Zeitungssterben in Deutschland geht weiter: Leitmedien fürchten um „Räume ohne Kontrolle“

Mittlerweile erfasst auch Journalisten der Leitmedien zunehmend Sorge um ihre Zukunft und die ihrer Auftraggeber. Im „Spiegel“ widmet sich Markus Brauck dem Zeitungssterben in Deutschland. Die Selbstkritik bleibt jedoch gedämpft.
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Dass die Digitalisierung, seit sie die Medienlandschaft erreicht hat, die Verlage und Herausgeber vor tiefgreifende Herausforderungen stellen würde, war absehbar.Foto: über dts Nachrichtenagentur
Von 6. März 2019

Möglicherweise ist es kein Zufall, dass sich drei die Medien betreffende Nachrichten innerhalb von nur einer Woche bündelten: Der Tod des in den 1990er Jahren als „Filmfälscher“ bekannt gewordenen Michael Born am Sonntag (4.3.) in Graz; dann die einen Tag später erfolgte Offenlegung des Namens jenes preisgekrönten freien Journalisten, Dirk Gieselmann, von dem sich mehrere führende Medien jüngst getrennt hatten;  und das schon am 26.2. im „Spiegel“  veröffentlichte Klagelied von Markus Brauck über das Zeitungssterben.

Jedenfalls illustriert der enge zeitliche Zusammenfall dieser Ereignisse treffend das Bild von den „Einschlägen, die immer näherkommen“ – und es klingt wie eine ernste Warnung an alle Kollegen in den sogenannten Leitmedien, wenn Brauck ankündigt:

„Das Jahr 2019 wird für den Journalismus noch viele solcher schlechten Nachrichten bereithalten. Die Anzeigenmärkte brechen weg. Die Tageszeitungen verlieren Abonnenten. Und nur wenigen Häusern gelingt es, digitale Angebote zu machen, für die die Leser bereit sind, zu bezahlen.“

Die jüngsten Entwicklungen auf dem Medienmarkt deuten an, dass diese Erwartung alles andere als unrealistisch ist. Der Verlag M. DuMont Schauberg will seine Tageszeitungen verkaufen, unter anderem „Berliner Zeitung“, „Kölner Stadtanzeiger“ und „Express“. Teuer erworben, könnte das vor wenigen Jahren noch auf eine Milliarde Euro an Gesamtwert geschätzte Paket nun zum Spottpreis über den Ladentisch gehen. Der Erlös wird bitter benötigt, um in mögliche Online-Geschäftsmodelle investieren zu können.

Die Funke Mediengruppe will in absehbarer Zeit 400 Stellen streichen, die Verlagsgruppe Handelsblatt will zehn Prozent ihrer Belegschaft loswerden, schließt Einrichtungen, verkauft Titel und versucht verzweifelt, nachzuarbeiten, was man nach dem Ausscheiden / Rauswurf  von Geschäftsführer Gabor Steingart im Bereich der digitalen Innovation verschlafen hat.

Sterben auf Raten

Roland Tichy schreibt über die Entwicklungen im Printbereich:

Glücklich und klug ist, wer eine Tageszeitung rechtzeitig verkauft hat. Dumm dran ist, wer gekauft hat. Sie leben noch, diese Zeitungen, weil wegen des deutschen Arbeitsrechts die Abwicklung zu teuer ist. Jahrzehntelang Beschäftigte können nur mit extrem hohen Abfindungen entlassen werden. Deswegen scheitern derzeit Verkäufe. Niemand hat die Kohle für die Stilllegung von Druckzentren, Bürokratien und Redaktionen. Daher ist es ein Sterben auf Raten.“

Dass die Digitalisierung, seit sie die Medienlandschaft erreicht hat, die Verlage und Herausgeber vor tiefgreifende Herausforderungen stellen würde, war absehbar. Dabei hatte es von Beginn an auch gewaltige Chancen in diesem Bereich gegeben, die unternehmerisch denkende Verleger auch ergriffen – auch wenn es keine spektakulären Erträge waren, die man erzielte, und man dafür auch diszipliniert arbeiten musste.

Bereits Mitte der 1990er Jahre begannen die ersten Herausgeber, Online-Präsenzen für ihre Produkte zu schaffen und ausgewählte Artikel ins Netz zu stellen. Zu Beginn erschien die Internetpräsenz bei vielen noch als Beiwerk oder eine Art digitales Schaufenster. Besonders findige Verleger wie Oscar Bronner vom österreichischen „Standard“ erkannten das Onlineportal als Chance zur Leserbindung und boten die gesamte Zeitung zum Abonnement feil, um Österreichern im Ausland, beispielsweise in den USA, den Zugriff am gleichen Tag zu ermöglichen wie jenen, die ihre Zeitung täglich am Morgen vor der Haustüre erwarteten.

