Älteste Zeitkapsel der Welt in Kirchturm gefunden

Eine Zeitkapsel ist dafür bestimmt, ihre Entdecker auf Reisen in die Vergangenheit zu schicken. Mit einer Kiste aus dem polnischen Kirchturm in Wschowa konnte jüngst die weltweit längste Reise angetreten werden – „Mitfahrgelegenheit“ inklusive.
Älteste Zeitkapsel der Welt wurde auf einem polnischen Kirchturm gefunden
Die Zeitkapsel aus Wschowa, Polen, ist die älteste der Welt.Foto: Marcin Pechacz, Museum Ziemi Wschowskiej
Von 24. Januar 2024

Am 22. Juni 2023 staunten Arbeiter nicht schlecht, als sie in der vermeintlich leeren Kupferkugel eines Kirchturms in Wschowa, Polen, mehrere geheimnisvolle Gegenstände entdeckten. Sofort weckte der Inhalt das Interesse der örtlichen Historiker und des Pfarrers der Kirche St. Stanislaus.

Um mehr über den Fund zu erfahren, brachten ihn die Historiker in das Museum Ziemi Wschowskiej, wo er von Mitarbeitern begutachtet wurde. Wie das Museum wenig später mitteilte, handelt es sich bei der Entdeckung um die bislang älteste bekannte Zeitkapsel der Welt.

Eine Zeitkapsel ist ein mit Erinnerungen und zeittypischen Gegenständen gefülltes Behältnis, das erst zu einem bestimmten, oft vorgegebenen Zeitpunkt in der Zukunft geöffnet werden soll. Das Behältnis selbst ist meist aus langlebigen Materialien wie Metall und wird für gewöhnlich an einem witterungsgeschützten Ort deponiert. Diesen Brauch gibt es mindestens seit dem 19. Jahrhundert und wird besonders gern in den USA, aber auch in Europa gepflegt.

In der Turmkugel von Wschowa befanden sich sogar gleich mehrere Nachrichten aus vier vergangenen Zeiten.

Schüsse auf die Zeitkapsel

Das älteste und wohl eindrucksvollste Behältnis war eine stark korrodierte Kupferkiste. Diese war mit einem Haken verschlossen und trug auf ihrem Deckel eine große Aufschrift mit der Jahreszahl 1726.

Zeitkapsel: Kiste von 1726

Das älteste Behältnis der Zeitkapsel ist die korrodierte Kupferkiste von 1726. Foto: Marcin Pechacz

Vor fast 300 Jahren muss also jemand erstmals eine Zeitkapsel in der Kugel hoch oben auf dem Kirchturm versteckt haben. Da auf der Kiste weitere Jahreszahlen eingeprägt sind, muss sie noch weitere Male geöffnet und um weitere Gegenstände ergänzt worden sein. Insgesamt fanden sich in der Zeitkapsel vier Päckchen aus den Jahren 1726, 1786, 1884 und 1914.

Nach der erneuten Öffnung im Jahr 1884 müssen auch die drei Einschusslöcher von einer Pistole im Boden der Kugel entstanden sein. Eines der kleinkalibrigen Bleiprojektile fand sogar einen Weg durch die Kiste, wobei das in eine Zeitung aus dem Jahr 1884 eingewickelte Päckchen und sein Inhalt beschädigt wurden.

Zeitkapsel: Päckchen von 1884

Ein kleinkalibriges Bleiprojektil hat das Päckchen aus dem Jahr 1884 beschädigt. Foto: Marcin Pechacz

Przemysław Wojciech vom Museum Ziemi Wschowskiej hält es für möglich, dass die Einschusslöcher eher später entstanden sind. „Ich persönlich glaube, dass es vielleicht sogar noch später war, nämlich nach dem letzten Verschließen der Kapsel am 22. Juni 1914“, erklärt Wojciech gegenüber Epoch Times.

Dieses letzte Päckchen, gefüllt mit einer Zeitung, einer Postkarte und einem handgeschriebenen Brief, gelangte an dem Tag, bevor der Erste Weltkrieg ausbrach, in die Zeitkapsel. „Es ist daher möglich, dass während des Ersten Weltkriegs auf die Kiste geschossen wurde“, so Wojciech.

Zeitkapsel: Postkarte von 1914

Die Postkarte von 1914 zeigt ein Wandgemälde der Pfarrkirche St. Stanislaus mit dem Stadtbild von Wschowa um 1493. Foto: Marcin Pechacz

Päckchen mit deutschen Münzen und heiliger Erde

In der Kupferkiste war neben Briefen und mit Wachssiegeln versehenen Dokumenten auch eine zweite, kleinere Schatulle. Diese bestand aus Eisenblech mit eingearbeitetem Kreuz und barg zwei Päckchen mit in Zeitung eingewickelten Münzen.

Zeitkapsel: uralte Siegel

Briefe und offizielle Dokumente wie Urkunden waren mit Wachssiegeln versehen. Foto: Marcin Pechacz

Eine der Zeitungen ist das deutschsprachige „Fraustädter Volksblatt“ vom Donnerstag, dem 3. Januar 1884. Zu dieser Zeit gehörte Wschowa, dessen deutscher Name Fraustadt war, zu Preußen und somit zum ehemaligen Deutschen Reich. So verwundert es auch nicht, dass die Münzen – Groschen, Pfennige und Mark – deutsche Prägungen sind.

