Musik der Wildnis – Das große Orchester der Tiere

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Jeder Ort der Welt besitzt seine „akustische Signatur“, lehrt Bernie Krause, und jede Geophonie klingt individuellFoto: Cover Verlag Antje Kunstmann
Von 6. Februar 2014

Der amerikanische Musiker und Naturforscher Bernie Krause ist ein liebevoller Künstler, der als Klangforscher weltweit die noch intakten akustischen Lebensräume von Tieren belauscht hat. Die bioakustische Neugier des Buchautors eröffnet uns einen neuen Zugang zum Ursprung der Musik mit seinem Buch „Das große Orchester der Tiere“.

Vierzig Jahre lang hat der 1938 in Detroit geborene Begründer des „Wild Sanctuary“ die Welt bereist, um den Reichtum der Arten und die einzigartigen Klanglandschaften ursprünglicher Habitate, aber auch deren fortschreitende Zerstörung zu dokumentieren.

Die Laute von Pistolenkrebsen, Seeanemonen und Insektenlarven, die Gesänge der Buckelwale, die, gäbe es keine Hindernisse, innerhalb von Stunden die Erde umkreisen könnten; knackende Gletscher, gurgelnde Flüsse und das Grollen heftiger Gewitter; die Melodien der Vogelchöre, das orgelartige Dröhnen von Wind, der über Schilf streicht; das in der Nacht aufgezeichnete Brüllen eines Jaguars im Amazonas-Regenwald, die Begegnung mit kreischenden Berggorillas in den afrikanischen Virunga-Bergen – die Klänge, die Bernie Krause aufgespürt hat, sind von unvergleichlicher Schönheit. Sie erzählen in faszinierender Weise von den natürlichen Melodien und dem Rhythmus unseres Planeten, der die Menschen die Musik lehrte.

Jeder Ort der Welt besitzt seine „akustische Signatur“, lehrt Bernie Krause, und jede Geophonie klingt individuell: Die Wüste dämpft Schall, der resonanzreiche Urwald weitet ihn; der Konzertsaal Alaskas hat mit demjenigen auf Borneo wenig gemeinsam; Strände prasseln heftig oder blubbern gemütlich; bei Regen hallt das Brüllen des Löwen anders als bei Staubtrockenheit, der Winter ist kahlstimmiger als der Sommer. Jedes Tier reagiert auf klimatische Änderungen lernpädagogisch intelligent, es sucht sich ein neues Podium für seine Darbietungen; nach jedem Morgenkonzert legt es eine kleine Pause ein.

4.000 Stunden Klanglandschaften

Bernie Krause hat alle Orte seiner bioakustischen Neugier über Tage, Wochen und Monate mit Spezialmikrophonen aufgezeichnet, und wenn er Jahre später zurückkehrte, verglich er die Veränderungen. Oft waren sie für den Klangforscher erschütternd: Von den 15.000 Arten und über 4.000 Stunden Klanglandschaften, die der Globetrotter Krause über Jahrzehnte aufgenommen hat, existieren heute etliche gar nicht mehr. Nach den Ursachen musste er nicht lang fahnden: Am kanadischen Polarkreis beispielsweise knattern sie in Gestalt motorisierter Schlitten oder Sägen durch die Gegend.

In seinem Buch mit dem Originaltitel „The Great Animal Orchestra“ weist er nach, dass das Universum tierischer Klänge viel facettenreicher ist, als man vermutet: Fische kommunizieren akustisch, Affen singen im Chor. Es scheint, als würden die Tiere aufeinander hören und als würde sich jedes eine Nische suchen, um in dem großen Ensemble nicht überhört zu werden. Jeder Ort klingt anders, und Krause, der längst zum Archivar verwehender Naturklänge wurde, kann auch zeigen, wie empfindlich das symphonische Gleichgewicht ist und wie schnell es gestört werden kann.

Früher hat Krause selbst Musik gemacht, bisweilen auch Krach. Der gelernte Geiger, Gitarrist und Komponist spielte mit den Doors und den Weavers, mit Stevie Wonder, George Harrison oder Pete Seeger. Später komponierte er Soundtracks zu Filmen wie „Apocalypse Now“ oder „Rosemary’s Baby“. Und irgendwann hörte er den langsamen Satz aus Ludwig van Beethovens 6. Sinfonie, F-Dur, „Pastorale“, und fragte sich, was die Matrix für diese klassische Organisation imitierter Naturklänge war; in ihr lassen die Streicher den Bach murmeln, ruft die Nachtigall in der Flöte, die Wachtel in der Oboe, der Kuckuck in den Klarinetten. Krauses verblüffter Befund: Beethovens System war fast 1:1 jener originalen Natur abgelauscht, wie Krause sie von Tausenden Spektrogrammen aus Wäldern und Dschungeln kannte, wo hoch- und niederfrequente Tierchen, Winde und Flüsse einander im Austausch nicht behindern.

Welche wundervollen Szenarien da verloren gehen, kann der Leser per Sinnestransfer überprüfen, wenn er auf der Homepage des Verlags Krauses Audio-Beispiele anklickt (www.kunstmann.de/orchester). Da erlebt er mehr als nur Rufe zu Paarung oder Revierverteidigung. Wir hören etwa einen Künstler wie den Orpheuszaunkönig, der in seiner Melodieschleife seit Menschengedenken genau jenen Klangvorrat flötet, den später das balinesische Gamelan-Orchester oder der Komponist Claude Debussy aufgreifen und verarbeiten. Noch aufregender, wenn sich Stimmen der Fauna überlagern: In der ungeschriebenen Partitur der Tiere, der Biophonie, bildet sich ein kontrapunktischer Reichtum ab, der mit fein gewebten Kompositionen der Neuzeit auf einer Höhe steht.

Ein großartiges Buch für die akustische Hygiene unserer vom unerträglichen Lärm bedrohten Welt.

Foto: Cover Verlag Antje Kunstmann

Bernie Krause

Das große Orchester der Tiere

Vom Ursprung der Musik in der Natur

Verlag Antje Kunstmann

Erschienen 11. September 2013

Euro 22,95



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