Paris hält den Atem an: Algerien protestiert

"Algerien wagt die Revolte - und es ist nötig, sich der Realität zu stellen: Ob Frankreich es will oder nicht: Es steht hier in der ersten Reihe", fasst die Pariser Zeitung "Le Figaro" zusammen. In Algerien ist kein Ende der Proteste gegen die neuerliche Kandidatur von Machthaber Bouteflika in Sicht.
Titelbild
"System get out, free Algeria" – Protestkundgebung gegen eine fünfte Amtszeit des algerischen Präsidenten am 24. Februar 2019 auf dem Place de la Republique in Paris.Foto: STEPHANE DE SAKUTIN/AFP/Getty Images
Epoch Times4. März 2019

„Paris hält den Atem an“, schreibt die Pariser Zeitung „Le Figaro“. Sie macht sich Gedanken darüber, wie Frankreich auf die Proteste in der ehemaligen Kolonie Algerien reagieren sollte: „Das Prinzip der Nicht-Einmischung ist ein bequemes diplomatisches Instrument. Und es ist verständlich: Die enge gemeinsame Geschichte verpflichtet Frankreich zu Zurückhaltung, wenn es um Kommentare zur Lage in Algerien geht. Die geringste Abweichung von diesem Prinzip würde als Neokolonialismus verstanden werden.“

Und weiter: „Und dennoch: Paris hält den Atem an. Dass das algerische Volk ein neues Kapitel aufschlagen will, ist logisch. Die Jugend dürstet nach sozialer Gerechtigkeit und nach Freiheit von einem korrupten und verfilzten Regime. (…) Algerien wagt die Revolte – und es ist nötig, sich der Realität zu stellen: Ob Frankreich es will oder nicht: Es steht hier in der ersten Reihe.“

Die Proteste in Algerien betreffen Frankreich – denn rund eine Million Algerier besitzen nach Angabe der „Kronen-Zeitung“ die französische Doppelstaatsbürgerschaft.

Sie haben damit das Recht auf die Einreise in den Schengenraum. Andere Quellen sprechen von 450.000 bis 900.000 Algerien-Franzosen. Auch in Paris kam es bereits zu Protesten gegen die algerische Führung.

Kein Ende der Proteste in Sicht

In Algerien ist gleichzeitig kein Ende der Proteste gegen die neuerliche Kandidatur von Machthaber Abdelaziz Bouteflika in Sicht. Das Zugeständnis des greisen Staatschefs, er werde im Fall seiner Wiederwahl sein Mandat vorzeitig aufgeben und Neuwahlen ansetzen, besänftigte seine Kritiker am Montag nicht. Schon am späten Sonntagabend gingen in der Hauptstadt Algier hunderte Studierende auf die Straße und forderten den Rückzug des 82-jährigen Präsidenten.

In der Nähe des Universitätsgeländes riefen sie auch noch nach Einbruch der Dunkelheit Parolen wie „Bouteflika hau ab!“ Die Polizei setzte Wasserwerfer ein, um die Demonstranten vom Sitz des Verfassungsrats fernzuhalten. Dort hatten Bewerber bis Mitternacht (Ortszeit) ihre Kandidatur für die Präsidentschaftswahl am 18. April einreichen können.

Kundgebungen gegen den Staatschef wurden auch aus zahlreichen anderen Städten wie Annaba, Oran und Constantine gemeldet. Der gebrechliche Bouteflika hatte seine Kandidatur für eine fünfte Amtszeit am Sonntag beim Verfassungsrat einreichen lassen.

Spätestens nach dem Freitagsgebet kommt es zu weiteren Protesten

Am Montag brodelte es unter den Bouteflika-Gegnern. Viele stellten sich auf weitere Proteste am kommenden Freitag ein, dem Tag der Gebete in den Moscheen.

Der 69-jährige Rentner Mohammed empört sich in Algiers Arbeiterviertel Bab el-Oued über Bouteflikas Kandidatur. Diese sei eine „Beleidigung des Volkes“. „Man will uns vorgaukeln, dass er der Messias ist, ein Prophet, der als einziger das Land retten kann.“ Aus Protest dagegen werde er am Freitag „erstmals“ demonstrieren.

Der 22-jährige Arbeitslose Karim nimmt kein Blatt vor den Mund:

Bouteflika will uns verarschen. Wir haben gesagt ‚Nein ist nein!‘ ‚Wir‘ – das ist das Volk, das sind 42 Millionen Menschen. Es ist nicht eine Handvoll (Anführer), die uns ihr Gesetz aufzwingt.“

Mediencoup um Nekkaz

Neben Bouteflika ließ sich unter anderen der pensionierte General Ali Ghediri für die Präsidentenwahl registrieren. Der bei vielen jungen Menschen beliebte Geschäftsmann Rachid Nekkaz kündigte ebenfalls seine Kandidatur an. Allerdings präsentierte sich beim Verfassungsrat vor den Kameras und Fotografen nicht er, sondern sein gleichnamiger Cousin, ein Mechaniker. Damit landete Nekkaz, der auf Facebook mehr als 1,5 Millionen Follower hat, einen veritablen Mediencoup.

Auf seiner Facebookseite hieß es am Sonntagabend, er sei von der Polizei entführt worden. Am Montagmorgen erklärte er dann in dem sozialen Medium, nach der Weigerung des Verfassungsrats, seine Kandidatur anzunehmen, habe ihn sein Vetter ersetzt. Im Fall von dessen Wahl werde sofort der Posten eines Vizepräsidenten geschaffen. Diesen werde er einnehmen und nach dem Rücktritt seines Cousins sofort Staatschef werden.

Eine Marionette an der Macht

Bouteflika regiert das nordafrikanische, leicht dem Sozialismus angenäherte Land seit fast 20 Jahren autoritär mit einer Mischung von französischem und islamisches Recht. Derzeit befindet er sich in einer Genfer Klinik. Am Sonntag verlas das Staatsfernsehen einen Brief des Präsidenten. Wenn er bei der Wahl im Amt bestätigt werde, solle eine „nationale Konferenz“ einen Termin für eine vorgezogene Wahl festsetzen, bei der er nicht mehr antreten werde, hieß es. Zeiträume wurden nicht genannt.

Weiter hieß es in dem Brief: „Ich habe zugehört und die Rufe aus den Herzen der Demonstranten vernommen und insbesondere der tausenden jungen Menschen, die an mich wegen der Zukunft unserer Heimat appelliert haben.“ Bouteflika hat sich seit einem Schlaganfall vor sechs Jahren weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen und sitzt im Rollstuhl. Kritiker halten den gebrechlichen Staatschef daher für eine Marionette seines Umfeldes.

Die Hälfte der algerischen Bevölkerung ist jünger als 30 Jahre. In dem Maghreb-Staat gibt es trotz des Ölreichtums große soziale Probleme: Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Korruption grassiert. Das Land wurde nach 1945 von der Sowjetunion und auch von China unterstützt.

Am 10. Mai 2012 wurden in Algerien die ersten Parlamentswahlen nach dem arabischen Frühling abgehalten, schreibt Wikipedia. Dabei erhielt die regierende Nationale Befreiungsfront mit 17,35 % den höchsten Stimmanteil und 221 Sitze im Parlament. Die Nationale Demokratische Sammlung erzielte 70, die islamistische Allianz Grünes Algerien (aus Gesellschaftsbewegung für Frieden, Ennahda und Bewegung für Nationale Reform) 47, die Front Sozialistischer Kräfte 21, die Unabhängigen 19, die Arbeiterpartei 17 und Sonstige 78 Sitze. (afp/ks)



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