Das sind die größten Risiken für das globale Finanzsystem

Wie ist es um das globale Finanzsystem bestellt? Diese Frage stellen sich nicht nur die weltweiten Finanzeliten. Sie sehen im Moment deutlich mehr Risiken als Chancen an den Märkten. Keine optimistischen Aussichten. Wo liegen aber genau die Gefahren?
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Handel an der Wall Street. Banken und Schattenbanken sind für den IWF im Moment das größte Risiko für das globale Finanzsystem.Foto: Johannes EISELE / AFP / Getty Images
Von 29. November 2023

Anfang November fand die erste große Konferenz internationaler Spitzenbanker und prominenter Investoren seit dem Terrorangriff der Hamas statt. Die Hongkong Monetary Authority (HKMA) lud zu ihrem „Global Financial Leaders Investment Summit“. Die HKMA ist Hongkongs Währungsamt und damit so etwas wie Hongkongs Zentralbank. Der Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing war ebenso anwesend wie Colm Kelleher, Chef der Schweizer UBS, oder Bob Prince vom Hedgefonds „Bridgewater“. Eines wurde deutlich: Für Optimismus gibt es in der Branche keinen Grund.

Vieles, was auf diesem Treffen Konsens war, deckte sich mit dem, was der Internationale Währungsfonds (IWF) gerade erst Mitte Oktober in seinem halbjährlichen Finanzstabilitätsbericht veröffentlicht hatte.

Die Bankenkrise aus dem Frühjahr 2023 ist noch nicht so lange her. Damals brachen vor allem Banken in den USA zusammen. Aber auch die Schweizer Credit Suisse geriet im März ins Taumeln. Ende letzten Jahres zogen Kunden mehr als 110 Milliarden Schweizer Franken ab, weil die Sorge um die finanzielle Gesundheit des Unternehmens zunahm. Um dem Zusammenbruch zu entgehen, floh die Bank in die Arme ihres Lokalrivalen UBS. Die übernahm die Credit Suisse. Der befürchtete Dominoeffekt am Bankenmarkt blieb am Ende aus. Der Markt schöpfte wieder etwas Hoffnung, dass die Inflation schnell zurückgehen könnte und die Weltwirtschaft trotz der Zinserhöhung weich landet.

Diesen voreiligen Optimismus teilt der IWF-Bericht allerdings nicht. „Die Risiken für die Finanzstabilität bleiben erhöht, wie schon im April“, heißt es in dem Bericht. Im April hatte der IWF den letzten Bericht veröffentlicht.

Schwache Banken könnten Beben auslösen

Aus der Sicht des Währungsfonds gibt es mehrere Gefahrenherde, die den Finanzmarkt durchrütteln könnten oder zu hohen Verlusten für Finanzinstitute führen könnten.

Auch wenn die Gefahr der Bankenkrise aus dem Frühjahr erst einmal vorübergezogen zu sein scheint, ist die Lage weniger stabil, als man denken könnte. So hat der Währungsfonds einen globalen Stresstest unter 900 Banken durchgeführt. Dabei stand im Mittelpunkt, wie gut die Institute mit den aktuellen Konjunkturprognosen zurechtkommen. Weiter interessierte den Fonds, wie die Banken für eine eventuelle Stagflation, also eine Kombination aus Wirtschaftsabschwung und Inflation, gerüstet sind. Das Ergebnis lässt aufhorchen: In einem sanfteren, an den Konjunkturprognosen orientierten Szenario fielen etwa 55 Kreditinstitute durch schwache Ergebnisse auf. Deutlich schlechter gerüstet sind die Banken im Stagflationsszenario: Hier lieferten 215 Banken schlechte Ergebnisse ab. Es waren nicht nur kleine Banken, die in so einem Szenario unter Druck geraten würden. Davon betroffen waren auch weltweit systemrelevante Banken. Im Klartext: 42 Prozent der globalen Vermögenswerte der Bankenbranchen könnten in einer Stagnation ins Schleudern kommen.

Schwach galt für den IWF ein Ergebnis, wenn die Eigenkapitalquote des Instituts unter die aufsichtsrechtliche Mindestvorgabe von sieben Prozent rutschte oder wenn sich die Kapitalquote um mehr als fünf Prozent verringerte.

Schwache Banken waren im Test auf der ganzen Welt verteilt. Vor allem in Industrieländern fanden sich solche Banken. Aber auch in China und anderen Schwellenländern waren schwache Banken vertreten. Sie alle hatten mehrere Gemeinsamkeiten, etwa eine geringe Profitabilität sowie eine geringe Börsenbewertung.

Für die Finanzstabilität lauert hier aus Sicht des IWF eine Gefahr, weil es bei Bankenkrisen oft zu Dominoeffekten kommt, bei denen die Krisenbanken weitere Institute ins Straucheln bringen.

Bankenaufseher, so die Forderung des IWF, sollen zukünftig stärker darauf achten, dass Banken genug Puffer für ihre Risiken bilden. Weiter fordert der Währungsfonds strengere Vorschriften, insbesondere für Liquiditäts- und Zinsrisiken sowie für die Abwicklung der Banken.

Bestehende Regeln sollen aus Sicht des IWF strenger ausgelegt werden. Weiter soll auch bei international getroffenen Vereinbarungen noch einmal nachgeschärft werden, rät der IWF.

