„Dreiste Verbrauchertäuschung“ – die Realität hinter Gastarifen mit Öko-Anstrich

Die Rechercheplattform „CORRECTIV“ wirft mehr als hundert deutschen Versorgern vor, Öko-Gastarifen angeboten zu haben, die den Namen nicht verdient hätten. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) will nun gegen 15 Anbieter vorgehen.
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Abgeholzte Fläche des Amazonas in Brasilien. Symbolbild.Foto: Martina Farmbauer/dpa/dpa
Von 17. April 2024

Viele Bürger mögen davon ausgehen, für Klimaschutz ohnehin schon ausreichend an Preissteigerungen hinnehmen zu müssen, oder fühlen sich durch Einschränkungsmahnungen sogar belästigt. Menschen, die noch tiefer für den Klimaschutz ins Portemonnaie greifen möchten, können Gastarife mit Öko-Versprechen abschließen. Wie die Rechercheplattform „CORRECTIV“ nun herausfand, ist dies eine trügerische Hoffnung.

Gastarife als „klimaneutral“ beworben – ohne tatsächliche Reduktionseffekte

Wie die Plattform auf dem Wege einer Recherche zutage förderte, sollen nicht weniger als 116 von 150 Energieversorgern in Deutschland, häufig Stadtwerke, untaugliche Kompensationsprojekte unterstützt haben. Seit 2011 sollen sie CO₂-Gutschriften über faule Zertifikate erworben haben, die keine oder nur unzureichende Reduktionseffekte gehabt hätten. Zugleich hätten sie ihre Gastarife auf dieser Grundlage als „klimaneutral“ beworben.

Die Gutschriften wirken gleichsam als Ablass für diejenigen, die auf diese Weise trotz des Heizens mit Gas die Sicherheit haben wollen, etwas fürs Klima zu tun. Sie bezahlen einen Aufpreis von einigen Cent auf ihre Kilowattstunde und verlassen sich darauf, dass dieses in Klimaschutzprojekte fließt. Besonders beliebt sind dabei Projekte zum Schutz des tropischen Regenwaldes oder für erneuerbare Energien in weit entfernten Ländern.

Tatsächlich sollen die Versorger Gutschriften aus Projekten erworben haben, die „laut wissenschaftlicher Einschätzung nicht plausibel nachweisen können, dass Emissionen tatsächlich reduziert oder eingespart wurden“. Betroffen seien nicht weniger als zwei Drittel von insgesamt 16 Millionen Gutschriften. Die meisten davon seien bei Anbietern wie Verra oder Gold Standard erworben worden.

Unter anderem habe sich 2023 die Rhein Energie AG mehr als 5.000 CO₂-Gutschriften aus dem Karcham-Wangtoo-Projekt in Indien als Kompensation für den Tarif „Business-Öko“ beschafft. Für den Damm wurden jedoch Wälder abgeholzt, ein nahe gelegener Fluss ausgetrocknet, Häuser zerstört und Weideland geopfert. Auch sei es bereits zu Überschwemmungen und Erdrutschen mit Todesopfern durch fehlende Schutzwälder gekommen.

Dienstleister sieht Ablasssystem der „Kompensation“ selbst kritisch

Es ist nicht das erste Mal, dass es Beanstandungen im Zusammenhang mit Kompensationsprojekten gibt. So sollen einem Bericht mehrerer Medien im Februar 2023 zufolge sogar die Vereinten Nationen selbst „unwirksame Billigzertifikate“ und „Phantomgutschriften“ vermittelt haben.

Dem nunmehrigen „CORRECTIV“-Bericht zufolge sollen generell nur 12 Prozent der auf dem Markt verfügbaren CO₂-Gutschriften zu einer „echten Emissionsreduzierung“ führen. Dies hätten die ETH Zürich und die Universität Cambridge auf dem Wege einer Vorabpublikation mitgeteilt. Die Konsequenz sei, dass seit 2011 rund zehn Millionen Tonnen CO₂ „mit sehr großer Wahrscheinlichkeit nicht eingespart oder reduziert“ worden seien. Dies entspreche dem Verbrauch aller Primärenergien, den der Freistaat Thüringen 2020 zu verzeichnen gehabt habe.

Die Anbieter Verra und Gold Standard, die als gemeinnützige Organisationen fungieren, sind sich keiner Schuld bewusst. Sie betonen, sich auf „die neuesten und besten wissenschaftlichen Erkenntnisse“ bei Klimaprojekten zu stützen oder das Gebaren beteiligter Unternehmen insgesamt im Auge zu haben.

Gold Standard befürworte jedoch seit mehreren Jahren eine „Abkehr vom Konzept der Kompensation“. Laufende Projekte wollen jedoch beide Anbieter für den Rest ihrer Laufzeit aufrechterhalten.

DUH sieht „dreiste Verbrauchertäuschung“ bei Gastarifen

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat nun eigenen Angaben zufolge deutschlandweit 15 Gasversorger dazu aufgefordert, ihre „verbrauchertäuschende Werbung für angeblich klimaneutrales Erdgas zu beenden“. Diesbezüglich sollten sie eine Unterlassungserklärung erteilen. Betroffen sind unter anderem Stadtwerke in Landshut, Neu-Isenburg, Bochum und Oberursel – oder Unternehmen wie die E.ON Energie Deutschland GmbH oder die Teutoburger Energie Netzwerk eG.

Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch beschuldigt die Betreffenden, diese „gaukeln ihnen [den Kunden] klimaneutrale Ökobilanzen ihrer Gastarife vor, die es in der Realität nicht gibt“. Werbeaussagen der Gasversorger würden „in keiner Weise transparent belegt“. Es würde häufig nicht einmal belegt, welche konkreten Emissionen im Kontext der Erdgastarife kompensiert würden. Die nunmehr in Gang gesetzten Verfahren ob der „dreisten Verbrauchertäuschung“ seien erst der Anfang:

„Wir werden in diesem Jahr weitere irreführende Werbung mit Kompensationsprojekten von Gasversorgern mit Rechtsverfahren verfolgen.“

„Klimaverantwortung“ soll vor allem mit Verzicht einhergehen

Umweltökonomin Claudia Kemfert sieht in den Kompensationsdienstleistungen ohnehin nur einen „Versuch der Gasindustrie, die fossilen Geschäftsmodelle länger aufrechtzuerhalten“. Es gebe kein wirklich klimaneutrales Erdgas, selbst unter Zugrundelegung von Kompensationsprojekten könne dieses nicht emissionsfrei sein.

Auch das Umweltbundesamt (UBA) weist darauf hin, dass Kompensation „nur einen Bruchteil dieser Emissionen tatsächlich ausgleichen“ könne und das auch nur kurzfristig. Der Milliardenmarkt mit dem schlechten Gewissen schaffe „keinen Anreiz, weniger Zertifikate auszugeben“, meint auch Benedict Probst vom Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb in München.

Der Goldstandard des Klimaschutzes bleibe daher der Verzicht. Dies betont auch Martin Cames vom Öko-Institut in Berlin. Man könne zwar auch seiner „Klimaverantwortung“ gerecht werden, indem man Klimaschutzprojekte bis zum „angemessenen Preis“ für die Tonne CO₂ unterstütze. Ein Flug von Frankfurt am Main nach Gran Canaria müsse demnach für zwei Erwachsene etwa 300 US-Dollar kosten. Am Ende des Tages sei aber „weniger Konsum der beste Klimaschutz“.



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