Rasanter Anstieg der Grundsicherungsempfänger in Rente – hauptsächlich aus der Ukraine

Ende März 2023 hatten mehr als 680.000 Menschen im Rentenalter Geld aus dem Grundsicherungsprogramm erhalten – rund 15 Prozent mehr als zum gleichen Zeitpunkt im Vorjahr. Den Hauptgrund für die Steigerung sieht das Statistische Bundesamt bei ukrainischen Senioren.
Titelbild
Das Symbolbild zeigt Flüchtlinge aus der Ukraine in der provisorischen Flüchtlingsunterkunft am ehemaligen Berliner Flughafen Tegel. Mittlerweile beziehen über 70.000 ukrainische Senioren Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch.Foto: Maja Hitij/Getty Images
Von 17. Juli 2023

Mit genau 684.360 Menschen haben Ende des ersten Quartals 2023 so viele Menschen im Ruhestandsalter Grundsicherung vom Sozialamt bezogen wie noch nie zuvor. Die Sozialleistung wird ausbezahlt, wenn das gesamte monatliche Einkommen nicht ausreicht, um die Kosten für den eigenen Lebensunterhalt stemmen zu können. Die Grenze sieht der Gesetzgeber bei 924 Euro.

Nach einem Bericht des „Handelsblatts“ handelt es sich um einen Anstieg von fast 26.000 im Vergleich zum Jahresende 2022. Im Vergleich zum März 2022 hätten sogar rund 90.000 Ruheständler mehr Grundsicherung bezogen. Das entspreche einem Anstieg von rund 15 Prozent innerhalb von 365 Tagen.

Die ruhestandsbedingte Grundsicherung nähmen mit 57 Prozent überdurchschnittlich viele Frauen in Anspruch, schreibt das „Handelsblatt“. Die Zeitung verweist als Quelle auf „die Zeitungen der Funke Mediengruppe unter Berufung auf Daten des Statistischen Bundesamtes“. Die Daten sind noch nicht öffentlich einsehbar.

Mittlerweile über 73.000 Ukrainer Grundsicherungsempfänger

Den „deutlichen Anstieg an Empfängern im Vergleich zum Vorjahr lässt sich vor allem durch leistungsberechtigte Geflüchtete aus der Ukraine erklären“, schrieb das Statistische Bundesamt bereits im April. Für den Mai 2023 hatte das Amt eine Zahl von fast 1,07 Millionen ukrainischer Kriegsflüchtlinge in Deutschland gezählt.

Im Dezember 2022 hätten 73.060 Ukrainer eine rentenaltersbedingte Grundsicherung erhalten, im Dezember 2021 seien es noch 20.525 gewesen, so das „Handelsblatt“. Ukrainische Flüchtlinge könnten seit Juni 2022 Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch bekommen. Zuvor seien ihre Ansprüche per Asylbewerberleistungsgesetz verwaltet worden.

Insgesamt 1,22 Millionen Grundsicherungsbezieher – Tendenz steigend

Laut „Handelsblatt“ habe die Gesamtzahl der Menschen, die Ende März 2023 Grundsicherungsleistungen bezogen hätten, bei 1,22 Millionen gelegen. Das Statistische Bundesamt hatte zum Jahresende 2022 noch knapp 1,19 Millionen solcher Fälle ausgewiesen, Ende März 2022 nur 1,13 Millionen.

Die Differenz zwischen der Gesamtzahl und den Beziehern im Rentenalter rührt von den Menschen mit vollständiger Erwerbsminderung her, von denen viele ebenfalls einen Anspruch auf Grundsicherung haben.

Bei einer Einwohnerzahl von rund 84,4 Millionen entsprach die Gesamtquote der Grundsicherungsleistungsbezieher in Deutschland Ende März 2023 damit knapp 1,45 Prozent.

Bartsch fordert erneut „Schutzschirm gegen Altersarmut“

Dietmar Bartsch, der Fraktionschef der Linken im Bundestag, wird nicht müde, die Verhältnisse immer wieder anzuprangern. Die Zahlen seien „alarmierend“ und auch ein „Ergebnis der ‚verheerenden Politik‘ der vergangenen Jahre“, zitiert ihn das ZDF aktuell. Dabei hätten „Inflation und Krieg“ die „Preisexplosion“ angetrieben, die eine große Rolle bei der Altersarmut spiele.

