Warnung vor „unsäglicher“ Schwarzmalerei

Das Gerede von Deutschland als „kranker Mann“ Europas ist für Marcel Fratzscher vom DIW fehl am Platz. „Die unsägliche Schwarzmalerei von manchen Wirtschaftsbossen und Politikern ist die größte einheimische Bremse für die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr.“ Wirtschaft sei zu 80 Prozent Psychologie.
Blick auf den Hamburger Hafen: Nach vorläufigen Daten schrumpfte die Wirtschaftsleistung im vierten Quartal zum Vorquartal um 0,3 Prozent.
Blick auf den Hamburger Hafen: Nach vorläufigen Daten schrumpfte die Wirtschaftsleistung im vierten Quartal zum Vorquartal um 0,3 Prozent.Foto: Georg Wendt/dpa
Epoch Times23. Februar 2024

„Kranker Mann Europas“, „dramatisch schlecht“: Die deutsche Wirtschaft kommt nicht vom Fleck. Details zur Konjunkturentwicklung zum Jahresende gibt das Statistische Bundesamt heute bekannt.

Nach vorläufigen Daten schrumpfte die Wirtschaftsleistung im vierten Quartal zum Vorquartal um 0,3 Prozent. Die deutsche Wirtschaft beendet das Jahr 2023 mit einem Minus.

Dennoch eilt der deutsche Leitindex DAX von Rekord zu Rekord, die Erwerbstätigkeit ist so hoch wie nie und Japan verliert seinen Status als drittgrößte Volkswirtschaft der Welt an Deutschland.

Wirtschaft ist zu 80 Prozent Psychologie

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher warnte in der „Rheinischen Post“ vor Schwarzmalerei: Das Gerede von Deutschland als „kranker Mann“ Europas sei fehl am Platz.

„Die unsägliche Schwarzmalerei von manchen Wirtschaftsbossen und Politikern ist die größte einheimische Bremse für die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr“. Wirtschaft sei zu 80 Prozent Psychologie.

Das Bruttoinlandsprodukt schrumpfte im vierten Quartal 2023 gegenüber dem Vorquartal preis-, kalender- und saisonbereinigt um 0,3 Prozent. Das Statistische Bundesamt bestätigte vorläufige Daten. „Damit hat die deutsche Wirtschaft das Jahr 2023 im Minus beendet. Im Schlussquartal bremsten die rückläufigen Investitionen die Konjunktur, während der Konsum leicht zulegte“, sagt Behördenchefin Ruth Brand.

Die Bundesregierung erwartet nach einem Rückgang der Wirtschaftsleistung 2023 im laufenden Jahr nur noch ein Mini-Wachstum von 0,2 Prozent. „Dramatisch schlecht“ nannte das Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) unlängst. „Wir kommen langsamer aus der Krise als gehofft.“

Die Industrie, die in Deutschland mit etwa 30 Prozent an der Bruttowertschöpfung ein vergleichsweise starkes Gewicht hat, leidet unter den zeitweise massiv gestiegenen Energiepreisen ebenso wie unter schwacher Nachfrage, insbesondere aus dem Ausland. Im vergangenen Jahr sanken die Auftragseingänge im verarbeitenden Gewerbe um 5,9 Prozent zum Vorjahr.

Gestiegene Zinsen und hohe Kosten bremsen beispielsweise auch den Bau aus. „In der Industrie und der Bauwirtschaft sind mittlerweile die dicken Auftragspolster abgeschmolzen, die die Unternehmen noch zu Coronazeiten aufgebaut hatten“, erläuterte Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser jüngst.

Verlässliche Rahmenbedingungen gefordert

„Was uns also sonst hilft – ein großer Industriesektor, der profitiert, wenn die Weltwirtschaft boomt und die Energiepreise niedrig sind -, das bereitet uns jetzt Probleme“, sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest „Tagesschau24“. Deutschland habe auch strukturelle Probleme. „Die Autoindustrie ist in einem Veränderungsprozess. Wir haben einen demografischen Wandel. Wir laufen auf eine Situation zu mit schrumpfender Erwerbsbevölkerung. Und das macht vielen Investoren Sorgen.“

Wirtschaftsverbände kritisieren zudem Überregulierung, marode Infrastruktur, im internationalen Vergleich zu hohe Steuern und politische Unsicherheit angesichts der Auseinandersetzungen innerhalb der Ampel-Koalition.

„Die Unternehmen brauchen dringend verlässliche und bessere Rahmenbedingungen. Das betrifft die Energieversorgung ebenso wie die Fachkräftesicherung und die Infrastruktur“, mahnte DIHK-Konjunkturexperte Jupp Zenzen unlängst.

Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger warnte zum Jahreswechsel: „Aus Enttäuschung und vor allem wegen wirtschaftlicher Nachteile am Wirtschaftsstandort Deutschland fallen jetzt immer mehr Investitionsentscheidungen zugunsten des Auslands.“

Schwache globale Nachfrage

„Die Jahre, in denen die deutsche Industrie Job- und Wachstumsmotor für die deutsche Wirtschaft war, sind vorerst vorbei“, erwartet Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. Vor allem der Energiepreisschock und die damit verbundene anhaltende Unsicherheit bei den Energiepreisen wirkten weiter fort.

Zudem trifft die Schwäche des Welthandels die exportorientierte deutsche Wirtschaft: Der Wert der Ausfuhren von Waren „Made in Germany“ sank im vergangenen Jahr. „Der Gegenwind für die deutsche Wirtschaft kommt neben den hohen Energiekosten vor allem von der schwachen globalen Nachfrage, insbesondere nach hochzyklischen Gütern wie Autos, Werkzeugmaschinen und Chemikalien“, analysierten Volkswirte des Kreditversicherers Allianz Trade Deutschland.

Deutschlands Arbeitsmarkt ist bislang robust, auch wegen des Fachkräftemangels. Nach wie vor suchen viele Unternehmen händeringend Personal. Die Deutsche Bundesbank sieht derzeit keine Anzeichen, „dass sich die Lage am Arbeitsmarkt durch die schwache Konjunktur spürbar verschlechtern wird“.

Die Zahl der erwerbstätigen Menschen erreichte nach vorläufigen Daten des Statistischen Bundesamtes im vergangenen Jahr mit 45,9 Millionen den höchsten Jahresschnitt seit der Wiedervereinigung 1990. Neun von zehn der zusätzlichen Jobs entstanden dabei im Dienstleistungsbereich (+0,9 Prozent), während es im produzierenden Gewerbe (+0,3 Prozent) und im Baugewerbe (+0,6 Prozent) geringere Zuwächse gab.

Hoffnungsschimmer Privatkonsum

Der robuste Arbeitsmarkt und die tendenziell sinkende Inflation könnten dem Privatkonsum in diesem Jahr als wichtige Konjunkturstütze Deutschlands auf die Sprünge helfen.

„Positive Nachrichten für die Konjunktur dringen derzeit nur schwer durch, dennoch gibt es sie: Ein solcher Silberstreif ist die absehbare Erholung der privaten Kaufkraft“, sagte KfW-Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib unlängst. Im vergangenen Jahr hatten viele die Menschen wegen der teilweise noch hohen Inflation beim Konsum gespart.

Einen Lichtblick gab es bei den Staatsfinanzen. Im vergangenen Jahr gab der Fiskus zwar erneut mehr Geld aus, als er einnahm. Das Defizit von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherungen verringerte sich im Vergleich zum Vorjahr um 9,5 Milliarden auf gut 87,4 Milliarden Euro. Bezogen auf die gesamte Wirtschaftsleistung betrug das Defizit nach den jüngsten Daten der Statistiker 2,1 Prozent. Zunächst war die Behörde von 2 Prozent ausgegangen. 2022 waren es 2,5 Prozent.

Rekorde beim DAX

Ungeachtet zusammengestrichener Konjunkturprognosen, die Deutschland in diesem Jahr als Schlusslicht im Euro-Raum sehen, eilt der DAX von Rekord zu Rekord. Der Leitindex bildet allerdings nur einen Teil der deutschen Wirtschaft ab, die vor allem mittelständisch geprägt ist. Vertreten sind im DAX die 40 größten börsennotierten Konzerne.

Es sei nicht das heimische Geschäft, was die Unternehmen an der Börse immer wertvoller mache. Ihre Umsätze und Gewinne erzielten sie zu einem Großteil im Ausland, erläutert Analyst Konstantin Oldenburger vom Broker CMC Markets.

Während Länder wie die Niederlande oder Schweden sich nach EU-Prognosen dieses Jahr mit einem ähnlich mageren Wachstum wie Deutschland begnügen müssen, wird etwa Griechenland oder Spanien deutlich mehr zugetraut. Diese Länder profitieren nach Einschätzung von Ökonomen vor allem vom Tourismusboom nach dem Ende der Corona-Pandemie.

Der US-Softwareriese Microsoft scheint hierzulande allerdings mehr Chancen als Risiken zu sehen und wird bis Ende 2025 knapp 3,3 Milliarden Euro investieren, um seine Rechenzentrumskapazitäten für Anwendungen im Bereich Künstlicher Intelligenz (KI) auszubauen. „Wir werden keine Subventionen erhalten und haben auch nicht danach gefragt“, betonte Microsoft-Präsident Brad Smith.(dpa/red)



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion