Trotz Massenentlassungen bei Big Tech: 137.000 offene Stellen für IT-Experten

Deutsche IT-Unternehmen suchen händeringend Fachkräfte, wie der Branchenverband Bitkom ermittelte. Kommen hier die Entlassungswellen der Techgiganten gerade recht? Gleichzeitig erwägt der Verband eine Fachkräfteeinwanderung aus Russland und Belarus zur Unterstützung der Branche.
IT-Fachkraft
IT-Experten beim Programmieren.Foto: iStock
Von 20. November 2022

Etliche global agierende Tech-Konzerne senken wegen schlechter Wirtschaftsaussichten derzeit ihre Personalkosten. Zehntausende IT-Beschäftigte verlieren dadurch ihre Jobs. Die Entlassungswellen finden zwar primär in den USA statt, doch auch in Deutschland wurden etliche Stellen gestrichen. Andererseits meldet der Digitalverband Bitkom hierzulande 137.000 offene Stellen für IT-Experten.

Die Liste der Stellen abbauenden IT-Konzerne ist lang. Meta, die Muttergesellschaft von Facebook, WhatsApp und Instagram, entlässt 11.000 Mitarbeiter, etwa 13 Prozent der Belegschaft. Bei Amazon sollen Jobs in einer ähnlichen Größenordnung verloren gehen, auch wenn dies bei insgesamt 1,6 Millionen Beschäftigten ein wesentlich kleinerer Anteil an der Belegschaft ist. Auch Salesforce, Lyft, Stripe, Snap und andere Techunternehmen haben in jüngster Zeit in großem Umfang Mitarbeiter entlassen. Der neue Twitter-Chef Elon Musk hat sogar die Mitarbeiterzahl halbiert.

Zwar hüllen sich die Techgiganten in Schweigen, wenn man sie nach den Details der Jobverluste fragt, doch klar ist, dass nicht nur in der Verwaltung oder den Personal- oder PR-Abteilungen Stellen gestrichen werden, sondern auch in der Produktentwicklung. Dabei wurden auch in den betroffenen Firmen noch vor wenigen Monaten Ingenieure und Software-Entwickler händeringend gesucht.

Entlassungswelle bei Amazon

Schlechtere wirtschaftliche Rahmenbedingungen lassen selbst hochprofitable Konzerne wie Amazon genauer hinzuschauen, wo Einnahmen und wo Ausgaben sind. Der neue Konzernchef Andy Jassy setzt nun nach Berichten der „New York Times“ und des „Wall Street Journal“ den Rotstift vor allem bei Amazons Hardware-Team an. Dieses ist auch für die Weiterentwicklung des Sprachassistenten Alexa und der smarten Echo-Lautsprecher verantwortlich.

Ein Amazon-Sprecher in München wollte nicht sagen, ob die Entlassungswelle auch das Amazon-Entwicklungszentrum für Künstliche Intelligenz in Berlin erreichen wird. Hier schreiben Programmierer an Algorithmen für die Amazon-Hardware. Auch das Entwicklungszentrum von Amazon in Aachen für Spracherkennung könnte theoretisch von den Stellenstreichungen betroffen sein.

137.000 offene Stellen bei Unternehmen – weitere bei Behörden und Organisationen

Arbeitslose IT-Experten in Deutschland sollten eigentlich nicht lange arbeitslos bleiben. Denn der Mangel an IT-Fachkräften in der deutschen Wirtschaft hat sich weiter verschärft. Nach Angaben von Bitkom stieg die Zahl der offenen Stellen im vergangenen Jahr um knapp 43 Prozent auf 137.000. Damit sei die Lage am IT-Arbeitsmarkt noch angespannter als im Vor-Corona-Jahr 2019. Damals konnten 124.000 offene Stellen für IT-Experten nicht besetzt werden. Die Corona-Pandemie hatte den Fachkräftemangel in den Jahren 2020 und 2021 leicht abgemildert.

IT-Fachkräftebedarf in deutschen Unternehmen. Foto: Mit freundlicher Genehmigung von Bitkom

Die Untersuchung Bitkoms erfasst nur die offenen Stellen in den Unternehmen. Darüber hinaus suchen auch Behörden und Organisationen dringend Programmierer und andere IT-Experten.

Bitkom-Präsident Achim Berg sprach bei der Präsentation der Zahlen von einem strukturellen Fachkräftemangel. „Der Mangel an IT-Experten macht den Unternehmen zunehmend zu schaffen und wird sich in den kommenden Jahren dramatisch verschärfen.“ Berg verwies auf die Tatsache, dass zahlreiche Fachkräfte aus der Boomer-Generation in Rente gingen und gleichzeitig signifikant weniger junge Menschen mit IT-Qualifikationen auf den Arbeitsmarkt kämen.