Bartsch habe auf eine deutlich höhere Dunkelziffer aufmerksam gemacht: Viele Betroffene würden aus Scham den Gang zum Sozialamt vermeiden. Es sei nun an der Bundesregierung, „eine konsequente Anti-Inflationspolitik“ zu verfolgen und endlich einen „Schutzschirm gegen Altersarmut“ aufzuziehen, habe Bartsch gefordert. Das Rentensystem bedürfe jedenfalls einer „Generalüberholung“: Einmalig zehn Prozent mehr Rente als Inflationsausgleich, eine Anhebung des „Rentenniveau[s] auf 53 Prozent“ und „eine Mindestrente von 1.200 Euro“ schwebten ihm vor.

40 Jahre Arbeit, Rente unter 1.000 Euro: Jede dritte Frau betroffen

Mitte Januar 2023 sei auf eine Kleine Anfrage der Linken bekannt geworden, dass jede „dritte Frau mit einer Vollzeitstelle in Deutschland […] auch nach 40 Arbeitsjahren auf eine Rente von weniger als 1000 Euro netto“ zusteuere, schrieb ebenfalls das ARD-Nachrichtenflaggschiff „Tagesschau“.

Von damals „insgesamt 7,1 Millionen Vollzeit-Arbeitnehmerinnen“ könnten 2,7 Millionen, also rund 38 Prozent, damit rechnen, im Rentenalter mit „weniger als 1.000 Euro“ netto auskommen zu müssen.

Um auf die von Bartsch geforderte Mindestrente von 1.200 Euro zu kommen, wären nach Angaben der „Tagesschau“ beim aktuellen Rentensystem 40 Beitragsjahre mit einem „Bruttomonatslohn von 3.413 Euro“ nachzuweisen. Für 1.000 Euro – und damit nur ein paar Euro zu viel, um Leistungen aus der Grundsicherung beziehen zu dürfen, seien 40 Jahre mit jeweils 2.844 Euro Bruttolohn nötig.

Nur 32,6 Prozent aller Vollzeitarbeitnehmer weiblich – Erwerbsbiografien unterschiedlich

Von solchen Einkommensverhältnissen können viele Frauen und Männer selbstverständlich nur träumen. Denn laut „Tagesschau“ sind überhaupt nur 32,6 Prozent aller Vollzeitarbeitnehmer weiblich. Bei den Geringverdienern unter den Vollzeitarbeitnehmern halten sich Frauen und Männer offenbar fast die Waage: 48,5 Prozent jener Berufstätigen, die selbst nach 45 Vollzeitarbeitsjahren Renten von unter 1.000 Euro zu erwarten hätten, seien Frauen.

Der „Gender Pension Gap“, also der Unterschied „bei den Alterseinkünften von Frauen und Männern“, geht nach einem weiteren Bericht der „Tagesschau“ vom März 2023 vor allem darauf zurück, dass berufstätige Frauen im Durchschnitt niedrigere Einkommen erzielten, längere Pausen von der Erwerbsarbeit nähmen (häufig wegen der Erziehung oder Pflege von Kindern beziehungsweise Angehörigen) und weit öfter als Männer in Teilzeit arbeiteten (Frauen: 47,4 Prozent, Männer: 10,6 Prozent). Wenn Kinder in einem gemeinsamen Haushalt lebten, würden sogar 63,6 Prozent der Frauen lediglich einer bezahlten Teilzeitbeschäftigung nachgehen. Diese Tatsachen führten letztlich zu einer fast 30-prozentigen Differenz bei den Alterseinkünften.

Das Statistische Bundesamt weise für Männer deshalb durchschnittlich 25.407 Euro an Alters- und Hinterbliebenenrenten, Pensionen oder Renten aus individueller privater Vorsorge im Jahr aus, für Frauen nur 17.814 Euro.

Bundesregierung plant kein Aus für Hinterbliebenenrente

„Ohne die Berücksichtigung von Hinterbliebenenrenten wäre das Rentengefälle laut der Statistik sogar noch deutlich größer“, nämlich 42,6 Prozent, heißt es im Artikel. Denn etwa „29 Prozent der Frauen ab 65 Jahren erhielten den Daten zufolge Alterseinkünfte aus einer Hinterbliebenenrente, sogenannte abgeleitete Ansprüche“. Männer über 65 hätten nur zu „gut fünf Prozent“ derartige Einnahmen.

Erst kürzlich hatte Prof. Monika Schnitzer, die Chefin der Wirtschaftsweisen, den Vorschlag gemacht, die Witwenrente doch besser ganz abzuschaffen, um speziell Frauen zu vermehrter Erwerbstätigkeit anzuregen. Doch das Vorhaben stieß nach Informationen der „tz“ auf wenig Begeisterung bei der Bundesregierung: Die Hinterbliebenenrente sei „sicher“, die Regierung denke nicht an eine Abschaffung, der Koalitionsvertrag sehe das auch nicht vor, habe eine Regierungssprecherin geäußert.

Aber auch mit Hinterbliebenenrente liegt die „Armutsgefährdungsquote“ laut „Tagesschau“ bei Männern im deutschen Sozialsystem immerhin bei 17,5 Prozent, bei Frauen bei 20,9 Prozent. Der offizielle Status „armutsgefährdet“ liege „laut EU-Definition“ dann vor, wenn einem Menschen „weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung zur Verfügung“ stehe.

Ausführliche Zahlen zum Rentenzugang, zum Rentenwegfall, zur Rentenänderung und zum Rentenbestand mit Stand 31. Dezember 2022 hatte die Deutsche Rentenversicherung (DRV) in ihrem Statistikportal erst kürzlich veröffentlicht (Statistikband „Rente 2022“, PDF). Der DRV-Statistikband „Versicherte 2021“ (PDF) liegt bislang nur für das Jahr 2021 vor. Auch das Statistische Bundesamt beleuchtet das Rentensystem auf verschiedene Art und Weise.

924 Euro für Miete und Leben: So stehen die Chancen auf Grundsicherung

Nach Angaben der DRV kann ein Antrag auf Grundsicherung beim Sozialamt oder bei der Deutschen Rentenversicherung selbst gestellt werden. „Wir leiten ihn dann weiter“, heißt es auf der DRV-Website.

Die Antragsvoraussetzungen sind jedoch komplex, und vor den Erfolg hat die Legislative hohe Hürden bürokratischer Natur gesetzt. Als Grundvoraussetzung gilt ein Mindestalter von 18 Jahren bei voller Erwerbsminderung oder die Regelaltersgrenze für einen Rentenbezug. Erfüllt man eine dieser Kategorien, dann muss man bei Antragstellung die gesamten Vermögensverhältnisse offenlegen. Der Antragsteller hat nämlich sein gesamtes Vermögen bis zu einer „Schonvermögensgrenze“ von 10.000 Euro (bei Verheirateten oder Verpartnerten: 20.000 Euro) aufzubrauchen, bevor die Staatskasse auch nur einen Cent extra herausrückt. Außerdem gibt es eine Vielzahl von Einkommensarten, die mal mehr, mal weniger vollständig angerechnet werden können – vom Erwerbseinkommen über die Riester-Rente bis zu Zinsen.

Rechnet man alles gegeneinander auf und kommt auf mehr als 924 Euro im Monat, kann man sich den Antrag auf Grundsicherung eigentlich gleich sparen. Denn es gilt laut DRV folgende „Faustregel“:

Wenn Ihr gesamtes Einkommen unter 924 Euro liegt, sollten Sie prüfen lassen, ob Sie Anspruch auf Grundsicherung haben.

Selbstverständlich steht einem der Antragsweg auch frei, falls man regelmäßig etwas mehr Geld bekommt: Das Grundsicherungsamt beziehungsweise Sozialamt hat ja immer noch die Option, den Antrag abzulehnen.

Die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach den Paragraphen 41 ff. im 4. Kapitel des Sozialgesetzbuches (SGB) XII gibt es in Deutschland nun schon seit beinahe zwei Jahrzehnten, nämlich seit dem 1. Januar 2005. Sie sollte „den grundlegenden Bedarf für den Lebensunterhalt sicherstellen“, ohne Familienangehörige finanziell gesondert zu belasten.



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