Das E-Abo wurde auch für Zeitungen mit vorwiegend regionaler Verbreitung, etwa für die „Schweriner Volkszeitung“, zu einer Option, um Leser zu gewinnen und zu binden: Angesichts der starken Abwanderung gut ausgebildeter Ostdeutscher bot das E-Abo diesen die Chance, tagesaktuell über Ereignisse in ihrer alten Heimat auf dem Laufenden zu bleiben, während ein postalisches Abo preislich und aktualitätstechnisch unattraktiv gewesen wäre.

Mindestlohn schadet Leitmedien abseits der Großstädte

Der Triumphzug der sozialen Medien unterminierte zunehmend jedoch auch diese Geschäftsidee. Aus aller Welt ließ sich fortan nicht nur das Onlineangebot an Lokalteilen zu jeder Tages- und Nachtzeit abrufen, das Web 2.0, das den einzelnen Bürger selbst zum potenziellen Nachrichtenproduzenten machte, sorgte dafür, dass lokale und regionale News in Gruppen und auf Blogs erschienen, lange bevor das örtliche Leitmedium sie aufbereiten konnte.

Der gesetzliche Mindestlohn, von der übergroßen Mehrheit an rot-grünen Redakteuren in den Leitmedien einst als elementares Gebot der „sozialen Gerechtigkeit“ mit herbeigeschrieben, trifft vor allem die Kleinstädte, Dörfer und Gemeinden auf dem flachen Land, weil der Vertrieb über Zustelldienste unrentabel wird.

Brauck meint, dass die lokale und regionale Berichterstattung unter dem Zeitungssterben besonders leiden wird:

In den kommenden Jahren werden Zeitungen verschwinden. Es werden Titel eingestellt und Redaktionen nicht mehr berichten. Und diese Lücke werden nicht mehr nur Journalisten zu spüren bekommen. Sondern Stadträte, über deren Arbeit niemand mehr berichtet. Bürger, die über ihre Gemeinde nichts mehr erfahren. Es wird Räume geben ohne Öffentlichkeit. Räume, die sich der Kontrolle entziehen, die Öffentlichkeit bedeutet. Räume ohne öffentliche Debatte, ohne öffentliche Politik. Eine WhatsApp-Gruppe macht noch keinen Journalismus.“

Gerade hier könnte Brauck allerdings irren. Die Tatsache, dass die Medienerzeugnisse von Großverlagen auf dem Markt des Regionaljournalismus nicht mehr präsent sind, beseitigt ja nicht die Nachfrage nach Information über lokale Angelegenheiten. Diese Nachfrage wird nur nicht mehr von den bisherigen Akteuren bedient.

Oberlehrer nicht gefragt

Stattdessen versuchen lokal verwurzelte Akteure, das Gesetz in die eigenen Hände zu nehmen, was qualitativ manchmal besser, manchmal weniger gut gelingt, aber jeweils mit hohem persönlichem Einsatz, unternehmerischem Geschick und der Bereitschaft verbunden ist, eigene Befindlichkeiten nicht zum Maß aller Dinge zu machen.

Mittlerweile haben sich in einigen Städten und Regionen Nachrichtenportale etabliert, die seit Jahren überleben, wirtschaftlich Gewinne abwerfen und an inhaltlicher Qualität zugelegt haben. „Räume, die sich der Kontrolle entziehen“, wie Brauck sie befürchtet, müssen deshalb nicht automatisch auch Räume ohne öffentliche Debatte sein.

Die WhatsApp-Gruppe macht dabei zweifellos noch nicht den Journalismus selbst, aber sie ist ein möglicher Weg zur Informationsgewinnung für den Online-Medienunternehmer mit Lokalbindung.

Tomas Spahn hält die Klage des „Spiegel“-Kommentators über eine zu befürchtende Unterversorgung der Bevölkerung mit Lokalberichterstattung auch für vorgeschoben, denn:

[…] die regionale Berichterstattung war dort schon immer bestenfalls lästiges Beiwerk. Seitdem nun auch die ‚Mäntel‘ aus fernen Buchstabenfabriken aufgeliefert werden, entfällt der letzte Grund, sich diese Retortenprodukte zu kaufen, in denen diese Buchstaben nur noch abgefüllt wurden.“

Schon längst hätten Anzeigenblättchen und lokale Webportale den Großverlagen bei der Lokalberichterstattung den Rang abgelaufen.

Dass manche dieser Angebote qualitativ nicht hochwertig seien, führt Spahn jedoch gerade darauf zurück, dass zu viele von den Großverlagen im Zuge ihrer Rationalisierungskampagnen abgebaute Schreiber dorthin gewechselt seien, die den Anspruch erheben, „als Oberlehrer einer tumben Nation auftreten zu können“. Diese hätten jedoch besser in die Politik oder in den Schuldienst gehen sollen.

Kontrollierte Demokratie und kontrollierte Öffentlichkeit

Hinter der vermeintlichen Furcht vor „Räumen ohne Öffentlichkeit, die sich der Kontrolle entziehen“ – ein nicht nur leiser Anklang an die „kontrollierte Demokratie“, die in Elisabeth Wehlings ARD-Framing-Manual gefordert wird – stehe, so Spahn,

der Traum vom Gatekeeper, der nicht nur den Nachrichtenfluss steuert, sondern vom Big Brother, der alles sieht, alles weiß, alles überwacht. Der jede Abweichung vom als ‚normal‘ Gewünschten sofort registriert und an den Pranger stellt.“

Tatsächlich deutet hingegen vieles darauf hin, dass gerade dauerhaft erfolgreiche Lokalmedien davon leben, dass die soziale Kontrolle besonders groß ist. Allerdings sind es keine fernen Chefredaktionen mit selbstgestecktem Erziehungsauftrag, die diese Kontrolle ausüben, sondern die Bürger und Akteure vor Ort.

Dies hat zur Folge, dass die erfolgreichen Medienprojekte mit regionaler und lokaler Bindung auf den ersten Blick unspektakulär, unkritisch oder so wirken, dass sie, wie Brauck es beschreibt, „weniger auf Journalismus setzen und mehr auf Vermarktung“. Dies muss jedoch nicht zwingend ein Nachteil sein.

Selbstverständlich will der Gewerbetreibende, der das lokale Onlineportal abonniert oder dafür spendet, auch ab und an einen Artikel über sein eigenes Unternehmen und dessen Aktivitäten lesen. Selbstverständlich wird der Bürgermeister ebenso wie der Fraktionschefs der Opposition im Stadtrat wichtige interne Information nur dann herausrücken, wenn sie wissen, dass das Lokalblog nicht in offensichtlicher Weise gegen ihn Partei ergreift. Und verderben will es sich der Lokaljournalist mit eigenem Projekt mit keinem davon, zumal er sie alle jederzeit beim Einkaufen, beim Arzt oder beim Bäcker persönlich antreffen könnte.

„We report, you decide“ oder Haltungsjournalismus?

De facto führt das jedoch dazu, dass derjenige am erfolgreichsten bleibt, der sich das Motto des US-Senders „Fox News“ zu eigen macht, das da lautete „We report, you decide“ – und der Vollständigkeit und Aktualität der Berichterstattung einen höheren Stellenwert einräumt als der „Einordnung“ des Geschehens. Der Leser soll demnach die Fakten, Sichtweisen und Narrative auf den Tisch gelegt bekommen – und am Ende selbst entscheiden, welche Darstellung er für die glaubhafteste hält.

Exakt dieser Anspruch, den Medienkonsumenten als Kunden zu behandeln und ihn für reif genug zu halten, selbst ihm dargelegte Informationen in verantwortungsvoller Weise zu würdigen, widerspricht jedoch einem journalistischen Ethos, das sich berufen fühlt, namens des „Gemeinwohls“ und der „kontrollierten Demokratie“ dem Leser zu sagen, wie er mit der Information umzugehen hat.

Dass Medienkonsumenten keine kleinen Kinder sind, die erzogen werden müssen und denen man deshalb in dosierter Form Belehrungen und Entspannung durch Unterhaltung verabreichen muss, zeigt sich auch am Misserfolg von Portalen wie Buzzfeed oder Huffington Post, die zu Beginn den überregionalen Online-Markt aufgerollt hatten.

Was mit Katzenbildchen und Promigeschichten begann, endete bald mit empörten Schlagzeilen über falsche Verwendung von Genderpronomina oder Handreichungen darüber, warum es unverantwortlich wäre, in Zeiten der menschengemachten Klimakatastrophe noch Kinder zu bekommen. Tichy meint dazu:

Nichts langweilt in Medien so sehr wie Wiederholung und Missachtung der Intelligenz der Leser. Sie wenden sich ab.“

Alexander Wendt bestätigt auf „Publico“ den Eindruck, dass es eine tiefgreifende Krise des Journalismus in Deutschland gäbe. Diese sei jedoch keine Krise der Nachfrage, sondern des Angebots. Haltungsjournalismus, Belehrungsdrang und Arroganz hätten für eine so tiefe Entfremdung gesorgt, dass Bürger schlicht nicht mehr bereit wären, für ihre eigene Beschimpfung auch noch Geld zu bezahlen. Davon profitieren neue Formate, die dies vermeiden:

Die Leser der Schrumpfmedien sind als Leser nicht verschwunden. Sie lesen nur woanders.“



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