Wagenknecht-Partei: Guérot im Gespräch für neue Anti-Establishment-Neugründung

Die Gründung einer eigenen Partei durch Ex-Linkspolitikerin Sahra Wagenknecht scheint unmittelbar bevorzustehen. Ein erster Wahlantritt könnte zur EU-Wahl erfolgen – möglicherweise mit Ulrike Guérot als Zugpferd.
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Die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot gilt als mögliche Kandidatin zur EU-Wahl im Fall des Antritts einer Liste von Sahra Wagenknecht. (Archivfoto von 2016)Foto: Sean Gallup/Getty Images
Von 24. August 2023

Bis zum Jahresende wollte sich Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht Zeit lassen mit ihrer Entscheidung über die mögliche Gründung einer eigenen Partei. Mittlerweile nimmt das Projekt immer konkretere Formen an – und mit Blick auf die EU-Wahl fallen erste Namen. So hat die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot auf X (Twitter) einen „heißen Herbst“ angekündigt. Dabei verlinkte sie einen Artikel des „Cicero“, in dem es um eine mögliche Wagenknecht-Partei ging.

Gegenüber der „Neuen Zürcher Zeitung“ (NZZ) bestätigte sie zudem, dass es zwischen Proponenten einer Wagenknecht-Partei und ihr „Kontakte“ gebe. Deren Führungsspitze würde sich gerade „sortieren“, äußerte die wegen eines behaupteten Plagiats an der Universität Bonn gekündigte Wissenschaftlerin.

Ulrike Guérot wäre zu Kandidatur grundsätzlich bereit

Guérot erklärte, dass über eine mögliche Kandidatur nicht sie, sondern die Partei nach ihrer Gründung entscheide. Abgeneigt wäre sie einer solchen nach eigener Darstellung jedoch nicht:

Wenn ich einen Beitrag leisten kann, bin ich bereit dazu.“

In der Vorwoche hatte der Co-Fraktionschef der Linken im Bundestag, Dietmar Bartsch, angekündigt, bei den Wahlen zum Fraktionsvorstand am 4. September nicht mehr kandidieren zu wollen. Zuvor hatte seine Amtskollegin Amira Mohamed Ali ihren Rückzug erklärt – sie gilt als Vertraute Wagenknechts.

Bartsch erklärte, er wolle nicht als „alter weißer Mann, der nicht aufhören kann“ gelten. Allerdings solle sein Schritt auch einen „Weckruf“ darstellen. Die Linke brauche „eine neue Aufstellung, programmatisch und personell“.

Linksfraktion im Bundestag könnte unmittelbar vor dem Zerfall stehen

Stattdessen droht der Linken im Bundestag der Verlust des Fraktionsstatus – den die Partei lediglich drei Direktmandaten bei der Bundestagswahl 2021 verdankt. Es würde der Geschäftsordnung zufolge ausreichen, wenn drei der 39 Abgeordneten sich beispielsweise einer „Wagenknecht-Fraktion“ anschließen würden. Beobachter halten zehn Parlamentarier der Linken für potenzielle Kandidaten für einen fliegenden Wechsel.

Auch wenn Co-Parteichefin Janine Wissler von einem „stabilen Fundament“ spricht, auf dem die Linke stehe, sollen längst breit angelegte Abwerbekampagnen laufen. Ein gegen Wagenknecht gerichteter Beschluss der Parteispitze hat die Entwicklung beschleunigt. Außerdem gibt es Unmut in Teilen der Partei über die geplante Nominierung der Klima-Radikalen Carola Rackete als Kandidatin zur EU-Wahl.

Viele halten die Tochter eines reichen Rüstungsberaters für Wähler nicht vermittelbar – und werfen der Linkspartei vor, sich zu einer Kopie der Grünen zu entwickeln. Wagenknecht selbst sieht dem „Spiegel“ gegenüber diesen Kurs durch den Rückzug von Bartsch als bestätigt. Dieser werde dazu führen, dass sich „der Kurs der Parteispitze, den Klimaaktivismus der Grünen zu überbieten und die Sorgen und Probleme normaler Bürger zu vernachlässigen, in der Linken noch stärker durchsetzt“.

Potenzial liegt bundesweit nahe 20 Prozent

Das Potenzial für eine Wagenknecht-Partei scheint nicht unerheblich zu sein. Bereits im März wies Kantar ein solches bundesweit mit 19 Prozent aus, in Ostdeutschland liege es bei 27. Neuere Analysen wie eine jüngst publizierte von „wahlkreisprognose.de“ bestätigen diese Einschätzung. INSA sprach jüngst von 20 Prozent.

In Thüringen gaben in einer Umfrage Mitte Juli 25 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an, eine Wagenknecht-Partei wählen zu wollen, wenn es sie gäbe und wenn jetzt Landtagswahl wäre. Bei der EU-Wahl 2024 kommt erfahrungsgemäß ein noch höheres Protestpotenzial hinzu.

Gelingt der Wagenknecht-Partei mit einer neuen Partei ein Achtungserfolg, ist auch mit Antritten bei Landtagswahlen zu rechnen. Diese sollen im Herbst 2024 in Sachsen, Thüringen und Brandenburg stattfinden.

