Nächste Etappe der Deindustrialisierung: Stahlproduktion in Deutschland bricht ein

Nach langem Warten hat die EU-Kommission die staatlichen Beihilfen für grünen Stahl bei thyssenkrupp genehmigt. Die Stahlproduktion in Deutschland bleibt dennoch im Sinkflug.
Ein Stahlarbeiter prüft Roheisen am Hochofen 8 auf einem Werksgelände von ThyssenKrupp in Duisburg.
Ein Stahlarbeiter prüft Roheisen am Hochofen 8 auf einem Werksgelände von thyssenkrupp in Duisburg.Foto: Rolf Vennenbernd/dpa
Von 27. Juli 2023

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Noch im Juni hatten 12.000 Stahlarbeiter Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in Duisburg ausgebuht. In der Vorwoche konnte dieser jedoch eine Erfolgsmeldung verkünden: Die EU-Kommission gab grünes Licht für eine Zwei-Milliarden-Subvention für thyssenkrupp. Damit soll der Umbau zur Produktion von „grünem Stahl“ finanziert werden. Ob dies für die Stahlproduktion in Deutschland insgesamt zum Gamechanger wird, ist ungewiss: Diese befindet sich im freien Fall.

Energieintensive Produktion findet immer weniger statt

Die Wirtschaftsvereinigung Stahl hat jüngst ihre Halbjahresbilanz vorgelegt. Diese zeigt bezüglich der Produktion von Rohstahl für die ersten sechs Monate ein Minus von 5,3 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Allein im Juni summierte sich der Rückgang im Jahresvergleich auf 8,4 Prozent.

Besonders stark ist der Rückgang bei der Produktion von Elektrostahl. Das Minus beläuft sich dabei im Jahresvergleich auf 13 und im Junivergleich sogar auf 20 Prozent. Dabei ist diese Produktionsweise vergleichsweise emissionsarm. Für die Stahlindustrie wird sie jedoch immer unrentabler, weil sie energieintensiv ist.

Die Strompreise betragen in Ländern wie Australien, Japan, den USA, China oder Saudi-Arabien ein Bruchteil des deutschen Preises. Dazu kommt die Flaute in der Bauwirtschaft, die sich ebenfalls auf die Stahlproduktion auswirkt. Wie die „Welt“ berichtet, liegt auch der Geschäftsklimaindex um fast 16 Prozent unter dem Vorjahreswert.

Bauflaute trägt zu sinkender Stahlproduktion bei

Einen Rückgang um 5,7 Prozent im Vorjahresvergleich gibt es auch bei den warmgewalzten Stahlerzeugnissen. Selbst beim Roheisen geht es bergab – um 0,6 Prozent gegenüber dem ersten Halbjahr 2022.

Der Verband weist darauf hin, dass die sinkende Stromnachfrage in der EU mitnichten ein beruhigendes Signal der Sparbereitschaft sei. Vielmehr gingen fast zwei Drittel des Nettorückgangs 2022 auf energieintensive Industrien zurück. Diese hätten unter dem Eindruck der Energiepreise ihre Produktion heruntergefahren, gestoppt oder ins Ausland verlagert.

Dazu kommen die Zinswende sowie insbesondere auch in Deutschland der Fachkräftemangel und die hohen Materialkosten. Die Bundesregierung kann nach wie vor ihr Versprechen nicht erfüllen, den Bau von 400.000 Wohnungen jährlich zu gewährleisten. Privatpersonen hingegen halten sich mit Ambitionen zum Bau eines Eigenheims ebenfalls zurück. Immerhin bleibt in Anbetracht von Debatten wie jener um das Heizungsgesetz offen, was in der Zukunft noch an Kosten dazukommen kann.

Wirtschaftsvereinigung Stahl fordert „beherztes politisches Handeln“

Kerstin Maria Rippel, Hauptgeschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Stahl, fordert „jetzt beherztes politisches Handeln“. Konkret meint sie damit den auch schon mehrfach von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck geforderten „Industriestrompreis“. Dieser solle deutschen Unternehmen der Stahlproduktion helfen, im internationalen Wettbewerb zu bestehen. Für Rippel steht fest:

Ein zeitlich befristeter, konditionierter und intelligent gemachter Brückenstrompreis ist das, was jetzt dringend gebraucht wird.“

Von diesem profitiere am Ende der gesamte Wirtschaftsstandort Deutschland. Vor allem der grüne Stahl könne „seine CO₂-mindernde Kraft über alle stahlintensiven Produktionen entfalten“. Stattdessen zeichne sich im Haushaltsentwurf der Bundesregierung sogar eine ersatzlose Streichung des Spitzenausgleichs ab.

Dieser war Teil der Strompreisbremse und rund 9.000 Unternehmen konnten dadurch auf Entlastungen im Umfang von 1,7 Milliarden Euro hoffen.

Ökonomen raten von subventioniertem Strompreis ab

Das Bundesfinanzministerium sperrt sich jedoch gegen den sogenannten Industriestrompreis. Dessen wissenschaftlicher Beirat rät von einer solchen Maßnahme ab. Die Subventionierung von Energie schaffe die Gefahr, dass „notwendige strukturelle Anpassungsprozesse unterbleiben“.

Außerdem ändere die Subventionierung nichts am Grundproblem zu hoher Energiekosten. Bundesfinanzminister Christian Lindner zeigte sich allenfalls über eine Senkung von Steuern auf Strom und Energie gesprächsbereit.

Auch Ökonom Daniel Stelter riet jüngst nachdrücklich von einem subventionierten Strompreis für die Industrie ab. Auf Dauer lasse sich durch Subventionen nicht verbergen, dass man strukturell gegenüber Standorten wie den USA nicht mehr konkurrenzfähig sei.

Grüner Stahl benötigt ebenfalls bezahlbare Energiekosten

Auch im Bereich des grünen Stahls könne ein Industriestrompreis diesen Umstand nicht kaschieren. Länder mit niedrigeren Strompreisen seien immer konkurrenzfähiger. In Deutschland blieben Hersteller von grünem Stahl nur dann, wenn sie auf die Subventionen angewiesen seien, gab Stelter zu bedenken.

Nur wer wirtschaftlich um sein Überleben kämpfe, lasse sich das erforderliche Geld zum wirtschaftlichen Arbeiten vom deutschen Staat erstatten. Wer auch ohne die Subventionen auf dem Markt überlebensfähig sei, gehe dorthin, wo die Energiepreise von sich aus günstig seien.

Dazu kommt ein weiterer Aspekt: Zwar wird ein Werk wie thyssenkrupp dank der Subventionen die Produktion fit für „grünen Stahl“ machen können, das Problem bleibt dennoch die nicht ausreichende Verfügbarkeit von erneuerbarem Wasserstoff. Und selbst dessen Kosten müssten sich in überschaubarem Rahmen halten, um Erfolgsaussichten für die Stahlproduktion in Deutschland zu erhalten.



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