Der Mangel an Informatikern und anderen IT-Experten werde auch nicht signifikant durch die entlassenen Mitarbeiter der Tech-Konzerne ausgeglichen werden können. „Wir sehen keinen Trend, der die bestehende Lücke spürbar schließen könnte.“

Von dem IT-Fachkräftemangel sind viele große Konzerne wie etwa Siemens betroffen. Eine Sprecherin des Unternehmens teilte der Epoch Times auf Anfrage mit, dass sie derzeit sehr viele offenen IT-Stellen hätten – und dies auch merkten.

Längst muss Siemens deswegen über den deutschen Arbeitsmarkt hinausschauen. So würden etwa 70 Prozent der IT-Akademiker aus Indien und China kommen, wie die Sprecherin sagte. Etwas gefragter seien natürlich Fachkräfte mit mehr Berufserfahrung, wobei hier das Angebot ebenso rar sei. Der Konzern müsse „mehrgleisig“ fahren, um das Problem halbwegs zu bewältigen.

Zunehmende Digitalisierung verlangt mehr Personal

Die IT gehört zu den top drei der MINT-Berufe (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) mit der höchsten Nachfrage. Als Grund für den steigenden Bedarf an IT-Fachkräften nennt das IT-Magazin „get in IT“ die zunehmende Digitalisierung unserer Gesellschaft.

Demnach stellt sich nicht mehr die Frage, ob sich ein Unternehmen digitalisiert, sondern wie und wann. Welche Formen die digitale Transformation in einem Unternehmen annimmt, reicht von Robotern in menschenleeren Produktionshallen bis hin zu Algorithmen, die die Routenplanung für Logistikunternehmen optimieren.

IT-Firmen vereinfachen Bewerbungsprozess

Um ihre Chancen auf weitere Fachkräfte zu erhöhen, versuchen die IT-Unternehmen die Bewerbung für Interessierte so einfach wie möglich zu gestalten. 39 Prozent setzen dabei auf Online-Bewerbungstools (2021: 33 Prozent), 16 Prozent ermöglichen eine Bewerbung mit einem Klick aus einem Businessnetzwerk heraus (2021: 11 Prozent) und 13 Prozent nutzen eine Bewerbungs-App (2021: 7 Prozent).

Bei praktisch allen Unternehmen (99 Prozent, 2021: 100 Prozent) kann man sich zudem per E-Mail bewerben, aber auch die klassische Bewerbungsmappe auf Papier wird meist akzeptiert (77 Prozent, 2021: 66 Prozent). Und auch im weiteren Bewerbungsprozess setzen die Unternehmen auf digitale Unterstützung.

Jeweils rund drei Viertel nutzen zumindest teilweise Videokonferenzen für Bewerbungsgespräche (78 Prozent) und bauen einen Bewerbungspool auf (73 Prozent), um daraus künftig frei werdende Stellen besetzen zu können. Die Hälfte (50 Prozent) führt Tests online durch, 16 Prozent lassen online probe arbeiten.

Ein Viertel (26 Prozent) beschleunigt den Prozess, indem der Arbeitsvertrag zunächst einmal per digitaler Signatur unterzeichnet wird. „Die Unternehmen bespielen beim Recruiting die komplette Klaviatur. Das hilft natürlich im Einzelfall, den gesamtgesellschaftlichen Fachkräftemangel löst es nicht“, so Berg.

59.000 mögliche Fachkräfte aus dem Ausland

„Der Fachkräftemangel entwickelt sich zum Haupthindernis bei der digitalen Transformation“, beklagte Berg. Er warb dafür, gezielt IT-Experten aus Russland und Belarus abzuwerben. Nach der Bitkom-Umfrage sei gut ein Drittel (37 Prozent) der Unternehmen mit offenen IT-Stellen dazu bereit, IT-Fachkräfte aus Russland oder Belarus einzustellen, sofern sie vorher eine behördliche Sicherheitsprüfung durchlaufen haben. Tatsächlich habe nur ein Prozent der Firmen IT-Expertinnen oder -Experten aus diesen beiden Ländern eingestellt. „Insgesamt gibt es ein Potenzial von 59.000 Stellen, die mit IT-Fachkräften aus Russland und Belarus besetzt werden könnten.“

Laut der Umfrage verlangten 9 von 10 Unternehmen (88 Prozent) von der Politik, die Fachkräfteeinwanderung stärker zu fördern und bürokratische Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Überflüssig sei beispielsweise, bei IT-Fachkräften aus dem Ausland bereits bei der Einreise einen Nachweis von Deutschkenntnissen zu verlangen, sagte Berg. „Die Sprache der Fachleute ist ohnehin Englisch.“

IT

Unternehmensumfrage zur Aufnahme von IT-Fachkräften aus dem Osten. Foto: Bitkom-Präsentation

(Mit Material von dpa)



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