteien zentrale Forderungen der Union erfüllt hätten. Er erklärte:

Die Koalition war sehr schnell und – zu meiner Überraschung – sehr weitgehend bereit, hier Kompromisse zu machen.“

Sein Stellvertreter als Fraktionschef Hermann Gröhe äußerte mit Blick auf das „Hartz-IV-Update“, wie CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt die Neuerung nennt:

Ein Systemwechsel findet nicht statt.“

Demgegenüber verkündete die parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, Katja Mast, die Einführung des Bürgergeldes bedeute einen „Kulturwandel in der Grundsicherung“.

Grüne standen bei der Vertrauenszeit am Ende allein

Auch die Grünen betonen, dass der „Kern des Gesetzes“, den die Ampel angestrebt hätte, erhalten geblieben wäre. Fraktionschefin Britta Haßelmann bedauerte jedoch „ausdrücklich“, dass die „Vertrauenszeit“ nun wegfalle. Wie die „Welt“ berichtet, hätten FDP und SPD auf diesen Punkt am wenigsten Wert gelegt.

Für die Liberalen sei das Bürgergeld ohnehin schon von vornherein kein Leib- und Magenthema gewesen. Allerdings hätten auch im Umfeld der SPD die Gewerkschaften keinen allzu hohen Wert auf die „Vertrauenszeit“ gelegt.

Immerhin kann die SPD in künftige Wahlkämpfe mit dem Verweis darauf gehen, dass sie ihr Versprechen, das Hartz-IV-System zu überwinden, erfüllt habe. Für die Empfänger der Grundsicherung steigt ab 1. Januar der Regelsatz um 50 Euro.

VdK zeigt sich enttäuscht von „verwässertem“ Bürgergeld

Enttäuscht äußert sich hingegen der Sozialverband VdK über den Kompromiss zwischen Ampel-Parteien und Union zum Bürgergeld. Im Gespräch mit der „Rheinischen Post“ erklärte VdK-Präsidentin Verena Bentele, die Ampel habe ein zentrales Versprechen nicht umgesetzt.

So sollten Sanktionen „nicht gleich von Anfang an in voller Wucht auf die Antragsteller treffen, sondern es hier ein gestuftes Verfahren geben“, erinnerte Bentele. Dies hätte die Zusammenarbeit zwischen Betroffenen und Jobcenter verbessern, mehr Vertrauen schaffen und die Integration in den Arbeitsmarkt erleichtern können. Am Ende habe man aus politischem Kalkül einen wesentlichen Reformschrott verwässert:

Die Gefahr einer Kompromisslösung ist eben, dass viele gute Ansätze verwässert werden.“

Zu begrüßen sei aber, dass es bei den besseren Anreizen für Qualifizierung und Weiterbildung geblieben sei, betonte die Verbandschefin. Zudem gebe es höhere Hinzuverdienstgrenzen für jüngere und ältere Menschen, die in Bedarfsgemeinschaften leben.

Wie auch Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hält Bentele das Bürgergeld für zu niedrig. Es würde nicht ausreichen, um mit der Inflation und den steigenden Lebenshaltungskosten mitzuhalten.

(Mit Material von afp und dts)



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