Schattenbanken als Hauptrisiko

Doch nicht nur bei den Banken liegt die Gefahr für das nächste Beben im Finanzsystem. UBS-Chef Kelleher fand in Hongkong deutliche Worte, aus welcher Richtung noch Gefahr drohen könnte. Ihm bereiten die sogenannten Schattenbanken, die im Fachjargon als „Non-Bank Financial Intermediaries“ (NBFIs) bezeichneten Institutionen „große Sorgen“. Dabei geht es um Unternehmen an den Finanzmärkten, die ähnliche Geschäfte wie Banken machen, allerdings nicht so streng reguliert werden. Das können unter anderem Geldmarkt- und Hedgefonds, Private-Equity-Gesellschaften, Kreditfonds oder Kreditversicherer sein. Auch die großen Vermögensverwalter BlackRock und Vanguard fallen in diese Kategorie.

„Ich denke, die nächste Krise, wenn sie ausbricht, wird in diesem Sektor entstehen“, sagte Kelleher auf einem der Panels in Hongkong. Inzwischen schauten die Finanzmarktregulierer sehr genau auf dieses Problem. Laut Kelleher gebe es seit 2019 ernst zu nehmende Warnungen. Nach Schätzung des UBS-Chefs entfällt inzwischen etwa die Hälfte des globalen Finanzvolumens auf NBFIs.

Diese Annahme deckt sich mit den Daten des Finanzstabilitätsrats (FSB), der für 20 der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer das globale Finanzsystem im Blick behält. Von 2004 bis 2021 hat sich das Volumen der Schattenbanken laut den FSB-Daten auf knapp 240 Billionen Dollar mehr als verdreifacht. Das entspricht 47 Prozent des weltweiten Finanzvermögens. Im Euroraum hat sich der Schattenbanksektor seit der Finanzkrise 2008/09 auf rund 31 Billionen Euro mehr als verdoppelt. Deshalb hatte EZB-Vizepräsident Luis de Guindos im Mai dieses Jahres bei der „3rd Annual European Financial Integration Conference“ in Frankfurt eine deutlich schärfere Regulierung der Schattenbanken gefordert.

Es ist vor allem das schnell wachsende Geschäft mit privaten Kreditfonds, die sowohl kleinere Unternehmen als auch Firmenübernahmen finanzieren. Nach Angaben des Informationsdienstes „Bloomberg“ hat sich das Geschäft seit 2015 auf 1,6 Billionen Dollar verdreifacht. „Vor der Finanzkrise waren die Risiken innerhalb der Banken, jetzt liegen sie außerhalb“, warnte Jamie Weinstein vom Vermögensverwalter Pimco auf der Konferenz in Hongkong.

Große Risiken im Immobilienmarkt

Doch nicht nur Banken und Schattenbanken sind ein Risiko für die globalen Finanzmärkte. Aus Sicht des IWF ist auch die Fragilität des Gewerbeimmobilienmarktes eine „bedeutende Quelle für Kreditrisiken für die Finanzbranche“. Nicht nur Banken stecken mit vielen Krediten in der Gewerbeimmobilienbranche. Auch die weniger regulierten Finanzunternehmen wie Immobilienfonds und Versicherer tummelten sich in den letzten Jahren mit Investitionen in der Branche.

Diese Engagements in Form von Krediten sind nun gefährdet. Wirtschaftlich geht es der Branche schlecht, weil sich nach der Pandemie die Nachfrage nach beispielsweise Büroimmobilien verringert hat. Wegen der schlechten Branchenaussichten halten Banken im Moment Kredite zurück. Trotzdem müssen in den kommenden zwei Jahren viele Immobilienunternehmen umschulden. Hier könnten dann einige Unternehmen den Boden unter den Füßen verlieren.

Das Volumen der Darlehen im gewerblichen Immobilienmarkt ist nicht zu unterschätzen. In Europa beträgt der Anteil etwa zwölf Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP). In den USA sind es 18 Prozent. Der Anteil von gewerblichen Immobilienkrediten am Kreditvolumen sogenannter fauler Kredite liegt in Europa bei 30 Prozent. Vor allem kleinere und mittelgroße Banken sind laut dem IWF an solchen Krediten beteiligt. Platzen diese, kann das so manche Bank in den Abgrund reißen.

Finanzstabilität Chinas gerät ins Rutschen

Ein weiteres Risiko für die globalen Finanzmärkte stellt China dar. Dort wirkt sich die Krise am Bau- und Immobilienmarkt zunehmend auch auf die Finanzlage der Lokalregierungen aus. Investoren machen sich in letzter Zeit zunehmend Sorge um die Zahlungsfähigkeit dieser Lokalregierungen. Alleine die Pandemie hat die Verschuldung dieser Regierungen um vier Billionen Yuan (etwa 500 Milliarden Euro) in die Höhe getrieben. Auf diesen Wert kommt zumindest Bai Chongen, der Dekan der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät an der renommierten Tsinghua-Universität. Chongen gilt als einer der einflussreichsten Ökonomen in China.

Bisher haben diese Provinzregierungen über sogenannte Finanzvehikel die Infrastrukturinvestitionen und andere Investitionen ermöglicht. Diese Vehikel haben sich dazu Kredite – nicht selten von Banken – geben lassen. Sie sind dadurch nun hoch verschuldet und generieren selber kaum Einnahmen. Ihre Kreditwürdigkeit hängt vor allem vom Zahlungswillen der Provinzregierungen ab. Wollen oder können diese Regierungen nicht mehr zahlen, dann schlägt sich das in diesem Fall auch auf Banken nieder – nicht nur chinesische Banken. Hier lauert also eine Gefahr, die man im Moment nicht umfassend beurteilen kann.



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