Zeitkapsel: Deutsche Münzen

Unter den Münzen sind altdeutsche Groschen, Pfennige und Mark. Foto: Marcin Pechacz

Dass die Kirche nicht zufällig als Ablageort für die Post aus vergangener Zeit ausgewählt wurde, zeigt das Päckchen aus dem Jahr 1786. Hierin befand sich eine Glasphiole mit Erde, die aus dem Grab des Heiligen Johannes von Nepomuk stammen soll.

Johannes von Nepomuk war ein bekannter Priester und Unterstützer des böhmischen Königs Wenzel IV., auch Wenzel der Faule genannt. Gemeinsam mit Wenzel strebte Nepomuk an, die Kirche und ihren enormen Einfluss in der weltlichen Politik zu unterbinden.

Dieses Bestreben sorgte für Aufruhr und endete mit dem Märtyrertod Nepomuks im März 1393, als ihn seine Gegner von der Prager Karlsbrücke in die Moldau stürzten und er ertrank. Einer Legende nach soll seine in der Moldau treibende Leiche mit fünf Flammen gesäumt gewesen sein. Dies wird heute symbolisch mit fünf Sternen um sein Haupt dargestellt.

Die Statue des Heiligen Johannes von Nepomuk auf der Karlsbrücke in Prag. Foto: iStock

Noch heute prägen Figuren des Heiligen Nepomuk die Ortschaften Österreichs, Italiens, Frankreichs und der Tschechischen Republik. Auch unter den Einwohnern von Wschowa war der Nepomuk-Kult teilweise stark verbreitet, wie der Nepomuk-Altar in der Wschowaer Kirche zeigt. Doch warum wurden die Reliquien in den Turm gebracht? „Man glaubte, dass Nepomuk für den guten Ruf und die Ehre sorgte und vor Verleumdung schützte“, erklärt Wojciech.

Turbulente Zeiten

Eine andere Frage ist, wie die Zeitkapsel überhaupt in die Turmkugel der Pfarrkirche gelangte. Tatsächlich wurden die Gegenstände vermutlich mit dem Wiederaufbau der Kirche an ihren luftigen Platz befördert. Wie die Stadtchronik überliefert, wurde das Gotteshaus mehrmals zerstört – unter anderem in den Jahren 1435 und 1529. 1685 folgte ein Brand, sodass die Pfarrkirche zwischen 1720 und 1726 wieder aufgebaut wurde.

In der Chronik der Wschowaer Bernhardiner, einer Gruppe des Franziskanerordens, von 1726 heißt es:

In diesem Jahr. Dank der Bemühungen der Bürger erhielt der Turm der Pfarrkirche einen neuen Abschluss mit Öffnungen auf dem ziemlich großen Aufbau, der zur Verzierung des alten Turms errichtet worden war, der bis Oktober noch nicht mit Kupfer bedeckt worden war.“

Einige Jahre später erwähnt sogar der deutsche Historiker Dr. Martin Sprungala in seiner „Chronik der Stadt Fraustadt“ die Niederlegung von Gegenständen der Zeitkapsel:

Am 31. Mai 1786 legte der Stadtschreiber H. Hedelhofer in der Kugel des Kirchturms feierlich Urkunden für die Nachwelt nieder.“

Die Zeitkapsel aus Wschowa, Polen, ist die älteste der Welt. Foto: Marcin Pechacz, Museum Ziemi Wschowskiej

Bewegende Worte aus der Vergangenheit

Für Przemysław Wojciech sind die schönsten Worte jedoch jene, die Johan Joseph Bauditz, Bürgermeister von Wschowa, in einem Brief vom 31. Mai 1786 niederschrieb. Darin schildert er nicht nur die Stadtgeschichte aus den Jahren 1726 bis 1786, sondern beendet diese zudem mit sehr persönlichen Worten, die direkt an die Nachwelt gerichtet sind:

Sie werden bei Lesung dieser Schrift schon niemanden mehr von uns allen, die wir hier und an unserem Orte gegenwärtig sein, am Leben vorfinden. Lassen Sie dessen Erinnerung ihre Freude nicht stören […]. Sie werden uns – Gott gebe nach spät, gesund und glücklich zurückgelegten Jahren – auch nachfolgen und wir wünschen, dass wir uns alsdann insgesamt in der glückseligen Einigkeit sehen mögen […]. Amen.“

Aktuell befindet sich der Kirchturm zusammen mit seiner Kupferkugel in der Restauration. Sobald die Kugel fertig ist, soll sie zusammen mit einer neuen Zeitkapsel wieder auf die Turmspitze gesetzt werden.

Die historische Zeitkapsel, die sich im Besitz der Kirche befindet, wird jedoch am Boden bleiben und soll am 31. Januar 2024 im Rahmen einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit präsentiert und anschließend an das Museum übergeben werden. Dieses wird für mindestens die nächsten zehn Jahre die Heimat der Funde sein. Wer eine Zeitreise plant, findet die historischen Dokumente und Zeitzeugen in einer von Anfang Juli bis Ende September 2024 geplanten Sonderausstellung.



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