Weltgrößte Freihandelszone kommt ins Rollen – ohne die EU

Im asiatisch-pazifischen Raum ist die weltweit größte Freihandelszone entstanden: das RCEP. Sie deckt mehr als 30 Prozent des Welthandels ab und betrifft 2,2 Milliarden Menschen direkt. Dies birgt mittelfristig Herausforderungen für die Europäische Union.
Im asiatisch-pazifischen Raum ist die weltweit größte Freihandelszone entstanden: das RCEP.
Der Hafen von Qingdao, Provinz Shandong, China.Foto: Yu Fangping/SIPA Asia via ZUMA Wire/dpa
Von 9. Januar 2023

Seinen gefrorenen Lachs kann der chinesische Unternehmer Sun Junzhi aus der Provinz Shandong seit Beginn des Jahres zollfrei nach Indonesien exportieren. Eine neue Handelspartnerschaft in der Region macht es möglich. Am 2. Januar tritt in Indonesien das weltgrößte Freihandelsabkommen in Kraft – das Regional Comprehensive Economic Partnership Agreement, kurz: RCEP. Damit haben nun 13 der 15 Mitgliedsländer die Ratifizierung des Mega-Deals abgeschlossen.

Zu dem Bündnis gehören die zehn ASEAN-Staaten Brunei, Indonesien, Kambodscha, Laos, Malaysia, Myanmar, Philippinen, Singapur, Thailand, Vietnam sowie China, Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland. Zusammen stehen die zehn Staaten für 30 Prozent der Weltbevölkerung.

RCEP will 90 Prozent der Zölle abbauen

Was genau verspricht das weltgrößte Abkommen? Eines der ehrgeizigen Ziele von RCEP ist, innerhalb von 20 Jahren schrittweise bis zu 90 Prozent aller Zölle für die Mitgliedstaaten abzubauen. Außerdem sollen Waren an den Grenzen zügiger kontrolliert und zum Weitertransport freigegeben werden. Zollmeldungen und -abfertigungen in der RCEP-Zone müssen innerhalb von 48 Stunden erfolgen. Gerade der Handel mit leicht verderblichen Lebensmitteln findet hier seinen Anreiz.

Von den neuen Regelungen profitiert Suns Exportunternehmen „Qingdao SanMu Aquatic Products“ bereits heute. Vor dem Abkommen musste der Unternehmer für eine Ladung gefrorenen Lachs, die er nach Indonesien exportierte, rund 10 Prozent Zollgebühren zahlen. Diese wurden nun auf null gesenkt.

Rund 270.000 Euro würde Sun somit in diesem Jahr an Zollabgaben einsparen, erklärte er gegenüber Chinas Staatsmedium Xinhua. Ein Musterfall.

Doch so ganz reibungslos läuft die Implementierung der RCEP-Vorgaben für einige Exporteure nicht. Wie das „Handelsblatt“ berichtet, hatten Unternehmen bürokratische Hürden gemeldet. Manche Exporteure wüssten zudem nicht, welche Vorteile das Abkommen für sie hätte und wie sie es nutzen könnten. Auch fehlten bei einzelnen Zollstationen Kenntnisse über die neuen Vorschriften. Der Weg zum kompletten Zollabbau ist also noch lang.

Schwerer wiegt die Kritik, dass die Regelungen für den Zollabbau zwischen den Staaten nicht harmonisierend sind. In einer Analyse der Konrad-Adenauer-Stiftung heißt es, die Bedingungen für Zollsenkungen können von Staat zu Staat und je nach Produktgruppen sehr unterschiedlich sein. Formal gesehen, könne RCEP aus diesem Grund nicht wirklich als Freihandelsabkommen gelten. Zutreffender wäre die Bezeichnung „Präferenzzone“, so die Stiftung.

Menschenrechte und Umweltstandards werden ausgeklammert

Als große Errungenschaft gelten hingegen die vereinfachten Ursprungsregeln. Bisher stellen die uneinheitlichen Regelungen einen hohen bürokratischen Aufwand für die Unternehmen dar. Die nun vereinfachten und standardisierten Ursprungsregeln werden den Handel mit Zwischenprodukten in der Region wesentlich attraktiver machen.

Firmen können ihre Produkte innerhalb der RCEP-Region verschicken, verarbeiten lassen und weiterverschicken, ohne Schwierigkeiten zu haben, die Herkunft der Produkte jedes Mal nachzuweisen.

Initiiert wurde RCEP von den zehn ASEAN-Staaten. Da China die größte Volkswirtschaft innerhalb des Bündnisses ist, geht der stärkste Einfluss zweifellos vom Reich der Mitte aus.

Kritiker sehen das Abkommen deshalb auch als ein hegemoniales Projekt Chinas. Anders als bei Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union oder den USA werden bei den RCEP-Verhandlungen Merkmale wie Arbeitsrechte, Sozial- und Umweltstandards bewusst ausgeklammert.

