Höfesterben und Selbstausbeutung: Kosten der Milcherzeugung sind höher als die Preise

Das Bekenntnis zur bäuerlichen Landwirtschaft ist eine Standardphrase der deutschen Politik. In Wahrheit stirbt die bäuerliche Landwirtschaft einen langsamen Tod, wie das Beispiel der chronisch defizitären Milcherzeugung zeigt.
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In Deutschland gibt es immer weniger Milchbauern - die Milchpreise decken nicht den Arbeitsaufwand.Foto: iStock
Epoch Times19. Mai 2019

Drei Jahre nach der letzten großen Milchkrise arbeiten Deutschlands Milchbauern trotz gestiegener Preise weiter defizitär. Die Kosten der Milcherzeugung sind nach wie vor höher als die Erzeugerpreise, wie Fachleute und Bauern übereinstimmend berichten.

Daher verschulden sich viele Höfe immer stärker. Branchenexperten gehen davon aus, dass sich der Konzentrationsprozess in der Landwirtschaft fortsetzt und weiter alljährlich Tausende Bauern aufgeben. Sofern die EU ihre Agrarzuschüsse wie geplant kürzt, könnte sich das Höfesterben sogar noch beschleunigen.

Der Bund deutscher Milchviehhalter (BDM) beziffert die derzeitigen Produktionskosten für konventionelle Milch auf im Schnitt etwa 43 Cent pro Kilo. Bei Biomilch sind es an die 60 Cent, sagt Sprecher Hans Foldenauer. Die Milchbranche rechnet in Kilogramm und nicht in Litern.

Die Erzeugerpreise sind niedriger: Derzeit bekommt ein Bauer nach Foldenauers Angaben im bundesweiten Schnitt von seiner Molkerei etwa 34 Cent für konventionelle Milch und zwischen 45 und 50 Cent für Biomilch. Faktisch betreiben die Milchbauern also Selbstausbeutung. Foldenauer stammt aus dem Allgäu, wo die Milchwirtschaft nach wie vor eine große Rolle spielt.

Pro Jahr hören fünf bis sechs Prozent der deutschen Milchviehbetriebe auf

„Den Strukturwandel in der deutschen Milchwirtschaft haben wir seit 70 Jahren, keine Politik hat das aufhalten können“, sagt Torsten Hemme, Direktor von IFCN, einem renommierten Forschungsinstitut für Milchwirtschaft in Kiel. „Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten wir circa 100.000 Milchbauern in Schleswig-Holstein, jetzt sind es unter 4000, und diese Zahl wird wahrscheinlich in den nächsten Jahren weiter reduzieren.“ Schleswig-Holstein ist kein Sonderfall, die Entwicklung ist überall in Europa ähnlich.

Es gibt bisher kein Land, das diesen Trend aufgehalten hat, auch nicht die Schweiz oder Norwegen, die sehr hohe Subventionen zahlen.“

Die Faustformel: Pro Jahr hören etwa fünf bis sechs Prozent der deutschen Milchviehbetriebe auf, „also alle zehn Jahre etwa die Hälfte“, wie Hemme sagt. „Die verbleibenden Betriebe wachsen dafür um etwa fünf bis zehn Prozent pro Jahr. Das ist die andere Seite der Entwicklung, und ich bin immer dafür, beide Seiten zu sehen.“

Seit den Sechzigerjahren hat sich der durchschnittliche deutsche Milchbauer von damals 12 Kühen pro Betrieb auf heutzutage etwa 65 vergrößert. Dabei gibt es große regionale Unterschiede: Die meisten Milchbauern gibt es nach wie vor in Bayern, mit durchschnittlich etwa 30 Tieren. Im Norden sind die Höfe entsprechend größer.

Höfe können ihre Kosten nicht vollständig decken

„Wir haben seit 2008 stark schwankende Erzeugerpreise“, sagt Claus Schnakenberg, ein Agrarberater und Milchexperte im Bremer Umland. „Das Problem ist, dass die Betriebe im Schnitt über die letzten fünf Jahre keine Vollkostendeckung erreichen.“ Die Folge: „Der Verschuldungsgrad steigt“, sagt Schnakenberg. „Wenn die Erzeugerpreise so niedrig sind wie 2016, bekommen viele Betriebe Liquiditätsprobleme.“

Die Einkommen der Milchbauern sind entsprechend niedrig: „Bei einem Betrieb mit 80 Kühen komme ich auf einen Stundenlohn von etwa 10 Euro“, sagt IFCN-Direktor Hemme. „Das Einzige, was den Strukturwandel aufhalten könnte, wäre eine erhebliche Wirtschaftskrise mit einer Halbierung der Löhne in Deutschland. Dann wären die Einkommen in der Landwirtschaft wieder konkurrenzfähig.“

Von Seiten der Politik bekommen die Landwirte oft zu hören, sie sollten auf Bio umstellen. Zwar lassen sich mit Biomilch tatsächlich bessere Preise erzielen. Aber weil auch die Kosten entsprechend höher sind, leiden Biobauern unter dem gleichen Strukturproblem mangelnder Profitabilität wie ihre konventionell wirtschaftenden Kollegen.

Außerdem steigt die Nachfrage der Verbraucher nach Biomilch offenbar nicht so schnell wie das Angebot: „Wir haben Betriebe, die an einer Umstellung auf Bio interessiert sind, und keine Molkerei finden, die ihnen die Milch abnehmen würde“, sagt Schnakenberg.

Was passiert, wenn die EU die Beihilfen kürzt?

Sollte die EU in der nächsten Förderperiode tatsächlich wie geplant die Zuschüsse kürzen, würde das im Norden die Biobauern sogar härter treffen als konventionelle, rechnet Schnakenberg vor: „Die Prämien machen bei konventionellen Betrieben hier in Norddeutschland etwa 3 Cent pro Kilo Milch aus, eine Kürzung von zehn Prozent würde da nicht sehr ins Gewicht fallen“, sagt der Experte.

Bei den Biobetrieben sind es 15 Cent. Wenn man die Prämien kürzt, wird der Druck auf die Biobetriebe größer sein als auf konventionelle Betriebe.“

Im Süden würde eine Kürzung der EU-Zuschüsse wohl auch die konventionellen Betriebe hart treffen: „Die Einnahmen eines bayerischen Durchschnittsbetriebs setzen sich zu etwa 80 Prozent aus Transferzahlungen und zu 20 Prozent aus den erwirtschafteten Erträgen zusammen“, sagt IFCN-Direktor Hemme. „Wenn die Transferzahlungen reduziert werden, wird das den Strukturwandel beschleunigen.“ (dpa)



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