Wie Islamisten in Deutschland Jugendliche rekrutieren

Das Thema Islamismus ist an vielen Schulen in Deutschland fast ein Tabu. Viele Lehrer meiden das Thema und betreiben eine Art Selbstzensur. Das sei ein Fehler, sagen Islam-Experten.
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Anhänger Palästinas bei einer Demonstration.Foto: Spencer Platt/Getty Images
Von 14. Juni 2023

An deutschen Schulen gibt es sie immer wieder – Konflikte zwischen religiös-radikalisierten, islamisierten Kindern und Jugendlichen auf der einen Seite und Lehrern und Erziehern auf der anderen. Doch das Thema wird durch Selbstzensur kleingehalten – oft aus Angst, dass man als Pädagoge als islamfeindlich oder diskriminierend gesehen wird.

Jüngst sprach Philip Mohamed Al-khazan über das Thema Radikalisierungsprävention mit der Bundeszentrale für politische Bildung. Der Fachmann arbeitet bei der Beratungsstelle „Legato“ in Hamburg und berät Schulen, Familien, Fachkräfte sowie islamistische Aussteiger. Er weiß, welche islamistischen Gruppierungen aktuell für Jugendliche in Deutschland relevant sein können und wie sie Jugendliche beeinflussen.

Al-khazan hat auch Vorschläge, wie Lehrer und Bezugspersonen Radikalisierungstendenz erkennen und gegensteuern können. Besonders aktiv im Bereich Islamismus ist nach seinen Worten derzeit die in Deutschland verbotene Gruppierung „Hizb ut-Tahrir“ (auch „HuT“ genannt). Ihr Schwerpunkt liegt dabei in Hamburg.

Das zeigen die Aktivitäten des Netzwerks „Muslim Interaktiv“, das der Hizb ut-Tahrir sehr nahestehe, so der ehemalige Schulbegleiter und Lehrer. Allerdings wären sie dabei, ihr Netzwerk auch außerhalb Hamburgs auszubauen und weitere Zellen einzurichten.

Netzwerke sind auf TikTok, YouTube und Instagram aktiv

Das Netzwerk sei auf TikTok, YouTube und Instagram aktiv und greife dort die Lebensrealität der muslimischen Jugendlichen auf. Dabei biete die Plattform den Jugendlichen auch eine Plattform, um sich durch Proteste und Demonstrationen politisch zu engagieren. Solche extremistisch ausgerichtete Plattformen würden gezielt auf die Bedürfnisse junger Menschen und Muslime zugeschnittene Informationen anbieten, die eine hohe Anziehungskraft ausüben.

„Wieso wird die Ukraine mit Waffen und Geldern unterstützt, während die Menschen in Palästina mit Steinen gegen die Übermacht kämpfen müssen?“ – solche Fragen würden dort immer wieder behandelt. „Damit stoßen sie auf Gehör bei den Jugendlichen“, berichtet der Lehrer.

Durch sie würde thematisiert, dass beispielsweise die Wünsche und Bedürfnisse junger Muslimen in der deutschen Gesellschaft nicht genügend berücksichtigt würden. Auch die (oft empfundene) gesellschaftliche Ungleichbehandlung von muslimischen und nicht-muslimischen Personen werde aufgegriffen.

Hizb ut-Tahrir würde aktuell vor allem in Hamburg auch durch Freizeitangebote für junge Menschen in Verbindung mit Predigten in Erscheinung treten. Dazu wären in der Vergangenheit auch Schwimmbäder für Jugendliche angemietet worden. „Die Jugendlichen erhoffen sich dann über den Anschluss an islamistische Gruppierungen, ihre Ängste, Minderwertigkeitskomplexe oder Gefühle von Ohnmacht zu überwinden.“ Ideologien würden so verschiedene Funktionen für junge Menschen erfüllten, wie etwa den Wunsch nach Zugehörigkeit, Anerkennung, Gerechtigkeit oder Sinn.

Islamisten konzentrieren sich gezielt auf YouTube

Die Bundeszentrale für politische Bildung wies 2022 darauf hin, dass sich Jugendliche vor allem auf YouTube über politische, lebensweltliche und religiöse Fragen informieren. Daher konzentrieren sich Islamisten gezielt auf YouTube, um eine hohe Reichweite unter deutschsprachigen Muslimen zu erlangen. Im Laufe des Jahres 2019 wurden 210 extremistisch ausgerichtet Kanäle auf YouTube zugeordnet.

Den nach Orientierung suchenden jungen Menschen wird eine Islamauslegung nahegelegt, die ein salafistisch-wahhabitisches Weltbild mit starker Orientierung an der islamischen Heilsgeschichte und Apokalypse prägt. Jugendliche werden zu einer aktiven Abgrenzung von der deutschen Mehrheitsgesellschaft und zur Schaffung einer religiös geprägten Gegenkultur aufgefordert, heißt es dort. „Dabei wandeln sich Inhalte und Präsentationsformen ständig.“

Da viele Jugendliche die Social-Media-Plattform TikTok nutzen würden, werden seit 2022 auch dort Analysen und ein Monitoring durchgeführt. Im Jahr 2023 soll das Monitoring punktuell auf Instagram erweitert.

Fokus auf inhaltliche Äußerungen legen

Der Extremismus-Berater Al-khazan rät Lehrern davon ab, äußere Merkmale als Anzeichen von Radikalisierung festzulegen. Äußere Merkmale könnten sich im Laufe der Zeit ändern, was zu Stigmatisierungen von unbeteiligten Personen führen könnte. Stattdessen rät er, den Fokus eher auf die inhaltlichen Äußerungen der Personen zu legen.

Diskussionen um Religion würden von islamistischen Akteuren oftmals sehr politisch aufgeladen – wobei oft der Islam als vermeintliche Lösung für alles dargestellt würde.

Spätestens, wenn Entmenschlichung von anderen stattfände – also wenn durch Kultur-Rassismus andere Menschen ausgegrenzt und dämonisiert werden –, sollten sich Lehrkräfte dem entgegenstellen und spätestens dann Kontakt zu Beratungsstellen aufnehmen. Dies gelte auch, wenn das Ausüben von Gewalt ihnen gegenüber legitimiert werde. „Zu diesem Zeitpunkt haben die Personen alle alten Brücken abgebaut und nur noch Zugang zu einer bestimmten Perspektive auf die Welt“, so Al-khazan.

Oft hätten sich radikalisierte Jugendliche nicht selbst mit der Religion auseinandergesetzt oder Bücher gelesen. Ihr Zugang zur Religion bestehe über ein Gemeinschaftsgefühl, Rituale oder Predigten.

Schulen sollten gesellschaftlichen Diskurse aktiv aufgreifen

Der Fachmann empfiehlt Schulen, gesellschaftliche Themen, die auch interessant für Muslime sind, aktiv aufzugreifen und sie nicht den extremistischen Gruppen zu überlassen. Dadurch würden sich die Schüler wahrgenommen und respektiert fühlen. Denn Gruppierungen wie „Muslim Interaktiv“ würden mit klassischen Feindbildern arbeiten, etwa: „Deutschland oder der Westen interessieren sich nicht für deine Anliegen.“

Tatsächlich tauchen viele Themen in der Presse nur am Rande auf, wie zum Beispiel die Verfolgung und Tötung muslimischer Minderheiten in Myanmar oder China. Das interpretierten manche Muslime in der Art, dass ein bestimmtes Leben mehr wert sei als ein anderes. „Junge Menschen mit Bezügen zu diesen Ländern könnten sich zu Recht fragen, wo hier die Solidarität mit Muslimen bleibt“, so der Pädagoge.

Schulen sollte keine Feindbilder bedienen

Es gab beispielsweise einen Schüler, der aus Protest die Schweigeminute für die Opfer in der Ukraine an seiner Schule boykottierte. Der Schüler begründete seine Haltung damit, dass es ja auch keine Schweigeminute für muslimische Opfer von Kriegen und Konflikten im Jemen oder in Palästina gebe.

Er beschwerte sich auch über eine ungleiche Behandlung von ukrainischen gegenüber muslimischen Flüchtlingen. Daraufhin wurde der Schüler der Schule verwiesen. „Damit treibt man Jugendliche möglicherweise direkt in die Arme islamistisch motivierter Organisationen“, so Al-khazan. Denn sie würden genau diese Widersprüchlichkeiten aufgreifen, denen im schulischen Kontext oft kein Platz gegeben werde.

Schulen sollten demnach versuchen, dem islamistischen Feindbild des ignoranten Westens entgegenzuwirken und zu zeigen: Wir respektieren dich, deine Religion und deine Kultur – und dabei gelte es auch das Thema Religion nicht auszuklammern.

Jedoch seien Lehrkräfte häufig besorgt, Jugendlichen in Diskussionen zum Islam argumentativ unterlegen zu sein. „Es ist in Ordnung, nicht alles zu wissen und das auch offen zuzugeben“, empfiehlt Al-khazan. Man kann auch nach den Quellen der Schüler fragen und vorschlagen, diese nochmal im Nachgang zu prüfen.

Keine Grundsatzdebatten über Religion führen

Dabei sei es wichtig, keine Grundsatzdebatten über Religion zu führen, sondern zu versuchen, die Funktion der Ideologie zu ergründen. Was ist eigentlich gerade los bei der Person? Warum ist ein Thema so wichtig für jemanden? Welche Bedürfnisse befriedigt die Ideologie?

Wenn die Bedürfnisfragen ergründet wurden, sei das nötige Wissen für das weitere Handeln da. „Ich sollte vermitteln, dass ich nichts gegen die Religion der Person habe, sondern sie nur besser verstehen will.“ Es sollte keine konfliktbehaftete Dynamik entstehen, in der eine Partei ihr Gegenüber überzeugen will.

Laut der Bundeszentrale für politische Bildung ist die Fähigkeit, sich kritisch und differenziert mit unterschiedlichen Informationen auseinandersetzen zu können, von immenser Bedeutung. Nur so lassen sich die Botschaften extremistisch ausgerichteter Akteure und ihnen nahestehender Influencer einordnen und bewerten. Daher sollten analytische Fähigkeiten, Medienkompetenz und die Medienkritikfähigkeit gestärkt werden.



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