Vorwürfe, Razzia, Triumph: Ansgar Schledde neuer AfD-Chef in Niedersachsen

Trotz zwei Razzien in niedersächsischen AfD-Büros hat der Landesverband den einzigen Kandidaten Ansgar Schledde zu seinem neuen Landeschef gewählt. Gegen Schledde steht der Verdacht im Raum, Listenplätze verkauft zu haben.
Ansgar Schledde, der Vorsitzende des niedersächsischen AfD-Landesverbands
Das Archivfoto zeigt AfD-Co-Parteichef Tino Chrupalla bei einem früheren Landesparteitag des Landesverbands Niedersachsen in Celle.Foto: Julian Stratenschulte/dpa
Von 23. April 2024

Am Samstag, 20. April 2024, haben die Delegierten des AfD-Landesverbands Niedersachsen den Bauunternehmer Ansgar Georg Schledde in Unterlüß, Landkreis Celle, zu ihrem neuen Vorsitzenden gewählt. Knapp 80 Prozent stimmten für ihn. Zuvor hatte der 46-Jährige für die Partei die Rollen des stellvertretenden Landes- und Fraktionschefs bekleidet.

Schledde war als einziger Kandidat angetreten. Sein Vorgänger, der Bundestagsabgeordnete Frank Rinck, entschied laut NDR kurzfristig, nach zwei Jahren an der Spitze des Landesverbands nicht noch einmal zu kandidieren.

In zwei Jahren vom Abgeordneten zum Landesparteivorsitzenden

In den vergangenen Jahren hatte es bei der AfD Niedersachsen immer wieder Querelen gegeben. Direkt nach seiner Wahl erklärte Schledde gegenüber dem NDR, die Partei weiter einigen und professionalisieren zu wollen, um im Fall einer Regierungsbeteiligung vorbereitet zu sein. Der Unternehmer war nach eigenen Angaben erst 2016 in die Kommunalpolitik gegangen. Nach Informationen aus seinem Landtagsporträt schaffte er es im Oktober 2022 erstmals über die Liste ins Landesparlament.

Sollten sich allerdings die Vorwürfe bewahrheiten, die gegen Schledde im Raum stehen, könnte seine Parteikarriere noch schneller ein Ende finden, als sie begonnen hat. Denn die Polizei geht davon aus, dass Schledde heimlich Geld genommen haben könnte, um Parteikollegen aussichtsreiche Listenplätze zu verschaffen.

Verstoß gegen Parteiengesetz? Schledde: „Hab’ ein reines Gewissen“

Schledde solle „Spenden auf einem privaten Konto vereinnahmt und nicht unverzüglich an die Partei weitergeleitet“ haben, wie Kathrin Söfker, die erste Staatsanwältin Hannovers, bereits in der vergangenen Woche gegenüber dem NDR erklärte. Insgesamt gehe es um rund 48.000 Euro. „Die Gelder tauchen nicht im Rechenschaftsbericht der AfD auf“, so Söfker wenige Tage vor dem Landesparteitag. Damit könnte es sich laut NDR um einen Verstoß gegen Paragraf 31d des Parteiengesetzes (PartG) handeln. Bis zu einem Gerichtsurteil gilt die Unschuldsvermutung.

„Eins kann ich euch versichern: Ich hab’ ein reines Gewissen. Ich hab’ mir nichts zuschulden kommen lassen“, erklärte Schledde am Samstag auf der Bühne in Unterlüß. Die Buchungen auf seinem Konto seien mit Juristen besprochen worden. Nun werde man alles aufklären, „und zwar vollumfänglich und transparent“, versprach der neue Landesparteichef vor den Kameras des NDR.