Philippinen fürchten Wettbewerbsnachteile

Nach acht Jahren Verhandlungen wurde RCEP im November 2020 von den 15 teilnehmenden Staaten unterzeichnet. Es tritt aber nur für die Länder in Kraft, die es ratifiziert haben. Bis auf Myanmar und die Philippinen haben alle Mitgliedstaaten diesen formalen Prozess abgeschlossen.

Der Fall Myanmar ist speziell. Praktisch hatte die derzeit herrschende Militärjunta die Ratifizierungsurkunde bereits vor geraumer Zeit vorgelegt. Da das Regime jedoch von den anderen Mitgliedstaaten nicht als legitime Regierung anerkannt wird, gilt das Abkommen nach wie vor für das Land noch nicht.

Auf den Philippinen wird derweil noch über die Ratifizierung gestritten. Der Senat hat den Prozess aufgeschoben, nachdem Landwirte sowie andere zivilgesellschaftliche Organisationen gegen das RCEP-Abkommen protestiert hatten. Sie fürchten mögliche Wettbewerbsnachteile und kritisieren die fehlende Garantie für den Agrarsektor des Landes.

Wenn Importe durch den Abbau von Handelshemmnissen steigen, könnte es für die lokalen Sektoren zum Nachteil werden und ihnen schaden – dafür gebe es im Rahmen des RCEP-Vertrages keine Schutzmaßnahmen.

Der Leiter der Bauernvereinigung, Jayson Cainglet, zog den Vergleich: Die Welthandelsorganisation und alle anderen Freihandelsabkommen hätten die Philippinen bislang in die Abhängigkeit von Lebensmittelimporten getrieben.

„Diese Handelsabkommen haben unsere Ernährungssicherheit untergraben, viel mehr noch unsere Ernährungssouveränität, in der wir unsere eigene Landwirtschafts- und Ernährungspolitik bestimmen“, zitierte ihn die „Manila Times“. Die verlockenden Versprechen vom großen Wachstum im Handel, in der Produktion und Beschäftigung seien „nie eingetreten“.

Indien stieg aus den RCEP-Verhandlungen aus

Indien, eine der bedeutendsten Volkswirtschaften der Region, war mit vergleichbaren Bedenken im Jahr 2019 aus den RCEP-Verhandlungen komplett ausgestiegen. Damit wollte das Land die Interessen seiner lokalen Landwirtschaft schützen und dem eigenen Dienstleistungssektor einen Vorteil sichern.

Einer Analyse der niederländischen Rabobank zufolge seien die meisten RCEP-Mitglieder Exportnationen. Sie seien im Durchschnitt für fast 70 Prozent des indischen Handelsdefizits verantwortlich. Das heißt, sie haben mehr nach Indien exportiert als von dort importiert.

Mit dem Abkommen würde Indien seine Zölle erheblich senken müssen und den Mitgliedstaaten einen noch leichteren Zugang zu seinem großen Markt mit 1,4 Milliarden Verbrauchern ermöglichen. Eine Win-win-Situation, wie RCEP-Befürworter stets warben, wäre es derzeit aus der Sicht Indiens nicht.

So könnte die EU auf RCEP reagieren

Und welche Rolle spielt RCEP für Europa? Bislang beobachtet die Europäische Union die Entwicklungen des Abkommens im asiatisch-pazifischen Raum nur als Außenstehende. Die reduzierten Handelsbarrieren innerhalb der RCEP-Zonen könnten mittelfristig jedoch eine Herausforderung für EU-Unternehmen bedeuten.

Bisher hat die EU vor allem bei technischen Gütern eine wettbewerbsstarke Position in der Region. Dies könnte sich künftig ändern, wenn europäische Exportprodukte für die RCEP-Länder zum Schluss teurer werden als Waren aus der Freihandelszone. Andererseits könnten EU-Unternehmen ebenfalls von den vereinfachten Im- und Exportbedingungen profitieren – vorausgesetzt, sie produzieren im Hoheitsgebiet der RCEP-Vertragspartner.

Der EU stehen laut Analyse der Fachzeitschrift „Wirtschaftsdienst“ vier Kernstrategien offen, um auf das RCEP-Abkommen zu reagieren. Sie könnte zum einen mit den einzelnen RCEP-Teilnehmerstaaten ein eigenes Freihandelsabkommen abschließen. Dies besteht derzeit bereits mit Japan, Südkorea, Singapur und Vietnam. Mit Australien, Indonesien und Neuseeland wird aktuell verhandelt.

Zum anderen könnte ein Partnerschaftsabkommen mit dem RCEP-Bündnis angestrebt werden. Da die Europäische Union auf höhere Menschenrechts- und Umweltstandards setzt, wäre diese Option politisch aber kaum umsetzbar.

Weitere Optionen für die EU wären, einen alternativen Handelsblock mit den USA und Indien zu bilden oder letztlich die Welthandelsorganisation zu reformieren.



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