Neben der Linkspartei müsste in einem solchen Fall vor allem die AfD um Stimmen fürchten. Einer Civey-Umfrage vom Juli zufolge könnten sich 44 Prozent ihrer Wähler eine Stimmabgabe für Wagenknecht „grundsätzlich“ vorstellen. Dazu kommen Wähler, die zwar mehr Realismus in der Klima- oder Migrationspolitik wünschen, zu einer Wahl der AfD aber prinzipiell nicht bereit sind.

Wie breit wird sich die Wagenknecht-Partei aufstellen?

Eine der großen Herausforderungen für das neue Parteiprojekt wird es zweifellos sein, deutlich zu machen, dass man in die Breite wirken möchte. Traditionelle Bündnispartner wie Gewerkschafter oder Personen aus staatsnahen Einrichtungen der Bildung und des Gesundheitswesens werden weiter eine tragende Rolle spielen. Allerdings wird die Wagenknecht-Partei auch zielgruppengerecht um Selbstständige oder Nichtwähler werben müssen.

Eine Partei, die personell und inhaltlich wie eine Abspaltung der Linkspartei auftritt, würde voraussichtlich das Schicksal der „Aufstehen!“-Bewegung teilen. Diese hatte 2018 binnen kürzester Zeit eine sechsstellige Anzahl an registrierten Nutzern gewinnen können. Interne Querelen und eine geringe Außenwirkung veranlassten Wagenknecht jedoch am Ende zum Rückzug.

Pragmatismus und ein unideologisches Auftreten wären mit Blick auf das Wählerpotenzial, das sich durch gar keine Bundestagspartei vertreten fühlt, ratsam. Allerdings ist damit zu rechnen, dass der Gründer- und Funktionärsstamm der entstehenden Wagenknecht-Partei vor allem aus langjährigen Linkspolitikern besteht. Für die Fähigkeit zur Hinterfragung dogmatischer Überzeugungen, die unpolitische Durchschnittsbürger irritieren, waren viele von diesen bis dato nicht bekannt.

Linkspopulismus in der EU mit bislang überschaubaren Erfolgen

Bereits in den 2010er-Jahren hatte es mehrere Bestrebungen gegeben, „linkspopulistische“ Bewegungen in Europa zu etablieren – die sich von den zunehmend elitär gewordenen etablierten Linken abgrenzen wollten. Einige wie „Demokratie in Europa“ (DiEM25), gegründet vom früheren griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis, scheiterten schon im Ansatz. Andere wie die „Fünf Sterne“ von Beppe Grillo in Italien oder Spaniens „Podemos“ verloren schnell an Bedeutung. Dazu trugen neben ideologischen auch personelle Konflikte im Inneren bei.

Die verhältnismäßig stabilste linkspopulistische Gruppierung in der EU ist die französische Partei „La France Insoumise“ von Jean-Luc Mélenchon. Allerdings ist auch diese heterogen. Ihr Konzept, gezielt um Stimmen aus muslimischen Gemeinden zu werben, dürfte vor allem mit Politikerinnen wie Sevim Dağdelen schwierig werden. Diese ist bei der Mehrheit der türkischstämmigen Einwanderer in Deutschland etwa wegen ihrer Sympathien zur terroristischen PKK umstritten.

Wagenknecht und Guérot konnten zuletzt bis hinein in konservative Kreise Sympathien gewinnen. Geschuldet ist dies im Fall Wagenknechts nicht zuletzt einer klaren Distanz zur sogenannten Lifestyle-Linken. Guérot hatte vor allem durch kritische Anmerkungen zu den Corona-Maßnahmen und zur Konfrontationspolitik gegenüber Russland aufhorchen lassen.

Für Konservative problematische Positionen von Guérot und Wagenknecht

Dennoch werden auch sie sich wohl schon im EU-Wahlkampf Fragen zu einigen zuvor über lange Jahre vertretenen Positionen gefallen lassen müssen. Guérot hatte beispielsweise zusammen mit dem österreichischen Schriftsteller Robert Menasse mehrfach die Gründung einer „Europäischen Republik“ gefordert.

Zwar solle dabei mit der Auflösung der Nationalstaaten keine Zentralisierung, sondern eine Regionalisierung verbunden sein. Die Steuerhoheit solle Guérot zufolge aber jedenfalls auf „Europa“ übergehen.

Auch Sahra Wagenknecht hatte in der Vergangenheit Positionen vertreten, die konservative Wähler verschrecken könnten. So hatte sie eine ersatzlose Streichung des Paragrafen 218 StGB zum Schwangerschaftsabbruch gefordert. Auch bezüglich der „Ehe für alle“ vertrat Wagenknecht „progressive“ Positionen.

Im Jahr 2010 war sie auch unter jenen Politikern in ihrer Partei, die nach der Rede des damaligen israelischen Staatspräsidenten Schimon Peres im Bundestag sitzen blieben. Dieser hatte als Gastredner am Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus das Wort ergriffen.



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