Protest von AfD-Gegnern – Attacke auf Krah erfolglos

Vor der Tür demonstrierten laut NDR rund 2.000 AfD-Gegner gegen Partei und Veranstaltung, darunter Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), des Flüchtlingsrats Niedersachsen und der Gedenkstätte Buchenwald. Sie hätten sich unter anderem an der Terminierung des Parteitags gestört, weil der Landesverband aus ihrer Sicht gezielt „Hitlers Geburtstag“ dafür ausgewählt habe. Die Partei habe darauf verwiesen, dass auch schon andere Parteien einen 20. April für ihre Zusammenkünfte verwendet hätten, so der NDR.

Am Rande des Treffens habe ein Demonstrant versucht, den EU-Spitzenkandidaten Maximilian Krah anzugreifen. Krah war als Gastredner aufgetreten. Die Polizei habe die Attacke gegen den AfD-Politiker aber auf Kosten eines Tritts abwehren können.

Chrupalla und Rinck ebenfalls für „lückenlose Aufklärung“

Der ebenfalls in Unterlüß anwesende AfD-Co-Bundessprecher Tino Chrupalla kündigte gegenüber dem NDR eine „lückenlose Aufklärung“ der Anschuldigungen um Schledde und sein Privatkonto an. Sollten die Vorwürfe zutreffen, gebe es für die mutmaßlich Involvierten keinen Platz mehr in der AfD, stellte Chrupalla klar. Er gehe allerdings davon aus, dass die Vorwürfe „ausgeräumt werden können“.

Der bisherige AfD-Landesvorsitzende, der Bundestagsabgeordnete Frank Rinck, hatte der Staatsanwaltschaft im Namen des AfD-Landesverbands bereits in der vergangenen Woche „vollste Zusammenarbeit und Transparenz zugesichert“. Zugleich aber werde man sich „mit allen rechtsstaatlichen Mitteln“ gegen die Anschuldigungen wehren, zitierte der NDR Rinck: „Die Vorwürfe, die gegen meinen Stellvertreter Ansgar Schledde erhoben werden, entbehren jeder Grundlage“, hieß es laut NDR in einer Pressemitteilung Rincks. Es handele sich um „kalten Kaffee“.

Razzia nach Vorwürfen von Ex-Parteikollege

Am Mittwoch, 17. April, hatten Einsatzkräfte der Polizei nach Informationen des NDR gegen 9 Uhr am Morgen die AfD-Landesparteizentrale in Hannover und das Büro des Kreisverbands Ems-Vechte durchsucht, um Beweismaterial zu sichern. Noch am selben Tag habe der Landtag mehrheitlich die Immunität Schleddes aufgehoben. Der zu diesem Zeitpunkt Noch-Vize des Landesverbands sei selbst nicht im Parlamentssaal gewesen, habe sich für seine Abwesenheit „entschuldigen“ lassen.

Nach Aussagen des ehemaligen AfD-Abgeordneten Christopher Emden soll Schledde laut NDR Listenplätze „verkauft“ haben, und zwar sowohl anlässlich der Bundestagswahl 2021 als auch zur Landtagswahl 2022. „Mir wurde damals angeboten, einen Betrag von 4.000 Euro zu zahlen, um die Unterstützung für die Aufstellung zur nächsten Landtagswahl zu bekommen“, habe der Jurist Emden gegenüber dem NDR Niedersachsen zu Protokoll gegeben. Das Geld hätte er entweder bar oder auf Schleddes Privatkonto zahlen sollen.

Emden habe sich entschieden, die seiner Ansicht nach „schwarze Kasse“ öffentlich zu machen, worauf eine Unterlassungsklage gegen ihn erfolgt sei. Das Landgericht Verden hat Emdens Aussagen im März 2024 allerdings für glaubhaft erklärt. Schledde habe „dagegen Rechtsmittel eingelegt“, schreibt der NDR. Die Razzien konnte er damit nicht verhindern.

Wie der NDR weiter berichtet, soll Emden bereits vor zwei Jahren entsprechende Vorwürfe gegen Schledde erhoben haben. Daraufhin habe die Staatsanwaltschaft Osnabrück Ermittlungen gegen den Beschuldigten wegen des Verdachts auf Untreue aufgenommen. Diese seien jedoch eingestellt worden.

