Wohlfahrtsverbände warnen: Mittelkürzungen gefährden zahlreiche soziale Angebote

Eine Umfrage unter gemeinnützigen Verbänden lässt Befürchtungen über zunehmende Unterversorgung der sozialen Infrastruktur erkennen. Die Wohlfahrtsverbände geben der Inflation die Schuld – und Minister Lindner.
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Wohlfahrtsverbände in Deutschland warnen vor Unterfinanzierung sozialer Infrastruktur.Foto: THOMAS KIENZLE/AFP via Getty Images
Von 20. Oktober 2023

Vor erheblichen Einschränkungen im Bereich der sozialen Infrastruktur warnen mehrere Wohlfahrtsverbände. Hintergrund sind die Kürzungen im Sozialhaushalt durch die Bundesregierung. Einer Berechnung der Liga der freien Wohlfahrtspflege Baden-Württemberg zufolge belaufen diese sich im Bundeshaushalt 2024 auf nicht weniger als 25 Prozent.

Am Dienstag, 17. Oktober, veröffentlichten die Arbeiterwohlfahrt, die Diakonie und der Paritätische Wohlfahrtsverband eine gemeinsame Erklärung. Diese stützten die Verbände auf eine Umfrage, die sie unter nicht weniger als 2.700 gemeinnützige Organisationen und Einrichtungen durchgeführt hatten. Die Befragten kamen dabei aus dem gesamten Spektrum sozialer Arbeit – von der Schuldnerberatung über Pflege bis hin zur Jugendsozialarbeit.

Weniger Geld für Asylverfahrensberatung – gar keines mehr für Familienerholung

Bereits zuvor hatte die Liga anhand konkreter Einzelbereiche dargestellt, wie drastisch die Einsparungen tatsächlich ausfallen werden. In der Asylverfahrensberatung nach § 12a Asylgesetz kürzt der Bund 2024 die Mittel um 50 Prozent auf 20 Millionen Euro. Auf diesem Niveau will er diese auch längerfristig einfrieren. Ursprünglich wäre bis 2026 ein Ausbau auf bis zu 80 Prozent vorgesehen gewesen.

Der Bundeszuschuss zur Pflege in Höhe von einer Milliarde Euro soll vollständig wegfallen. Davon wären alle stationären Pflegeeinrichtungen betroffen – und das werde den einrichtungsindividuellen Eigenanteil je Platz steigern. In der Konsequenz erwarten die Wohlfahrtsverbände, dass dadurch immer mehr Menschen ihre Pflege mit Leistungen der Sozialhilfe finanzieren müssten.

Die bisherigen Mittel für Familienferienstätten in Höhe von rund 1,855 Millionen Euro pro Jahr werde ebenfalls vollständig gestrichen.

Wohlfahrtsverbände sehen bei Kindergrundsicherung eine Schlappe für Paus

Einsparungen von 25 Millionen Euro oder 20,8 Prozent wird es der Erhebung zufolge bei den Freiwilligendiensten FSJ, FÖJ und IFW geben. Für den Bundesfreiwilligendienst werden 53 Millionen oder 25,56 Prozent weniger zur Verfügung stehen.

Mittel für Jugendmigrationsdienste, die unter anderem der Prävention von Radikalisierung dienen sollen, werden von effektiv 99,85 Millionen auf 63,8 Millionen Euro gekürzt.

Bei der Kindergrundsicherung sprechen die Wohlfahrtsverbände von einer Kürzung in Höhe von 80 Prozent. Diese errechne sich daraus, dass für diese von 12 Milliarden Euro, die Bundesfamilienministerin Lisa Paus für erforderlich gehalten hatte, nur zwei Milliarden zur Verfügung stehen werden. Paus selbst hatte nach der Einigung innerhalb der Ampel auf die Finanzierung ihres Prestigeprojekts diese als einen großen Erfolg verkündet.

Deutliche Kürzung bei Beratungsangeboten für Asylsuchende

Eine Kürzung von 81,5 auf 57,5 Millionen Euro wird es bei den Bundesmitteln für die Migrationsberatung für erwachsene Zugewanderte (MBE) geben. Um etwa 60 Prozent weniger und damit nur noch etwa 7,1 Millionen Euro wird für die „Beratung und Betreuung ausländischer Flüchtlinge“ geben. Diese hatte das BMFSFJ organisiert und es ging dabei unter anderem um Angebote zur Behandlung traumatisierter Schutzsuchender.

Für Eingliederungsleistungen nach SGB II soll es 2024 eine Kürzung von 9,75 auf 9,25 Milliarden Euro geben. Ein Jahr später sollen nur noch 8,35 Milliarden zur Verfügung stehen. In der Praxis heißt das, dass etwa die Zuständigkeit für Unter-25-Jährige in diesem Bereich von Jobcentern in die der Arbeitsagenturen wandert.

Von 13,2 Millionen Euro im Jahr 2023 auf 9,2 Millionen im nächsten Jahr sinken zudem die Bundesmittel für die Suchtprävention. Durch Spenden oder eigene Einsparungsmaßnahmen seien die Verluste regelmäßig nicht wettzumachen.

Wohlfahrtsverbände befürchten Ende freiwilliger kommunaler Angebote

In einigen Bereichen wäre es Kommunen möglich, durch freiwillige eigene Angebote den Konsequenzen des Wegfalls von Bundesmitteln gegenzusteuern. Die Wohlfahrtsverbände gehen allerdings davon aus, dass dies nicht passieren werde.

Allein die Inflation vor allem bei Energie und Lebensmitteln habe der Erhebung zufolge zu einer Kostensteigerung von 16 Prozent bei den Einrichtungen beigetragen. Die hohen Tarifabschlüsse, die eigentlich zu begrüßen seien, würden deren Möglichkeiten weiter einengen.

Die Ausfälle bei der Gewerbesteuer infolge des von Bundesfinanzminister Christian Lindner durchgesetzten Wachstumschancengesetzes würden sich jährlich auf etwa 1,9 Milliarden Euro summieren.

Deshalb mussten „trotz steigender Nachfrage […] vielerorts bereits Angebote und Hilfen eingeschränkt beziehungsweise reduziert oder sogar ganz eingestellt werden“, so die Wohlfahrtsverbände. In Anbetracht weiterer Probleme wie Fachkräftemangel und Bürokratie werde es deshalb wohl „in der Praxis zu Unterversorgungslagen und neuen Ausschlüssen kommen“.



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