Skandal-Jugendheimkette: von guten Beziehungen, traumatisierten Heimkindern und den Mühlen der Justiz

Hatte der Rücktritt von Kanzlergattin Britta Ernst als frühere Jugend- und Bildungsministerin Brandenburgs etwas mit den Skandalen um die berüchtigten Haasenburg-Erziehungsheime zu tun? „Anti-Spiegel“-Macher Thomas Röper ist auf Spurensuche gegangen.
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Läuft die Aufbewahrungsfrist der Fallakten dieses Jahr ab?Foto: über dts Nachrichtenagentur
Von 18. Mai 2023

Erinnern Sie sich noch? Vor gut 20 Jahren, im November 2002, äußerte der damalige SPD-Generalsekretär Olaf Scholz seinen berühmten Satz „Wir wollen die Lufthoheit über den Kinderbetten erobern.“ Damals ging es um die Ganztagsbetreuung für Kinder.

Selbst nicht betroffen war der Urheber: Scholz und seine Frau Britta Ernst (SPD) sind kinderlos. Als Bildungsministerin des Landes Brandenburgs musste sich Ernst seit September 2017 gleichwohl um die Belange von Jugendlichen kümmern.

Am 17. April 2023 trat Ernst überraschend zurück. Hat der noch immer nicht abschließend juristisch aufgearbeitete Skandal um die berüchtigten Haasenburg-Kinderheime in den Jahren bis 2013 etwas damit zu tun? Diese Frage steht im Mittelpunkt einer ausführlichen Recherche, die der freie Journalist Thomas Röper („Anti-Spiegel“) unternommen hat.

Norddeutsches Netzwerk

Röper erzählt in seinem Artikel „Was Olaf Scholz und seine Frau mit einem Skandal um Kindesmisshandlung zu tun haben“ die Geschichte eines komplexen norddeutschen Betreuungsnetzwerkes, dessen Aktivitäten sich zumindest auf Hamburg und Brandenburg erstreckten.

Nach Röpers Recherchen liefen die Fäden beim Hamburger Rechtsprofessor Dr. Dr. Christian Bernzen zusammen. Der Sozialdemokrat soll schon 2002, als Scholz seinen Spruch von den Kinderbetten kundtat, gute Beziehungen zum Hamburger Senat gepflegt haben. Damals habe der Senat gerade nach Unterbringungsmöglichkeiten für minderjährigen Straftäter oder „schwer Erziehbare“ gesucht. Bernzen, so Röper, habe dann im Auftrag der Freien und Hansestadt Hamburg ein kurzes Rechtsgutachten verfasst, das deren Verschickung in geschlossene Heime ohne aufwendige Ausschreibungsverfahren ermöglichte.

Hamburger Jugendliche in die Haasenburg geschickt

Da soll die (laut Wikipedia „um 2002“; laut „online-handelsregister.de“ am 21.12.2005) gegründete „Haasenburg GmbH“ gerade recht gekommen sein: An drei Standorten in Brandenburg bot die Heimleitung um Gründer Dr. Christian Dietz, Geschäftsführer Mario Bavar und Sprecher Hinrich Bernzen – den Bruder des Hamburger Rechtsprofessors – Betreuungsdienstleistungen an, die das Hamburger Landesjugendamt gerne in Anspruch nahm. Je nach individuellem Hilfebedarf hätten die Tagessätze seinerzeit zwischen rund 180 und 350 Euro Kosten verursacht, Zusatzleistungen nicht eingerechnet.

Die Zahl jener Hamburger Problemfälle, die bald in Brandenburg weggeschlossen wurden, war nach Angaben eines Sprechers der Sozialbehörde Hamburg allerdings „in der Regel […] so gering, dass eine Zuordnung zu einzelnen Einrichtungen aus Gründen des Sozialdatenschutzes nicht möglich ist“. Die Aufbewahrungsfristen für die Akten der Sozialbehörde seien bereits abgelaufen.

Gewalt und Psychoterror blieben unerkannt

Bundesweit bekannt wurden nach und nach Vorfälle, die sich jahrelang hinter den Kulissen der Haasenburg-Heime abgespielt haben sollen: Der Heimgründer und Kindertherapeut Dr. Christian Dietz (mit Geburtsnamen: Haase), ein Schüler und Weggefährte des DDR-Kinderheimvordenkers Dr. Wolfram Kinze (CDU), soll mit seinen Mitarbeitern ein erschreckendes Disziplinierungs-, Erziehungs- und Therapieregiment geführt haben, wie immer mehr durchsickerte.

Doch ein „Besuchsbericht“ vom 10. Oktober 2012, mit dem das Brandenburger Jugendministerium ausgerechnet den Dietz-Intimus Kinze beauftragt hatte, offenbarte laut „taz“ keinerlei Beanstandungen. Im brandenburgischen Gesundheitsministerium sei man vielmehr entsetzt gewesen über die Weitergabe der Namen der Besuchskommissionsmitglieder an die Tageszeitung.

Im Mittelpunkt: Prof. Christian Bernzen

Keinen Handlungsbedarf gesehen hatte offenbar auch der bereits erwähnte Hamburger Rechtsanwalt Prof. Christian Bernzen. Der war 2007 nicht nur zum Schatzmeister der SPD-Landesorganisation Hamburg aufgestiegen, sondern war im Auftrag des Hamburger Senats auch für die „Kostensatzverhandlungen“ mit der Haasenburg GmbH zuständig und ganz nebenbei zum Vorsitzenden jener Kommission ernannt worden, die sich eigentlich um die Rechte und Interessen der Haasenburg-Heiminsassen kümmern sollte. Regelmäßige Kontrollbesuche vor Ort gehörten dazu. Nach Angaben der Hamburger Sozialbehörde handelte es sich um eine interne Kontrollkommission, „die das Land Brandenburg für die Haasenburg eingerichtet hatte“.

Dieser Aufgabe ging Bernzen bis 2012 nach. Den familiären Interessenkonflikt – Bernzens Bruder war immerhin offizieller Sprecher der Heimkette – räumte der Jurist laut „Berliner Kurier“ im Juli 2013 selbst ein. Zu diesem Zeitpunkt war Olaf Scholz schon zwei Jahre Erster Bürgermeister von Hamburg.

Bildungsministerium ließ Heime 2013 schließen

Unterdessen hatten sich die Anzeigen und Presseberichte über Körperverletzungen, Missbrauch, Drill und Psychoterror in den drei Haasenburgen längst derart gehäuft, dass die damalige brandenburgische Jugend- und Bildungsministerin Martina Münch (SPD) keinen anderen Ausweg mehr sah, als bei einer neu eingerichteten „Expertenkommission“ einen „Untersuchungsbericht“ in Auftrag zu geben, auf dessen Grundlage Münch die Betriebserlaubnis für die Heime schließlich im Dezember durch ihr Landesjugendamt widerrufen ließ.

Die Haasenburg GmbH, die ihren Geschäftsführer Mario Bavar am 27. November durch Jörg Klingohr ersetzt hatte, wehrte sich zwar per Eilantrag gegen die Schließung, doch dem wurde vom Verwaltungsgericht Cottbus im Januar 2014 nicht stattgegeben. Dieses „vorläufige Rechtsschutzverfahren“ wurde nach Angaben eines Gerichtssprechers auf Anfrage der Epoch Times im Mai 2014 „rechtskräftig beendet“.

Mitte 2014 aber habe das Klage-, also Hauptsacheverfahren unter dem Kürzel „VG 8 K 1033/14“ begonnen. Es werde seitdem „von den damit befassten Kammern im Rahmen ihrer Möglichkeiten kontinuierlich bearbeitet“, wie der Cottbuser Gerichtssprecher der Epoch Times mitteilte. „Es handelt sich allerdings um ein in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht weit überdurchschnittlich komplexes und sehr umfangreiches Klageverfahren“, betonte der Sprecher.

Hauptsacheverfahren soll 2023 eröffnet werden

Am 23. November 2017, knapp zwei Monate nach dem Amtsantritt der Kanzlergattin als brandenburgische Jugendministerin, hätte es nach Angaben der „taz“-Autorin Kaija Kutter endlich zur Verhandlungseröffnung wegen der Schließung der Heime kommen sollen.

Doch der Prozessauftakt vor dem Verwaltungsgericht war kurz vorher offiziell „im Interesse einer weiteren Sachverhaltsaufklärung“ aufgehoben worden, wie der Gerichtssprecher bestätigte. Im April 2023 habe das Gerichtspräsidium auch den Kammervorsitz neu besetzen müssen: Ein neuer „Berichterstatter [sei nun] mit der Einarbeitung in dieses Verfahren befasst“. Die zuständige 8. Kammer beabsichtige, das Verfahren für eine mündliche Verhandlung noch 2023 neu zu terminieren.

Die rund 70 Verfahren gegen beschuldigte Mitarbeiter der Haasenburg GmbH hatten nach Röpers Artikel bislang lediglich zu einer einzigen Bewährungs- und Geldstrafe wegen mehrfachen sexuellen Missbrauchs einer Fünfzehnjährigen geführt.

Opfer warten auf Klarheit

Liegt die lange Zeit bis zur „Sachverhaltsaufklärung“ vielleicht doch daran, dass nach einem Urteil endlich auch Rechtssicherheit über Entschädigungsleistungen für traumatisierte Ex-Heimbewohner bestehen könnte und damit viel Geld fließen müsste, wie die „taz“ spekuliert? Geld, auf das die Opfer seit zehn Jahren warten?

Oder will irgendjemand verhindern, dass bei Zeugenvernehmungen vor Gericht noch mehr ans Tageslicht kommen könnte als die Todesfälle, Fesselungen, Armbrüche und Psychoterroraktionen, die längst aktenkundig sind, aber selten bestraft wurden? Gibt es vielleicht Kräfte, die eine öffentliche Aufarbeitung hinauszögern wollen, um die Seilschaften rund um die Haasenburg-Skandale zu schützen? Und hier schlägt Röper wieder den Bogen zur Ehefrau des Kanzlers.

Britta Ernst war nach ihrer Mitgliedschaft in der Hamburgischen Bürgerschaft (1997 bis 2011) zunächst zur Kultusministerin Schleswig-Holsteins (2014 bis 2017) aufgestiegen, um am 28. September 2017 nach Brandenburg zu wechseln. Als Ministerin für Bildung, Jugend und Sport erbte sie automatisch die politische Zuständigkeit für den Haasenburg-Fall.

Spiel auf Zeit?

Nach deutschem Recht, so Röper, müssten die Akten eines Unternehmens zehn Jahre lang aufbewahrt werden. Im Fall der Haasenburg-Unterlagen läge das Ablaufdatum dieser Pflicht folglich im Dezember 2023. Nach Informationen einer anonymen Aktivistengruppe, die Röper bei seinen Recherchen behilflich sei, sei allerdings „der März 2023 das Schlüsseldatum, denn da endete die Aufbewahrungsfrist der Akten des Haasenburg-Standortes Fürstenwalde. Seitdem können die wichtigen Akten vernichtet werden“, schreibt Röper.

Wurden sie es auch? Anfragen der Epoch Times an das Jugendministerium und das Landesjugendamt Brandenburg blieben bislang unbeantwortet. Auch von Prof. Dr. Dr. Christian Bernzen gab es bislang keine Auskunft.

Britta Ernst reichte am 17. April 2023 ihren Rücktritt ein – offiziell wegen Streitigkeiten und mangelnder Unterstützung beim Thema Lehrermangel, wie unter anderem das ZDF berichtete. Nun liegt die Verantwortung bei ihrem Nachfolger, dem früheren Bildungsstaatssekretär Steffen Freiberg (SPD).

Röper spekuliert, dass der Zeitpunkt des Ernst-Rücktrittes „eventuell etwas damit zu tun haben könnte, dass eine wichtige Aufbewahrungsfrist für Unterlagen geendet hatte, die für ihren Ehemann, den Bundeskanzler Olaf Scholz, möglicherweise peinlich hätten sein können.“



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