Neun Mandatsträger sollen Gelder transferiert haben – „nicht für Parteizwecke gedacht“

Nach Dokumenten, die dem NDR vorlägen, hätten die AfD-Bundestagsabgeordneten Frank Rinck, Thomas Erhorn, Jörn König und Dirk Brandes Zahlungen „mit klarem AfD-Bezug“ auf das private Konto Schleddes geleistet. Auch die Landtagsabgeordneten Klaus Wichmann, Jens Brockmann, Harm Rykena, Dennis Jahn und Ansgar Schledde selbst hätten Geld zu den 48.000 Euro beigesteuert, schreibt der NDR. Die Überweisungsbeträge hätten jeweils „zwischen mehreren Hundert und mehreren Tausend Euro“ gelegen. Im Betreff seien Worte wie „Kriegskasse“, „K-Kasse Mandatsträger“, „Aufstellungsversammlung“, „eventueller Parteitag“ und „Wahlkampf“ aufgetaucht.

Nach einer gemeinsamen Stellungnahme von allen neun genannten niedersächsischen AfD-Abgeordneten seien ihre Gelder lediglich „für private politische Treffen und private Reisekosten“ auf das Konto Schleddes transferiert worden, nicht aber „für Parteizwecke“. Deshalb sei darüber auch nichts im Rechenschaftsbericht der Partei zu lesen, hätten sie argumentiert. Dies zu tun, wäre aus Sicht der neun Parlamentarier nämlich „sachlich falsch und rechtlich strafbar“ gewesen.

Reaktion der übrigen Landtagsfraktionen

Nach den Razzien reagierten Vertreter der übrigen drei Fraktionen im Landtag Hannover empört, wie der NDR berichtete. „Das passt in ein Gesamtbild einer Partei, die sich um unsere Demokratie nicht schert und die ganz offensichtlich auch ein Problem hat mit Gesetzen, mit Grundlagen und mit Rechtssätzen, die wir haben“, habe Grant Hendrik Tonne gesagt, der Fraktionsvorsitzende der SPD. Er glaube nicht an eine „Schmutzkampagne“, denn immerhin basiere die Arbeit der „Gerichte und Staatsanwaltschaften […] auf harten Fakten“. Die SPD stellt mit Stephan Weil den amtierenden Ministerpräsidenten in Niedersachsen. Er steht einer rot-grünen Regierung vor.

Anne Kura, die Fraktionschefin der Grünen im Landtag Hannover, befürchte, dass Schledde „gezielt und systematisch gegen die Regeln unserer Demokratie verstoßen“ haben könnte. Es habe in der Geschichte des Landtags keine Fraktion gegeben, gegen die „in so kurzer Zeit so viele Ermittlungen geführt worden“ seien wie gegen die AfD, so Kura laut NDR.

Marco Mohrmann, als Christdemokrat Angehöriger der mit Abstand größten Oppositionspartei im Landtag, befürchte, dass „das Vertrauen der Menschen in das Parlament“ beschädigt worden sein könnte. Dies gelte es zu verhindern. Sollte sich die Vorwürfe gegen Schledde bewahrheiten, spräche dies „gegen alle Prinzipien eines demokratischen Verfahrens, wie man an einen Listenplatz kommt“.

FDP will Neuwahl

Die beiden FDP-Politiker Marco Genthe und Alexander Grafe hätten bereits ein „Wahlprüfungsverfahren vor dem niedersächsischen Staatsgerichtshof“ in Bückeburg beantragt. Sie gingen davon aus, dass der niedersächsische Landtag 2022 vor dem Hintergrund der Anschuldigungen illegal zustande gekommen sein könnte. Der Gerichtshof habe bestätigt, dass es eine Verhandlung geben werde. Diese aber könne frühestens im Herbst 2024 beginnen. Die FDP war 2022 knapp unter fünf Prozent geblieben und dadurch aus dem niedersächsischen Landtag geflogen.



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion