Die Mordversuche der Staatssicherheit in Westberlin

Das politische Morden des Ministeriums für Staatssicherheit, der Stasi, erstreckte sich nicht nur auf das Staatsgebiet der DDR. Auch im Ausland und insbesondere in der BRD wurden Anschläge auf ehemalige DDR-Bürger verübt. Eines der wenigen bekannten Dokumente zeigt, wie akribisch die Stasi Tötungen plante.
Titelbild
Grenzpfeiler der ehemaligen innerdeutschen Grenze.Foto: iStock
Von 13. November 2021

Der 9. November hat wohl wie kein anderes Datum in der deutschen Geschichte die Emotionen der Deutschen bewegt und kontroverse Diskussionen hervorgerufen. Er markierte den Tag des Scheiterns der Märzrevolution 1848, der Novemberrevolution 1918, des Hitlerputschs 1923, der Reichspogromnacht 1938 und schließlich des Mauerfalls 1989.

Als „Schicksalstag“ symbolisierte er damit die Hoffnungen der Deutschen, den düsteren Weg in die Verbrechen des Dritten Reiches als auch ihre Freude über die Wiedervereinigung und Überwindung der sozialistischen Diktatur. Eng verbunden mit all diesen geschichtlichen Ereignissen sind zahlreiche politisch motivierte Morde, von denen viele noch unbekannt sind.

Ein Buch, das kürzlich im Herder-Verlag erschien, beleuchtet eines dieser Kapitel der deutschen Geschichte. Unter dem Titel: „Unter mysteriösen Umständen: Die politischen Morde der Staatssicherheit“ widmet sich die DDR-Bürgerrechtlerin Freya Klier den wenig erforschten politischen Morden des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS oder kurz „Stasi“) an der eigenen Bevölkerung. Dabei lässt sie Betroffene und Zeitzeugen zu Wort kommen und verfolgt mit ihnen eine Blutspur, die sich vom Beginn der DDR bis in unsere Tage nachvollziehen lässt.

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DDR-Grenzer flüchtet nach Westberlin

Beinahe wäre damals auch der Ex-DDR-Grenzer Rudi Thurow der Stasi zum Opfer gefallen. Er floh im Februar 1962 während seines Dienstes als Unteroffizier der DDR-Grenztruppe zusammen mit drei Zivilisten nach Westberlin.

Ausschlaggebend für seine Flucht war die Anordnung des Schießbefehls für seine Einheit. Die Grenzbeamten wurden angewiesen, auf die flüchtenden Landsleute einen Zielschuss abzugeben, wenn sie nach dem Anrufen und einem Warnschuss weiter flüchteten.

Über heimlich gehörte RIAS-Radiosendungen aus dem Westen erfuhr er von mehreren DDR-Grenzern, die DDR-Flüchtlinge erschossen. In diese Situation wollte er nicht kommen.

Rudi Thurow bei der DDR-Grenztruppe. Foto: privat

Von Westberlin aus war er bis 1975 aktiv als Fluchthelfer tätig und verhalf zusammen mit verschiedenen Fluchthelfergruppen erfolgreich Hunderten DDR-Bürgern zur ersehnten Freiheit.

Stasi plante „operative Maßnahme zur Liquidierung“

Die in den Augen der Stasi „verbrecherischen Handlungen gegen die DDR“ Thurows fielen auch der DDR-Führung mit seinen zahlreichen Mitarbeitern und Agenten in Westberlin auf.

„Geleitet von dem Gedanken, dass der Deserteur Thurow für seine verbrecherische Tätigkeit einer gerechten Strafe zugeführt werden muss“, startete die Stasi „eine intensive Aufklärung [des] genannten Objektes [Rudi Thurow]“. Dies geht aus einem Stasi-Dokument hervor.

Es verdeutlicht, dass man zunächst plante, Thurow „habhaft zu werden und durch Schleusung in das Gebiet der DDR zu überführen“. Dazu analysierte man genau, wann Thurow seine Unterkunft verließ und in sie zurückkehrte, wo er arbeitete usw. Später wandelte die Stasi den Entführungsplan in eine „operative Maßnahme zur Liquidierung“ um.

In einem „ca. 45 m langen parkähnlichen Gelände“, durch das sich Thurow für gewöhnlich vom Abstellort seines Pkws bis zu seiner Unterkunft begibt, sollte die Tötung stattfinden.

„Auf dem angeführten Weg bestehen verhältnismäßig günstige Bedingungen zur Liquidierung des Objektes (…)“, heißt es in dem Stasi-Dokument. Als Tötungswerkzeug war ein 1.000-Gramm-Hammer vorgesehen und die Vortäuschung eines Raubmordes.

Nach „erfolgreicher Aktionsdurchführung“, so heißt es in dem Stasi-Dokument weiter, „begeben sich die GMs [Geheime Mitarbeiter] auf dem schnellsten Weg unter Benutzung der U-Bahn/S-Bahn in das demokratische Berlin [DDR] zurück“.

Den Tötungsplan ließ man schließlich fallen, weil einer der geheimen Mitarbeiter nicht mehr für den Einsatz zur Verfügung stand, heißt es. Man hätte ihn mit einer neuen Aufgabe betraut.

Der Plan des Ministeriums für Staatssicherheit, den DDR-Dissidenten Rudi Thurow zu liquidieren. Foto: Erik Rusch / Epoch Times

Stasi-Mitarbeiter schweigen

Als die DDR und der Ostblock 1989 fielen, brach das System der Stasi zusammen. Was geschah mit den einstigen Stasi-Offizieren und Mitarbeitern? Wie sahen sie nach dem Mauerfall ihre Liquidierungspläne?

Eine originale Wandtafel des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR zu den Pflichten eines Mitarbeiters. Foto: Epoch Times mit freundlicher Genehmigung des Stasi-Museums Normannenstraße Berlin.

Der ehemalige DDR-Grenzsoldat und Fluchthelfer Thurow wollte es 1997 genauer wissen. Er fand die Adressen der Männer heraus, die hinter dem Stasi-Mordplan auf seine Person steckten. Zusammen mit einem Fernsehteam besuchte er dann u.a. Ex-Stasi-Generalmajor Karl Kleinjung. Dieser unterschrieb 1963 den Mordbefehl der Stasi für Thurow.

„Ich habe ihn mit einem Kamerateam in Berlin-Karlshorst aufgesucht, um ihn zu interviewen. Er hat sich dann jedoch sofort mit den Worten zurückgezogen, es fänden Ermittlungen gegen ihn statt. Daher könne er uns keine Auskunft darüber geben“, so Thurow zur Epoch Times. Auch die anderen Stasi-Leute besuchte er. „Die haben nach kurzer Zeit immer die Türen gleich geschlossen und wir konnten nur schnell ein paar Bilder machen.“

Berliner Generalstaatsanwaltschaft stellte Ermittlungen ein

Dann gingen sie zu Ex-Stasi-Oberst Helmut Nilius, wohnhaft in Berlin-Mitte. Er war damals der Stasi-Verbindungsoffizier zu den „Geheimen Mitarbeitern“ in Westberlin, die Thurow liquidieren sollten. Der reagierte ungehalten, rief nach der Polizei und ging auf das Kamerateam los. Zur Person Thurows sagte er damals aus: „Das war ein richtiger Verbrecher!“

Die Berliner Generalstaatsanwaltschaft stellte Ende der 90er-Jahre das Ermittlungsverfahren gegen Kleinjung, Nilius und die anderen wegen des Mordplans an Thurow ein. Begründet wurde dies damit, dass der Mord nicht ausgeführt wurde.

Heimtückische Mordanschläge waren dabei nur eine Methode, um den Widerstand in der eigenen Bevölkerung zu brechen und Vergeltung für „Verrat“ oder „Provokation“ zu üben.

Anschläge auf übergelaufene DDR-Spitzensportler

Giftanschläge, Verstrahlungen, Entführungen – die Palette der Stasi-Maßnahmen war breit. Viele der Anschläge auf ehemalige DDR-Bürger in der BRD waren allerdings schwer nachzuweisen. Was vielleicht auch an der systematischen Unterwanderung von Behörden und Institutionen in der BRD durch verdeckte Stasi-Leute lag.

Nur in einem Fall wurde ein Mordversuch in der BRD vom Gericht amtlich zur Kenntnis genommen. Und zwar, als man einen Stasi-Informanten wegen versuchten Mordes 1994 zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilte.

Ihm konnte man nachweisen, dem Fluchthelfer und ehemaligen politischen Häftling der DDR, Wolfgang Welsch, mit Thallium vergiftete Buletten serviert zu haben.

In der DDR selbst nutzte die Stasi auch andere Methoden. So bedrängte und unterdrückte der sozialistische Staatsapparat beispielsweise kritische Künstler, bis sie sich zur Ausreise in den Westen bereit erklärten.

Andere unliebsame DDR-Bürger sperrte man einfach unter dem Vorwurf „staatsfeindlicher Hetze“ und „Herstellung und Verbreitung von Hetzschriften“, in Gefängnisse und Psychiatrien weg. Sie hätten in den Augen der DDR-Führung die Partei- und Staatsführung und die gesellschaftlichen Verhältnisse der DDR als unfrei und undemokratisch diskriminiert. Mehrere trieb man so in den Suizid.

Frühes Versterben von DDR-Bürgerrechtlern an Krebs

Dabei fällt auf, dass zahlreiche ehemalige DDR-Bürgerrechtler und politische Häftlinge (u.a. Rudolf Bahro, Gerulf Pannach, Jürgen Fuchs, Jurek Becker, Volker Braun) ungewöhnlich früh an Krebs starben. Klier vermutet, dass ihr frühes Ableben eine Folge radioaktiver Vergiftung sein könnte. Die Stasi ließ nachweislich Studien („TOXDAT-Studie“) zu deren Wirkung durchführen.

Nach der Maueröffnung und der Auflösung der Organisation der Stasi änderten ehemalige Stasi-Mitarbeiter ihre Haltung zu dem SED-System, andere hielten weiter daran fest. Einige brachen gar das Schweigen und gaben wichtige Informationen zu den Stasi-Anschlägen preis.

So berichtet die Autorin Klier in ihrem neuen Buch, dass sich 2019 ein ehemaliger Stasi-Vernehmer der Stasi-Haftanstalt Berlin-Hohenschönhausen bei ihr meldete. Der inzwischen schwer erkrankte Mann wollte vor seinem Tod noch um Entschuldigung bitten. Zudem vertraute er ihr an: „Es stimmt, das Auto war manipuliert.“

Damit bezog er sich auf den 8. November 1987. An diesem Tag verlor die DDR-Bürgerrechtlerin auf einer Fahrt zu einem Auftritt in Stendal plötzlich die Kontrolle über ihr Fahrzeug. Sie überlebte nur, weil ihr damaliger Mann Stephan Krawczyk geistesgegenwärtig ins Lenkrad griff.

Klier vermutet, dass die Stasi damals neben der Manipulation ihres Fahrzeugs auch Kontaktgift am Griff der Fahrertür anbrachte und sie so außer Gefecht setzte.

Das Telefonat bewegte sie dazu, intensive Recherchen zu weiteren möglichen Mordanschlägen durch die Stasi zu starten. Daraus entstand ihr nun veröffentlichtes Buch. Gleichzeitig war der Anruf für sie eine Ermutigung, auf mehr zu hoffen – „um der Ermordeten und um unserer Kinder willen.“

Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 18, vom 13. November 2021.



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